Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


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Hilfeschreie des Mädchens im Dunkel der Nacht immer mehr in ein leises, leidendes Gewinsel übergingen.

      Einen Tschick später war der Prag-Luis fertig; sie stiegen wieder in den Benz ein und fuhren los.

      „Scheiße, jetzt hab' ich vergessen, mir ein Bier für unterwegs mitzunehmen!”, stellte Frasther schon nach einigen Metern fest.

      Also überredete er den Prag-Luis, an einer Tankstelle einen Boxenstopp einzulegen, denn ihn dürstete schon wieder. Bei der Gelegenheit deckte sich Bertl auch gleich noch mit einem Vorrat an Tschicks ein, denn die Nacht versprach, lang zu werden. Frisch bevorratet fuhren sie dann weiter. Der Prag-Luis erzählte von einem scharfen, neuen Schuppen in der Nähe der Autobahnauffahrt; es könne nicht schaden, dort mal hinzusehen, meinte er. Dabei schüttete er Instantkaffee in sich hinein und rauchte einen Tschick nach dem anderen.

      Plötzlich schrie er auf: „Da! Da vorn, seht ihr das?” Er deutete wild auf einen Benz ähnlicher Bauart wie sein eigener.

      „'n Auto, klar”, sagte Bertl mit wenig Enthusiasmus.

      „Das ist einer von den Kerlen, ich kenn' die Karre!” Der Prag-Luis japste nach Luft und griff nach seiner Puffn.

      „Scheinen alle Strizzis dieselbe Vorliebe für solche Autos zu haben”, murmelte Bertl.

      „Lass die Puffn stecken und konzentrier dich aufs Fahren, Mann!”, befahl Frasther.

      „Soll ich ihn abdrängen, damit wir ihn zur Rede stellen können, was meinst?”, fragte der Prag-Luis, der bereits heftig zu schwitzen und zu schnauben begann.

      „Nein, warte doch erstmal ein bisschen und lass uns schauen, wo er hinfährt…”, schlug Bertl vor. Frasther überlegte kurz und fand nichts Falsches an der Idee.

      „Ich glaub', der hat uns eh schon bemerkt“, sagte Bertl wieder.

      „Scheiße, Scheiße, Scheiße…”, fluchte der Prag-Luis vor sich hin.

      „Wie kommst’n da drauf?”, fragte Frasther, der soeben mit zusammengekniffenen Augen versuchte, das Nummernschild zu erkennen.

      „Vielleicht, weil sich grad das Beifahrerfenster öffnet und irgend so ein Wichser sich bereit macht, eine Knarre auf uns zu richten”, sagte der Bertl in einem seltsamen, fragenden Tonfall, der gar nicht zur Situation passte. Da wurde es plötzlich hektisch in der Karre. Der Prag-Luis schaltete einen Gang zurück und ließ den Motor aufheulen.

      „Von mir aus, du Arschloch!”, kreischte er. „Du oder ich, wir werden sehen!”

      Frasther verließ den Beifahrersitz und wand sich eiligst auf die Rückbank, auf den Platz hinter dem Prag-Luis. Aus dem Augenwinkel heraus stellte er fest, dass Bertl plötzlich ebenfalls wie aus dem Nichts heraus eine Puffn hervorgezaubert hatte. Nein – er blickte ein zweites Mal hin – das war keine Puffn, das war schon eher eine Krachn*, korrigierte er sich. Zeitgleich verfluchte er sich dafür, keine Knarre, ja nicht einmal seinen Baseballschläger dabei zu haben.

      Es war klar, der Prag-Luis hatte Blut gewittert und würde jetzt versuchen, die Karre des Kerls zu rammen. Er beschleunigte noch immer, als es plötzlich draußen knallte. Ein Schuss. Frasther verkroch sich hinter dem Fahrersitz und zog die Rübe ein. Auf einmal hatte er überhaupt nichts mehr dran auszusetzen, dass der Prag-Luis so eine fette Sau war. Zumindest würde er so einen guten Kugelfang abgeben.

      Bertl, der ebenfalls auf Tauchstation war, kurbelte das Fenster herunter und entsicherte fluchend seine Krachn. Sie wurden in der Karre hin- und hergeschleudert. Da gab es einen sehr, sehr kräftigen Aufprall. Frasther spürte, wie seine Eingeweide durchgeschüttelt wurden; das Knirschen von Metall zerrte am Nervenkostüm. Die Karre schlitterte, doch offensichtlich schaffte es der Luis, sie unter Kontrolle zu halten. Den Bertl hatte es beinahe um einen Meter versetzt, er sass mit der linken Arschbacke fast auf Frasthers Schoß.

      „Ramm ihn mit der Schnauze, verdammt, oder willst' mich umbringen!”, schrie er. Schien ihm nicht zu gefallen, dass der Prag-Luis die Seite, auf der Bertl saß, zum Rammen benutzte.

      Da knallte es wieder von draußen, während beide Autos immer noch in rasender Fahrt unterwegs waren.

