Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


Скачать книгу

Dann schnappte er sich den ganzen Rest von dem Kram und warf alles den Altpapierbehälter, der günstigerweise neben den Briefkästen stand – der Hausmeister war es offenbar leid geworden, jede Woche Berge von Papier aus dem Gang zu entfernen.

      Mit dem Sechserträger in der einen und dem Papierstapel in der anderen Hand latschte er hinauf in die Wohnung. An der Wohnungstüre angelangt, fiel ihm auf, dass die nur angelehnt, also bereits geöffnet war. Er stutzte; das konnte gar nicht sein, denn er vergaß niemals, seine Bude zuzusperren. Sofort schoss Adrenalin durch Frasthers Nervensystem – verdammt, die hatten ihn doch wohl nicht schon aufgespürt?!?

      „F'ather, bis' du das?“, klingelte eine mit starkem Akzent behaftete Frauenstimme.

      Er seufzte erleichtert auf; jetzt bloß keine Paranoia kriegen, Hauinger, ermahnte er sich selbst.

      Er schob die Tür auf, trat in die Wohnung und blickte sich um: Mehrere leere Bierkisten, die an der Wand standen, waren kaum noch zu sehen weil sie bereits von einem richtigen Berg aus Bierflaschen und zerdrückten Bierdosen überwuchert wurden. Sein einziger Mülleimer, der im Schrank unter der Spüle stand, quoll schon derart über, dass er die Schranktür nicht mehr zu brachte. Um den Müllberg, der eine muffige Duftnote verströmte, schwirrten bereits einige filigrane Flattermänner herum. In einer Ecke der Wohnung lag ein riesiger Berg aus dreckiger Wäsche; in der anderen Ecke, bei seiner Pritsche, war ein Durcheinander aus Pizzaschachteln, zusammengeknüllten Essensverpackungen von verschiedenen Imbissbuden, in denen die Reste fröhlich vor sich hingammelten, auf dem Boden verstreut. Auf dem kleinen Kästchen neben seiner Pritsche türmten sich ebenfalls zerknüllte Bierdosen und leere Tschickschachteln; sein Nacht-Aschenbecher war unter dem Kippenhaufen gerade noch zu erkennen.

      Eine schon etwas angerunzelte Asiatin in Putzfrauenschürze und mit Gummihandschuhen, die ihr bis über die Ellbogen reichten, kniete inmitten des Chaos und blickte zu Frasther auf.

      „Oh, hallo Fat’her, komms' du auch wieder mal f'üh nach Hause?”

      „Hey, Pinid, du bist aber noch spät am Arbeiten…“

      „Ja, weiss' du, F'ather, ich kann Nachmittag nicht, weil ich helfe jet' F'eundin in Kuche! Weil F'eundin hat Thai-Imbiss jet', in Sti'tast'aße neben D'eitausen' Kino, hat viel Kun'schaf' do't und ande' F'eundin wo no'mal hilf' in Kuche is' k'ank gewo'den. Desha'b ich habe kein' Zeit nachmittag für putze' dein' Wohnung, abe' heute is gesag'e Te'min, deshalb ich putze jetz'…“

      Frasther fühlte sich wie vom Regen in die Traufe gekommen. Hatte er eben noch befürchtet, von Strolchen über den Haufen geschossen zu werden, so sah er sich jetzt mit seiner penetrant plappernden Haushälterin konfrontiert. Normalerweise entkam er ihr, weil er nie zuhause war, wenn sie seine Wohnung machte, doch diesmal war er ihr aufgrund einer unglücklichen Verkettung der Umstände in die offenen Fänge gerannt.

      Pinid war Mitte fünfzig und blickte auf eine über dreißigjährige Karriere im Rotlichtmilieu zurück. Ihr Körper und ihr Outfit, vor allem dann wenn sie sich herausgeputzt hatte, ließen das noch erahnen, doch ihr Gesicht hatte sich in den letzten Jahren zunehmend in eine Faltenruine verwandelt. Vor wenigen Jahren hatte sie sich mehr oder weniger endgültig zur Ruhe gesetzt und die Wohnung zwei Türen weiter als Alterssitz erworben. Da sie in recht bescheidenen Umständen lebte, war sie nur zu froh, wenn sie sich durch kleine Gefälligkeitsdienste nebenher was dazuverdienen konnte – das schloss Putzdienste ebenso ein wie sexuelle Zuwendungen.

      Frasther hatte bisher allerdings nur die Putzdienste in Anspruch genommen und er hatte auch vor, es dabei zu belassen. Normalerweise lief das so ab, dass er einfach einmal pro Woche einen Sauhaufen verließ und frühmorgens, wenn er heimkam, in eine blitzblanke Wohnung hineintorkelte.

