Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


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an Ort und Stelle zu sein. Frasther zog sich die Stiefel und seine Jeansjacke an und schlich sich still und heimlich aus dem Haus, so dass Pinid ihn nicht abfangen konnte. Er wollte sich nicht schon wieder ihren Wirbel um die Müllsäcke und das Leergut anhören, er hatte jetzt bei Gott Wichtigeres zu tun.

      Streiferl kam dahergebraust, als Frasther sich gerade einen Tschick zur Überbrückung der Wartezeit angesteckt hatte. „Wo soll's denn hingehen, Frasther?“, fragte der feiste, ewig schwitzende Taxifahrer mit der hohen Stirn und den beachtlichen Hängebacken. Streiferl hieß deshalb so, weil er schon einige 'Streiferl'* überlebt hatte; seine Körpermasse, der stressige Job und seine Ernährung, die hauptsächlich aus billigem Automatenkaffee und Fertigpizzas bestand, hatten seinem Herz schwer zugesetzt.

      „Zum 'Charley's' raus, hab' mein Baby dort stehen lassen.“

      Streiferl schnaufte schwer und brauste los. „Na, Frasther, noch alles dran an dir?“, fragte er und musterte Frasther dabei im Rückspiegel.

      „Na, logisch“, brummte Frasther und versuchte, so desinteressiert wie möglich zu klingen.

      Natürlich wusste Streiferl von seinen Kollegen von der Nachtschicht, dass Frasther an der Geschichte mit den brennenden Autowracks beteiligt war. Aber immerhin hatte er den Anstand, nur indirekt danach zu fragen.

      „War ja ganz schön was los letzte Nacht…“, setzte der Streiferl erneut an, als er von einer Ampel weg beschleunigte.

      „Streiferl?“, unterbrach ihn Frasther.

      „Ja?“

      „Fahr einfach.“

      „Okay, kein Problem, Frasther“, nickte Streiferl und verkniff sich jede weitere Intervention. Wenige Minuten später waren sie auf dem Parkplatz vom 'Charley's' angekommen. Frasthers Jeep stand noch immer brav dort, wo er ihn gestern abgestellt hatte; das blank gewienerte Kraftpaket bildete einen eigentümlichen Kontrast zur heruntergekommenen Fassade der Vorstadtkneipe. Nachdem er den etwas beleidigt dreinschauenden Streiferl bezahlt hatte, nahm Frasther auf dem Fahrersitz Platz. Er startete und ließ zugleich den Motor und den Hardrock aus den Lautsprechern aufheulen, dann fuhr er erstmal in Richtung 'Western Bar&Grill'. Er verspürte unbändigen Kohldampf, da half nur eine satte Portion Fleisch. Der Mittagsverkehr verlangte ihm wieder einmal alles ab; laut fluchend und die Faust schüttelnd staute er sich über eine halbe Stunde lang quer durch die Stadt, bis er endlich mit saurer Miene vor der Fressbude einparkte.

      Frasther liebte Ferdls 'Western Bar&Grill', hier wurde man ordentlich bewirtet, das Essen schmeckte garantiert, das Preis-Leistungs-Verhältnis passte, im Großbildfernseher lief der Sportkanal und wenn einem der Sinn nach gepflegter Unterhaltung stand, konnte man hier immer den einen oder anderen Gesprächspartner finden und sich dabei auch noch halbwegs sicher sein, dass dieser den eigenen, nicht eben bescheidenen, intellektuellen Ansprüchen genügte. Frasther stieß die Flügeltüren, die einem original amerikanischen Saloon nachempfunden waren, auf und trat breitbeinig auf den Tresen zu, hinter dem er bereits den Ferdl werkeln sah.

      „Servus, Ferdl, was gibt's Neues?”, schmetterte Frasther dem grobschlächtigen, rotgelockten Kerl hinter dem Tresen entgegen.

      „Frasther – na, du hast Nerven, hier einfach so reinzutanzen und zu fragen. was es gibt!”, schüttelte Ferdl ungläubig den Kopf.

      Frasther hockte sich nicht an den Tresen. „Wie meinst 'n das?“

      Als der Ferdl Frasthers etwas verwunderten Blick bemerkte, setzte er an: „Du bist wohl gerade erst aus den Federn gekrochen, was? Hast' noch nichts davon gehört, was diese Saubande im Parlament heute wieder verbrochen hat?”

      Frasther schüttelte den Kopf und schlug die Speisekarte auf. Der Geruch von frisch gebrutzeltem Fleisch, der aus der Küche herein wehte, veranlasste seinen Magen dazu, hörbar zu knurren.

      „Diese Scheißpolitiker haben wieder einmal die Getränkesteuer UND die Tabaksteuer erhöht, jetzt schon zum vierten bzw. sechsten Mal innerhalb von zehn Jahren!”, schimpfte der Ferdl drauflos und haute mit der flachen Hand auf die Tischplatte, dass es klatschte.

      „Was, die Tabaksteuer? Soll das heißen, die Tschicks werden wieder teurer?”