      „Nun schieß endlich zurück, verdammt!”, brüllte Frasther Bertl an.

      Bertl hob die Krachn und feuerte zum Fenster hinaus. Noch während er schoss, steuerte der Prag-Luis den Benz erneut mit einem halsbrecherischen Manöver auf das gegnerische Fahrzeug zu. Diesmal war der Aufprall endlich kräftig genug, um die beiden Autos heftig ins Schleudern zu bringen. Bertl schoss abermals auf den anthrazitfarbenen Benz, der hinter ihnen zurückfiel. Pulvergestank machte sich im Wageninneren breit und die Lichter der Straße tanzten wie irr, gebrochen durch die verspiegelten Scheiben des Wagens. Mühsam fing der Prag-Luis die schwere Karre ab, dabei keuchte und schnaubte er wie ein Schwerarbeiter.

      Dann stieg er in die Eisen und riss zusätzlich die Handbremse, so fest er nur konnte, nach oben. Sekundenbruchteile später krachte der andere Wagen hinten drauf. Frasther und Bertl wurden nach vorne katapultiert, Frasther landete mit seiner Fresse in der pomadisierten Haarpracht vom Prag-Luis. Bertl hatte sich, als es ihn über die Lehne des Beifahrersitzes geschleudert hatte, zu allem Unglück auch noch mit seiner eigenen Krachn ins Bein geschossen. Laut Gott verfluchend lag er zusammengekrümmt auf dem Beifahrersitz und hielt sich die Wunde.

      „Raus hier, Luis, und zwar schnell!”, schrie Frasther und schubste den fetten Kerl Richtung Tür. Der Prag-Luis drückte mit seinem Gewicht die Tür auf und ließ sich hinausrollen. Frasther folgte ihm behende, obwohl ihm der Kopf dröhnte und er am liebsten gekotzt hätte wegen des Geschmacks von Pomade und Prag-Luis in seinem Gesicht. Doch seine Sinne waren nun auf Jagd- und Kampfmodus umgeschaltet und so wandte er sich sofort dem Schrotthaufen zu, der ihnen hinten draufgeknallt war.

      Dass der Fahrer sich das Genick gebrochen hatte, sah man auf den ersten Blick, so unnatürlich war dessen Körperhaltung. Tja, Gurte retten Leben, dachte sich Frasther. Auf der Beifahrerseite jedoch, da rührte sich noch etwas. Frasther schlich, geduckt wie ein Panther, in einem Bogen um die Karre herum und vergaß dabei nicht, vorsichtig in den Fond zu äugen.

      Der Prag-Luis näherte sich mit erhobener Puffn von vorn. Ruckartig öffnete Frasther die Beifahrertür und ließ seine Faust aufs Geratewohl mit maximaler Schubkraft hineindonnern, dorthin, wo er den Kopf vermutete. Anhand des Widerstandes, den er auf diesen Schlag hin spürte, konnte er genau errechnen, dass der Beifahrer entweder betäubt oder sowieso schon halbtot gewesen sein musste, noch bevor er ihn überhaupt getroffen hatte.

      Jetzt war lediglich noch ein Röcheln, das sich schon sehr nach Abgang anhörte, zu vernehmen. Da hallten auf einmal Schüsse von der anderen Seite des Autos. Frasther zuckte kurz zusammen, sah dann aber, dass der Prag-Luis offenbar nur dabei war, auf Nummer Sicher zu gehen. Als er mit dem Fahrer fertig war, kam er um das Auto herum und pumpte den Beifahrer auch noch voll Blei.

      „Schätze, wir werden uns ein Taxi bestellen müssen, Luis. Mit den Schrotthaufen hier“, er deutete auf die beiden ineinander verkeilten Totalschäden, „ist jedenfalls garantiert nicht mehr zu fahren.”

      „Und was machen wir mit Bertl?”, fragte Luis.

      Bertl wand sich immer noch wie ein entzweigehackter Regenwurm auf dem Sitz, hielt sich die Wunde und stieß Verwünschungen aus. Frasther überlegte kurz; wieso musste immer er die schwierigen Entscheidungen treffen, verdammt?

      „Dem bestellen wir auch ein Taxi”, entschied er. Der Prag-Luis zückte das Handy.

      Während sie auf die Taxis warteten, verstaute Frasther die beiden erschossenen Typen irgendwie so in ihrer Karre, dass sie von außen nicht auf den ersten Blick zu entdecken waren. Dann ließ er sein Feuerzeug aufschnappen und hielt es an den Auspuff, aus dem ohnehin schon ein dünnes Rinnsal herauströpfelte. Der Luis schleppte derweil den laut zeternden und wehklagenden Bertl aus der Gefahrenzone. Das Benzin entflammte, bald stand die Karre lichterloh in Flammen. Als das erste Taxi kam, luden sie den Bertl ein und wiesen den Fahrer an, ihn ins Krankenhaus bringen.

      „Wenn sie blöd fragen, sagst du einfach, wie es wirklich war: Du hast mit