Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


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hier bei dir auftaucht!“

      Der Kahle nickte beflissen und kramte in seinen Hosentaschen, doch Frasther erhob den Zeigefinger vor seiner Nase und schärfte ihm ein: „Sollt' ich irgendwelche Klagen hören, mein Freund, dann komm' ich wieder vorbei. Und wenn ich nochmal vorbeikomm', geht’s hier zu, dass der Irakkrieg dagegen wie ein Kindergeburtstag wirkt – verstehst du mich?“

      „Ich versprech's, Sie werden keine Klagen hören“, murmelte der Kerl zerknirscht und drückte Frasther zwei Fünfziger in die Hand.

      2 – Der Prag-Luis

      Mit einer anständigen 180-Grad-Drehung parkte Frasther den Jeep einige Minuten später wieder vor 'Charley's Kneipe' ein. Sein Blick fiel auf die Uhr, als er kraftvoll an der Handbremse rupfte. Nun gut, grantelte er in sich hinein, ich hab’ doch fast eine Dreiviertelstunde gebraucht. Das Bier würde inzwischen wohl doch abgestanden sein. Wieso hatte er es eigentlich nicht einfach ex genommen, bevor er schnell diesen Auftrag erledigte? Unzufrieden mit sich selbst trat er die Eingangstür auf.

      Bertl saß noch wie angewurzelt auf seinem Barhocker – genau wie Frasther ihn zurückgelassen hatte – und hatte sich in sein Bierglas verkrallt.

      Doch auf dem Barhocker neben ihm, also auf Frasthers Barhocker, da saß jetzt plötzlich einer. Frasther erblickte etwas dickes Weißes mit pomadisierten, schwarzen Locken: Der Prag-Luis hatte es gewagt, sich auf seinen Barhocker zu setzen! Dafür knuffte ihn Frasther jetzt ordentlich in die schwabbelige Seite. „Servus, Luis, alter Prager. Darf man das, auf anderer Leute Barhocker sitzen?”

      Der Prag-Luis war Anfang vierzig, ein bisschen kleiner als Frasther, jedoch mindestens doppelt so breit. Weiße Schlüpfer – anders als beim Bertl aus echtem Straußenleder, nicht aus Imitat – weißer Anzug, der zwar teuer aussah und auch sehr gut geschnitten war, jedoch trotzdem die schwabbelige Masse von Prag-Luis’ Körper nicht besonders zu kaschieren vermochte. Die Charakteristik seines Gesichts wurde bestimmt von einem dünnen, elegant geschwungenen Oberlippenbart, umrahmt von zwei mächtigen Pausbacken, auf denen meist Schweiß glitzerte. Das dichte, schwarze Haar trug er als mit extrem viel Pomade zurechtgeformte Tolle, er stank meterweit nach entweder ebendieser Pomade, teurem Parfüm oder beidem.

      Der Prag-Luis wand sich kurz unter Frasthers Hieb, holte Luft und erwiderte: „Servus, Frasther, sei nicht immer gleich so verdammt grob. Ich hab' dir nur einen Gefallen getan und deinen Platz besetzt, weil der Bertl ja eh weder Muh noch Mäh macht, wenn sich da einer hinsetzt. Dem ist doch das wurscht, ob du noch einen Platz zum Sitzen hast oder nicht, wenn du zurückkommst – aber der Luis, der schaut auf dich!”

      Beifallheischend lächelnd für diese gar schleimige Rede erhob sich der Prag-Luis und überließ den Barhocker schulterklopfend Frasther. Aha, dachte Frasther still bei sich, der hat irgendwas, der Schleimscheißer. Der Prag-Luis hieß deshalb Prag-Luis, weil er sich in seinen ganz jungen Jahren, unmittelbar nach der Öffnung des eisernen Vorhangs, einige Jahre lang in Prag herumgetrieben hatte. Damals hatte das kein Mensch mitbekommen, erst als er schon über ein halbes Jahr weg gewesen war, hatten einige Leute bemerkt, dass der Kerl auf einmal fehlte.

      Offenbar hatte der Prag-Luis aber ein gutes Händchen fürs Geschäft gehabt. Zu Hause war er ein Niemand gewesen, doch als er einige Jahre später plötzlich wieder aufgetaucht war, hatte er etwa fünfzig Kilo zugelegt und sich ein dickes Konto angeschafft gehabt.

      Wie es schien hatte er in Prag eine halbwegs funktionierende “Model-Agentur” hochgezogen gehabt; in Wirklichkeit war die Model-Agentur natürlich nur Tarnung für eine Begleitagentur mit eindeutig körperbetontem Service gewesen. Zu der Zeit war die Nachfrage für frisches Ost-Fleisch noch sehr hoch gewesen, doch die Zeiten hatten sich geändert.