      Frasther schätzte Pinid sehr, denn sie war nicht nur die Einzige, die beim Anblick der Zustände in seiner Wohnung nicht kreidebleich das Weite suchte, sondern sie schaffte es auch immer, die Bude in einen sagenhaft sauberen Zustand zu versetzen. Manchmal kaufte sie auch für ihn ein, füllte den Kühlschrank auf und rechnete peinlich genau unter Vorlage aller Belege ab. Das war ein Tick, den er ihr nicht abstellen konnte, denn er wäre von sich aus nie auf die Idee gekommen, nachzuprüfen ob sie ihn hereinlegte oder nicht. Genaugenommen nervte ihn ihre peinlich genaue Pfennigfuchserei, nach jedem Einkauf musste er ein paar Minuten seiner wertvollen Lebenszeit dafür opfern, mit ihr zusammen verschiedene Supermarktrechnungen zu kontrollieren. Doch so oft er ihr auch schon versichert hatte, dass er ihr eh vertrauen würde und dass es ihn einen Scheiß interessierte, ob sie da ein paar Kröten für sich selbst einsteckte oder nicht, so oft hatte Pinid darauf bestanden, ihm ihre Ehrlichkeit zu beweisen. Abgesehen davon, dass es bei ihm ohnehin nichts zu klauen gab, vertraute er ihr voll und ganz. So kam es, dass Pinid der einzige Mensch war, der außer ihm selber einen Schlüssel für seine Wohnung hatte.

      Umgekehrt mochte sie ihn, weil er ihr, ohne lang zu verhandeln, einfach immer einen ordentlichen Batzen Geld für ihre bescheidenen Putzdienste abdrückte, nie über ihre Arbeit meckerte und nicht lang herumdiskutierte, ob sie nicht dieses oder jenes anders machen könne. Obwohl seine Wohnung und auch seine Wäsche schon meist in besonders ekelhaftem Zustand waren, wie sie fand.

      Frasther wiederum wusste wohl, dass er ihr viel zu viel bezahlte, doch solang die Hüttn sauber war, war ihm das schnurz. Das Einzige, was ihn ein bisschen nervte, war ihre übertriebene Aufdringlichkeit; er hatte ja nichts dagegen, dass sie ihm manchmal selbstgebackenen Kuchen oder ein Stück Curryhuhn vorbeibrachte, doch sie wollte ihn immer wieder auch zu Tee oder Kaffee einladen, um ihm dann endlos die Ohren vollzusülzen mit Geschichten, die ihm A) sauber wurscht waren und die ihn B) sowieso nichts angingen.

      Doch da er ja kein Unmensch war, biss er eben gelegentlich in den sauren Apfel und lauschte ein Stündchen oder zwei ihrem Gelaber – offenbar würde das heute wieder der Fall sein, denn solange sie hier am Saubermachen war, hörte sie garantiert nicht auf, ihm alles Mögliche zu erzählen. Und sie würde noch ein Weilchen beschäftigt sein mit dem Chaos, das er in einer Woche angerichtet hatte.

      „Soll ich ein' Tee machen fur uns? Habe gute P'isichtee…“

      „Na, du kannst dir gern einen machen, aber ich trink' um diese Uhrzeit nur Hopfentee.”

      Frasther parkte den Sechserträger neben seiner Pritsche, haute sich auf selbige drauf und griff nach einem Bier.

      „Nich' gesund, immer Bia t'inken”, tadelte sie ihn. „Mag' du nich' lieber P'isichtee mit mi' t'inken?“

      „Nee, Pfirsich ist mir jetzt zu süß – und vor allem muss ich nachdenken, da brauch' ich ein Bierchen dazu.“

      „Wo'übe' mu't du nachdenke', F'ather? Ha't du nette F'au get'offen?“, plauderte Pinid fröhlich drauflos.

      „Nein, es geht um einen Kumpel, der ein Problem hat…“

      Pinid verzog das Gesicht. „Ah, imme' P'omblem, imme' P'omblem! Ich habe auch P'omblem: Deine Wohnung ist wiede’ Sau’tall, wie imme’! Ich weiß nich', wie du das kann't, alle' in nu' eine' Woche so d'eckig mache'! Sokapok!“

      Frasther grinste; dieses lustige Wort benutzte sie oft, er vermutete, dass es in etwa „Kruzifix“ heißen könnte. Mit heiligem Ernst wühlte Pinid sich durch seinen Saustall, Bierflaschen schepperten, Wäschestücke flogen durch die Gegend, Abfall wurde vehement in Müllsäcke gestopft.

      „Ich mache imme' saube' und eine Woche späte' komm' ich und sieht aus wie bei Höhlemensch!”, sagte sie mit gespielter Entrüstung.

      Frasther räusperte sich: „Das heißt HöhleNmensch, Pinid…”

      Pinid marschierte zum Kühlschrank, neben dem sie eine zusammengefaltete Milchpackung liegen hatte; es ertönte ein spitzer Schrei: „Diese Mil' abgelaufen! Stink' ganz fu'chtelich!“, tadelte sie ihn.

      Frasther staunte nicht schlecht; dass er eine Packung Milch im Kühlschrank hatte, entzog sich seiner Kenntnis.

      „Hättest das Ding halt einfach auf den Hof rausgeworfen…“

      Pinid schüttelte energisch den Kopf. „F'ather! Schau diese D'eck an!“ Sie deutete auf zwei große schwarze Müllsäcke, die sie neben der Tür in Position