Thomas Hölscher

Der Pferdestricker


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gekannt hat.)

      Jonas muss bleiben, weil ich ohne ihn weder leben noch sterben kann!

      19.4.2004

      Ich habe es Jonas tatsächlich endlich sagen können, was ich ihm immer schon habe sagen wollen und bis heute nie gewagt habe ihm zu sagen, und wieder hat Jonas nur gelacht: Es gebe zwar nichts, was ihm noch mehr Spaß bereite, aber mich wolle er nicht leiden lassen; dafür seien schließlich die Nutten da. Meine eigentliche Aufgabe sei eine ganz andere.

      Wir waren anschließend abends in Dortmund. Es war großartig. Mittlerweile versteht Jonas es, aus der ganzen Sache ein Ritual zu machen. Das gibt dem Ganzen etwas Feierliches, fast Heiliges. Und ganz genau das ist es doch auch: etwas Heiliges.

      Jonas hat aber auch gesagt, ich solle darüber nichts mehr schreiben. Man wisse nie, und leider sei es so: Einige Leute verstehen so etwas einfach nicht.

      Das Schreiben werde ich also lassen. Wenn nur Jonas da ist, dann ist die Welt in Ordnung.

      6.3.2006

      Heute habe ich einen Gott getroffen.

      Ich weiß, dass sich das verrückt anhört, aber es ist so: Dieser Mann muss ein Gott sein.

      Ich musste gleich mit Jonas darüber reden. Jonas hat diese Nachricht ziemlich gelassen zur Kenntnis genommen: Ich solle in dieser Beziehung einfach tun, was ich wolle, und auf ihn keine Rücksicht nehmen. Eifersüchtig sei er auf gar keinen Fall, weil er nie wirklich verliebt in mich gewesen sei wie ich in ihn. Irgendwie hat mich diese Bemerkung zwar getroffen, aber insgesamt war ich froh, dass Jonas diese Sache so sieht; denn schließlich muss es doch auch so sein.

      Ich habe ihn im Kaufhof getroffen. Er muss Mitte zwanzig sein und ist ein Riese. Er misst bestimmt zwei Meter. Wenn ich mir vorstelle, dass dieser Kerl mit einer Nutte spielt, dann ist das endgültig nicht mehr nur geil, sondern etwas ganz anderes: etwas Heiliges, eine Art Gottesdienst.

      9.3.2006

      Ich habe nichts anderes mehr zu tun als diesem Mann auf Schritt und Tritt zu folgen. Es bleibt einfach keine Zeit mehr für mich selber. Aber das ist wohl auch gut so. Wer bin ich schließlich schon? Ohne diesen Mann auf jeden Fall gar nichts.

      Er ist Polizist, aber das ist mir völlig gleichgültig; denn für mich ist er ohnehin etwas ganz anderes: ein Gott eben.

      Nur: Wie lernt man einen Gott kennen?

      12.3.2006

      Habe gerade noch einmal die letzte Eintragung gelesen. Wie will man einen Gott kennen lernen? Für manche Menschen mag sich schon die Frage verrückt anhören, aber für mich ist das im Augenblick sehr wichtig.

      Mittlerweile kenne ich seinen Beruf, seinen Wohnort und sogar seinen Namen; aber das alles sind Dinge, die mehr oder weniger unwichtig sind. Denn natürlich kann man keine persönliche Beziehung zu diesem Mann aufbauen, wie man sie zu Hinz oder Kunz aufbauen kann, sondern nur so, wie man zu einem Gott eine Beziehung aufbaut. Und da sind Namen, Wohnort und Beruf Schall und Rauch.

      In dem üblichen Sinne will ich diesen Mann also gar nicht kennen lernen mit all seinen Problemen und Problemchen. Das interessiert mich nicht im Geringsten. Ich will zunächst seinen Körper kennen lernen und einen neuen Menschen aus ihm erschaffen. So ist das in allen Religionen. Das einzig Göttliche an ihm ist bisher sein Körper.

      Ich weiß, er will wahrscheinlich nur der nette Junge von nebenan sein, der Schwarm aller Schwiegermütter, everybody’s darling eben. Das ist er ganz sicherlich auch, aber das wird natürlich nicht mehr möglich sein. Wer hat mich denn gefragt, ob ich die Rolle übernehmen will, die ich nun spielen muss? Niemand. Wer von uns wäre er selber geworden, wenn man ihm eine Wahl gelassen hätte?

      Der Kerl ist ein Riese, groß, stark und schwer, aber eben nicht dieser dumme und aufgeblasene Bodybuilding-Typ unserer Tage. Kurzum: Er ist, wie er ist. Einfach perfekt.