      Auf jeden Fall hatte er sich sauber angepisst gefühlt, als sich der Osten auf einmal in den Westen verwandelt hatte und praktisch über Nacht die ganzen Weiber abgewandert waren, um sich selbständig zu machen. Also hatte er den Kram hingeschmissen und war mit einigen ihm treu ergebenen Weibern wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, hatte sich mit den paar anderen Strizzis* arrangiert und war so mit den Jahren, während die meisten anderen seines Schlages im Knast gelandet oder weggestorben waren, beinahe zu sowas wie der Nummer Eins aufgestiegen.

      Jetzt herrschte er schon seit längerer Zeit praktisch allein über die Staßen der Vorstadt; die Innenstadt teilten sich Don Renato und der Nadelstreif-Joe, die Randsiedlungen gehörten Schlawinski, dem Zocker, und im Hafenviertel passte der Bauchstich-Wiggerl auf seine Weiber auf.

      Mit den ersten dreien pflegte der Prag-Luis ein nicht gerade kollegiales, aber doch ungezwungenes Verhältnis – man ignorierte sich, so gut es eben ging – und was am Hafen abging, interessierte niemanden, da die Klientel dort zu oft Stunk machte und zu wenig Bares liegen ließ.

      „Weißt, du, Frasther, ich hab' noch etwas für dich getan”, trötete der Prag-Luis fröhlich weiter. „Ich hab' dein halb abgestandenes Bier ausgesoffen, weil ich so einen verdammten Durscht gehabt hab', als ich reingekommen bin. Aber ich hab' dir dafür ein nigelnagelneues Bier bestellt!” Während der Barista ein frisches Bier vor Frasther auf dem Tresen anpflanzte, strahlte der Prag-Luis wie ein gönnerhafter Schokoladenonkel und haspelte weiter: „Schau, schau da kommt es schon – das Bier! Was sagst zum Luis, nun?” Er grinste übers ganze Gesicht.

      „Hör' mal, ich werd’ dir jetzt was Wichtiges sagen, Luis“, setzte Frasther zu einigen erläuterndem Worten an, „wenn du mir mein Bier wegtrinkst, dann ist es schwer im Interesse deiner Gesundheit, dass du mir so flott wie möglich ein Neues bestellst. Denn wenn's ums Bier geht, hört bei mir der Spaß auf!”

      Dann krallte er sich das Glas, das der Barmann eben hingestellt hatte, prostete nur kurz und knapp in die Allgemeinheit hinein und nahm einen ordentlichen Schluck. Hat sich ja doch noch in Wohlgefallen aufgelöst, das Problem mit dem abgestandenen Bier, dachte er bei sich.

      „Zum Wohl, Frasther – Prost! Lass es dir schmecken!”, seierte der Prag-Luis weiter.

      „Schon gut, Luis, aber lass mich jetzt mal kurz mit Bertl reden…” Er drehte dem Prag-Luis den Rücken zu, um sich vor Bertl aufzubauen. „Also, Bertl, die 'Plaudertasche' wär’ schon mal erledigt. Um diese Näherei kümmer' ich mich auch heute oder spätestens morgen noch, aber ich brauch' dringend irgendwie ein paar Kröten in meinem Klingelbeutel…” Stimmte auch; der Hunderter, den er von dem kleinen Kerl in der 'Plaudertasche' hatte, reichte gerade mal für die Erstversorgung.

      „Schon gut, schon gut!”, hob Bertl gleich beschwichtigend die Hand. „Frasther, du weißt, wir sind schon länger gute Geschäftspartner und bisher ist immer noch alles gerade abgelaufen zwischen uns. Also schlag' ich vor, ich zahl' dir jetzt gleich für beide Aufträge, sozusagen als Zeichen des guten Vertrauens, oder wie man da sagt, und du erledigst einfach den Rest innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden, dann sind wir alle glücklich. Na, wie klingt das?”

      „Klingt super, ja, würd’ ich sofort machen, wenn ich an deiner Stelle wär'”, mischte sich von hinten der Prag-Luis wieder ins Geschehen ein, „denn weißt du, Frasther, ich hätt' da auch noch etwas, wobei ich dich brauchen würde…”

      „Ah so?”, wunderte Frasther sich.

      „Ja, hör zu: Da gibt's so eine Gruppe Typen, keine Ahnung wo die herkommen, aus dem Osten wahrscheinlich, die verschrecken mir meine Mädels und das ist gar nicht gut fürs Geschäft…”

      „Mit dem Typen aus dem Osten solltest du dich doch auskennen, möchte man meinen?”, wunderte sich Frasther.

      „Ich war vorher da, Frasther, zuerst solltest du unseren Auftrag erledigen…”, keifte der Bertl.

      „Ja, Luis”, wandte sich Frasther an den Störenfried. „Jetzt erledige ich erst den Mist mit dieser Näherei und danach kannst du mir mit deinem Mist kommen. Kann ja schließlich nicht alles gleichzeitig machen.” Der Prag-Luis zuckte zusammen und wurde zornesrot, wagte es jedoch nicht mehr, die beiden noch einmal zu unterbrechen.

      „Wir sind uns einig, Bertl, also her mit der Marie!”, kam Frasther auf seinen rattengesichtigen Auftraggeber zurück. Und Bertl zählte ihm einen