      „Ja, und das Bier auch, verdammt!”, brüllte Ferdl ihn an. „Wovon soll denn unsereins überhaupt noch leben? Die Getränkesteuer, die ich zusätzlich abführen muss, die muss ich doch an meine Kunden weitergeben, sonst kann ich das ja gar nicht mehr bezahlen!”

      „Apropos Getränke, du könntest mir schon mal ein Bier bringen; ich hab nämlich einen verfluchten Kohldampf, also brauch' ich Flüssignahrung, bis du mit dem Fleisch rüberkommst”, merkte Frasther an.

      Ferdl machte sich am Zapfhahn zu schaffen und brüllte weiter: „Wie gefällt's dir, in Zukunft fünf Eier statt vier fuffzig für eine Schachtel Tschick abdrücken zu müssen? Was hältst du davon, bald für ein Bier drei fuffzig statt drei zwanzig hinzulegen? Wie toll findest du es, ab dem nächsten Ersten fast das Doppelte für einen Klaren zahlen zu müssen? Weißt', die hohen Herren verlangen umso mehr Steuer, desto hochprozentiger der Stoff ist!”

      „Kruzifix, Ferdl, ich versprech' dir, dass ich dem ersten Politiker, der mir über'n Weg läuft, mit lieben Grüßen von dir einen Besenstiel in den Hintern stecke! Aber erst brauch' ich was zu futtern, um wieder klar denken zu können! Bring mir eine anständige Ladung Gegrilltes – wurscht was, Hauptsache, es geht schnell, aber stell mir erst das verdammte Bier her!”

      „Ned bös' sein, Frasther, aber die regen mich so auf…“ Ferdl beeilte sich, seinem Gast das Bier zu servieren.

      „Bin dir eh ned bös', Ferdl“, sagte Frasther und machte sich mit gierigem Zug über das Bier her. Ferdl verschwand in der Küche, nicht ohne laut weiterzuzetern, dass diese ganze verdammte Regierung endlich gestürzt gehöre; es bringe nichts, nur einzelne Minister umzulegen, nein, man solle gleich die ganze Bande geschlossen an den Laternenmasten rund ums Parlament herum aufknüpfen und ihre Kadaver dann dort verfaulen lassen, zur mahnenden Abschreckung für ihre Nachfolger. Frasther grinste; er kannte den Ferdl schon über zehn Jahre, und seit er ihn kannte, fantasierte der von seinem Lynchmob.

      Einige Minuten später stand ein dampfender Teller mit gemischtem Grillgut, vor Fett triefenden Fritten und jeder Menge gefährlich scharf und kalorienhaltig aussehender Soßen auf dem Tisch; Frasther schaufelte gierig riesige Brocken in sich hinein. In einem Lokal wie diesem trieben sich mittags Proleten allerlei Couleur herum: Die Jungs in den verschiedenfarbigen Handwerkeruniformen, die sich Kalorien für die Schwerarbeit am Nachmittag reinschaufelten. Auch Arbeiter in Zivil – zerschlissene Jeans und Holzfällerhemden – die vermutlich in den nahegelegenen Fabriken zu schuften hatten, sowie einige Halbweltgestalten, die um diese Zeit ausschließlich mit Sonnenbrille herumsaßen und sich so wenig wie möglich bewegten, irgendwo zwischen dem Kater vom Vorabend und dem Aufgewärmten von heute schwebend. Und natürlich die allgegenwärtigen Vollbsuff, welche hier allerdings nicht so zahlreich vertreten waren, denn der Ferdl achtete darauf, dass seine Bude nicht zu sehr verkam. So saßen nur drei von der Sorte herum und zuzelten an ihren Bier, ein Kugelrunder um die vierzig, ein Graubärtiger im zerschlisssenen Parka und ein ausgezehrtes Würstchen, so Anfang fünfzig, mit Schnapsnase und rotem Schädel.

      Als Frasther zwischen zwei enormen Bissen kurz rülpsen musste, nutzte er diese Gelegenheit, um nach dem Bier zu greifen und zwischen dem ganzen Schlingen mal einen ordentlichen Schluck zu nehmen. Da schien sich an einem der Nebentische langsam aber sicher ein Streit zu entzünden. Zwei der Proleten, die keine Arbeitsuniform trugen, stänkerten einen fetten, schon etwas älteren Kerl in blauer Monteurskluft an. Dieser kaute auf seinem Hähnchen herum und sagte gar nichts, doch einige seiner jüngeren Arbeitskollegen, die mit ihm am Tisch saßen, schimpften und drohten immer lauter in Richtung der beiden Aggressoren.

      Frasther tunkte das letzte Stück Fleisch in einen Batzen Senf und schlang es dann hinunter. Das hatte gut getan! Die Essensreste spülte er mit dem letzten Schluck Bier hinunter und zündete sich dann einen Verdauungstschick an. Obwohl der eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre, denn ihn hatte schon während des Essens ein allzu menschliches Bedürfnis zu drücken begonnen. Mit dem Tschick