die Achseln.
»Also gut«, sagte er nachgiebig. »In Gottes Namen.«
»Fernando, ich bitte dich, halte Gott daraus.«
»Dann eben ohne Gott: Mateos Tochter ist tot!«, posaunte er geradewegs heraus.
»Was sagst du da?«
»Du hast schon richtig gehört. Diego hat die heute tot in den Acantilados (Klippen) gefunden. Wir sind gerade auf dem Weg zu Mateo und seiner Frau.«
»Um Himmels Willen«, sagte Ángel bestürzt. »Das darf doch nicht wahr sein.«
»Ich fürchte doch«, murmelte ich bedrückt. »Bei einem Spaziergang zur Ermita heute Morgen habe ich die Leiche in den Klippen entdeckt. Lola war zufällig auch da. Das Gesicht ist vom Aufprall bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Ein schrecklicher Anblick.«
»¡Dios mío!« (Mein Gott!), sagte er und bekreuzigte sich gleichzeitig. »Und sie war auch noch schwanger.«
Dann herrschte Stille.
»Ana sagte mir, dass sie heute wegen ihres Brautkleides nach Ribadés kommen wollte. Aber was hat sie dort oben gesucht?«, fragte er nachdenklich.
»Ganz einfach«, fing der Comisario mit seiner Begründung an. »Die wollte zur Ermita, vielleicht zum Beten, und ist auf dem Weg dahin abgerutscht und runter auf die Klippen geknallt.«
»Welch ein tragischer Unfall. Sie hatte doch am Samstag vor zu heiraten. Es ist alles vorbereitet.«
»Die Hochzeit ist jetzt auch egal«, kommentierte der Comisario.
»Und was für ein Schock für Ana und Mateo ... und die ganze Familie.«
Der Priester konnte es nicht fassen.
»Ich kann das nicht begreifen«, sagte er erneut. (...) »Und ihr seid sicher, dass es Ana-María ist?«
»Joder, was soll das denn jetzt?«, empörte sich der Comisario.
»Fernando, bitte fluche nicht wieder. Ich meine, ihr Gesicht war doch ... nicht wiederzuerkennen.«
»Na und? Willst du Privatdetektiv spielen?«, fragte er grimmig. »Wir haben den Firmenausweis gefunden, das reicht doch, oder?«
»Das ist natürlich etwas anderes.«
»Ich verstehe dich, Ángel«, pflichtete ich ihm bei. »Ich habe mich auch gefragt, warum sie bei diesem Wetter zur Ermita gehen musste. Und ein herumliegender Ausweis und ein Tattoo sind auch keine definitiven Beweise.«
»Diego, jetzt fang du nicht auch noch an!«, ermahnte mich der Comisario.
»Ein Tattoo?«, fragte Ángel skeptisch. »Was für ein Tattoo?«
»Na eben ein Stinknormales! Die hat´s auf dem Mittelfinger der rechten Hand. Und es ist sogar ein Rosenkranz«, sagte der Comisario gereizt. »Da must du dich doch freuen.«
»Sofia hatte kein Tattoo am Finger«, entgegnete der Priester strikt. »Das wüsste ich.«
»Wieso das denn?«
»Ich habe ihr erst letzten Sonntag die Beichte abgenommen. Und ich sehe die Finger, wenn meine Gemeinde auf der Bank vor mir kniet, die Hände zum Gebet gefaltet, um die Hostie zu empfangen.«
Der Comisario und ich sahen uns überrascht an.
»Na dann hat die das in den letzten Tagen tätowieren lassen«, sagte er. »Außerdem haben wir den Ausweis.«
»Aber Fernando, ist es nicht leichtfertig, wegen der wenigen Beweise Ana und Mateo die Nachricht vom Tod ihrer Tochter zu überbringen?«, redete Ángel dem Comisario ins Gewissen.
Mein Freund machte plötzlich einen verblüfften Eindruck. Er zog die Augenbrauen nach oben und spitzte die Lippen. Er schien nachzudenken. Dieselbe Mimik hatte er aufgelegt, als ich ihm vor einem Jahr eröffnete, dass er mein ehemaliger Schulkamerad sei.
»Ángel hat vollkommen Recht«, kommentierte ich. »Es müssen eindeutige Beweise vorliegen, bevor wir zu Ana und Mateo gehen. Der Ausweis kann zufällig dort gelegen haben.«
»Ja, oder absichtlich«, kombinierte der Comisario sofort und dachte weiter nach.