      Vor ein paar Tagen musste ich sogar lachen: Da hat er sich in der Stadt eine Riesenportion Pommes mit Soße und Majonäse gekauft. Ich wollte in diesem Augenblick an Wunder glauben, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, wie aus diesem fettigen rot-weißen Matsch etwas derart Perfektes werden kann. Manchmal denke ich sogar darüber nach, mich von diesem Kerl töten und aufessen zu lassen. Was seltsam, geradezu monströs, klingt, wenn man es in Sprache fasst, finde ich unheimlich erstrebenswert. Und saugeil.

      Er hat eine Freundin, und wenn die Langeweile einen Namen bräuchte, so müsste man diese Dame nach ihrem Namen fragen. (Sie heißt natürlich Inga, ihr Vater ist Studienrat, sie studiert in Bochum, hat dort auch eine Wohnung und ist eine ziemliche Zicke. Ich weiß das alles, seit ich die Anlage in seiner Wohnung installiert habe. Aber diese nebensächlichen Details gehen mir einfach nur gegen die Natur. Auch Details über Stefan stören eher, als dass sie helfen: Er kommt zum Beispiel aus einem Kaff im Sauerland. Aber man stelle sich das einmal vor: Gott kommt aus dem Sauerland! Einfach lächerlich.)

      19.3.2006

      Ich hasse es mittlerweile, wenn Stefan betrübt ist wegen dieser dummen Ziege. Sie ist wirklich zickig durch und durch, und er geht immer auf sie ein, anstatt dieses überflüssige Geschöpf einfach aus seiner Wohnung und seinem Leben zu werfen. Ich kann es kaum noch ertragen, wenn er ihr seine Liebe gesteht. Ich werde sie beseitigen wie die Nutten. Beseitigen lassen. Von Stefan selber.

      Damit er endlich Zeit hat für andere Nutten.

      4.5.2006

      Heute ist etwas völlig Unglaubliches passiert. Ich bin den beiden heute den ganzen Nachmittag gefolgt. Sie sind am Kanal gewesen. Dort ist eine ziemlich versteckte Weide mit kleinen Pferden, und ich werde diesen Tag niemals vergessen. Das kann doch alles kein Zufall sein!

      Es war unglaublich geil, ich habe vor, seine Bilder ins Internet zu stellen, damit jeder die Chance hat, ihn zu sehen. Und schon stört mich wieder dieses Wort geil, weil es zu dem nicht passt, was dieser Mann wirklich ist: ein Gott eben.

      Was mich allerdings stört ist seine ganz offensichtliche Abhängigkeit von den Launen dieses Weibsbilds. Das macht mich rasend.

      Wenn schon Jonas weiß, wie man mit diesen Nutten umgeht, dann muss er es doch allemal wissen.

      Warum tut er es dann nicht endlich?!

      5.5.2006

      Ich habe die Fotos ins Internet gestellt. Die Kommentare wildfremder Leute machen mich noch viel mehr an als die Bilder selber.

      Von Gott soll man sich ja kein Bild machen. Haha!

      Aber diese Bilder können nur der Anfang sein: Ich will, dass er es mit Nutten macht.

      7.5.2006

      Ich will von nun an nichts mehr schreiben. Je öfter ich die Eintragungen der letzten Tage lese, um so mehr kommen sie mir vor wie eine schlechte Kopie des Evangeliums. Und das kann immer erst im Nachhinein geschrieben werden. Das Schreiben ist im Augenblick nicht wichtig. Die Veränderung der Realität ist wichtig.

      Auch Stefans Leben wird sich verändern. Aber so ist das in allen Religionen.

      22.6.2006

      Heute habe ich es zum ersten Mal geschafft, dass er zumindest ansatzweise das getan hat, was nur ihm alleine zusteht: Über Leben und Tod zu entscheiden. (Sonst kommen die verdammten Nutten noch ungeschoren davon.)

      Ich rede mir im Augenblick immer wieder ein, dass er diesem schwulen Schwein Gnade gewähren wollte, weil mich diese Vorstellung zumindest noch anregt. Aber ich will noch nicht einmal, dass er gnädig ist. Er soll brutal, grausam und gnadenlos sein. (Irgendwie macht er zu wenige Fortschritte, und ich musste ihn einmal ärgern.) Und diese exaltierte Tunte auf dem Autobahnrastplatz ist doch der beste Beweis dafür, dass jedes Opfer seinen Mörder immer schon gekannt hat.

      Dieses Mal habe ich noch Jonas gebeten, das zu tun, was getan werden musste.

      Es ist jetzt Samstag der 24. Juni 2006 um 3 Uhr 30 morgens.

      Sie glauben allen Ernstes, sie könnten mich erledigen. So wie man einen Hirsch oder eine Wildsau erlegt. Ich werde sie Mores lehren.

      Diese