»Wie meinst du das?«, fragte ich ihn.
»Na, wie ich‘s gesagt hab!«, antwortete er entschieden.
»Du denkst doch nicht etwa, dass jemand ...«
»Ángel!«, unterbrach er meinen Satz und wandte sich zu ihm. »Kennst du die Schneiderin und weißt du, wo die wohnt?«
»Aber natürlich. Señora Esmeralda wohnt unten am Hafen in der Calle del Sol 10.«
»Esmeralda was?!«, fragte der Comisario ruppig. »Ich kann ja schlecht nach ‘nem Vornamen suchen.«
»Natürlich. Esmeralda Rovala.«
»Dann werd ich mal Señora Esmeralda besuchen«, sagte er und stieg rasch in seinen Wagen.
Mit quietschenden Reifen fuhr er los. Ángel schüttelte nur den Kopf. Nach nicht einmal zwanzig Metern bremste der Comisario abrupt. Der Motor heulte auf. Ich sah, wie das Rückfahrlicht aufleuchtete. Plötzlich fuhr er mit quietschenden Reifen und genauso schnell rückwärts. Mit einer Vollbremsung beendete er direkt neben uns seine Fahrt. Er fuhr die Seitenscheibe herunter.
»Diego, du kannst jetzt zur Comisaría gehen und deine Aussage machen!«, ordnete er an. »Sonst hältst du dich aus der Sache raus. Ist das klar?! Ihr sagt zu keinem was! Beide!«
»Wie du meinst. Aber, es war doch ein Unfall.«
»Das werden wir noch sehen«, gab er zurück.
Obwohl ich nach Ribadés gereist war, um an einer Hochzeitsfeier teilzunehmen, war ich erneut auf dem Weg zur Polizei, um meine Zeugenaussage zu Protokoll zu geben. In der Calle de la Paz (Straße des Friedens) kam mir bereits ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht und ohrenbetäubender Sirene entgegen. Diese Straße hatte schlicht den falschen Namen. Ich erkannte das Gebäude mit den Garagen an den Seiten wieder, welches mehr den Charakter einer alten Villa hatte, als den einer Comisaría. Die Fenster waren mit kunstgeschmiedeten Gittern versehen. Beide Tore, zur Rechten und zur Linken des Gebäudes und der hohe Zaun folgten dem Stil mit kunstvoll geschmiedeten Eisenstäben. Einige Polizisten der Policía Nacional kreuzten meinen Weg. Ich ging in das Gebäude und klopfte an die Tür von Zimmer 6. Es rührte sich nichts. Gerade als ich erneut anklopfen wollte, wurde die Tür von innen geöffnet. Lola stand vor mir. Ihr dezentes Rosenparfüm strömte mir in die Nase. Schleunigst nahm ich meinen Hut ab.
»Habe ich mich im Büro geirrt?«, fragte ich.
»¡No, no!«, erwiderte sie freundlich. »Pablo und ich haben die Räume getauscht. Zimmer 6 gefällt mir besser als mein früheres Zimmer 4.«
Sie lächelte und ich pflichtete ihr bei, ohne zu wissen, warum. Da beide Büros ähnlich geschnitten waren und eine Verbindungstür zu Comisario de Vegas Zimmer 5 hatten. Möglicherweise gab es irgendeine Assoziation zur Zahl sechs. Inspector Pablo, ein stattlicher Bursche, kannte ich vom Vorjahr.
»Kommen Sie herein, Señor Lesemann«, sagte sie freundlich. »Wollen Sie Ihre Zeugenaussage zu Protokoll geben?«
Sie hatte ihre sexy Sportkleidung gegen ein figurbetontes, braun gepunktetes Kleid mit hohen Absatzschuhen getauscht. Dadurch war sie fast zehn Zentimeter größer als am Morgen. Dazu trug sie Creole-Ohrringe, die durch ihr offenes dunkelbraunes Haar drangen. Und wieder roch ich ihr Parfüm.
»Ja«, antwortete ich etwas betört, »deswegen bin ich hier. Wollen Sie das Protokoll aufnehmen?«
»Mit großem Vergnügen, denn Pablo ist nicht da. Da wir die Leiche gemeinsam gefunden haben, sollte Ihre Aussage nicht viel anders sein als meine, und die habe ich schon protokolliert.«
»Sie haben Ihre Zeugenaussage bereits geschrieben?«, fragte ich überrascht.