könnte er auch die Ohren ein wenig aufsperren, was den Prag-Luis und dessen Probleme betraf; immerhin war der Hafen Bauchstich-Wiggerls Gebiet, hier saß also praktisch der Bodensatz der Gesellschaft, und wie alles andere sanken auch Informationen immer zu Boden.
Einen halben Hardrock-Song später parkte er quietschend vor dem 'Anker'; als er die schwere Eichentüre am Eingang aufstieß, drang ihm ein ziemlich aufdringliches Gemisch aus abgestandenem Alkohol, Schweiß, kaltem Rauch und gammeligem Fisch in die Nüstern. Die Spelunke war überraschend gut besetzt für diese Tageszeit. Die Klientel wirkte hier am Hafen noch um eine Ecke heruntergekommener als in der Vorstadt, und zusätzlich hingen noch einige besonders angesoffen wirkende, alte Fischer mit verfilzten grauen Bärten am Stammtisch und lallten miteinander.
Sonst war nur eine bereits ziemlich faltige, dafür aber umso nuttiger hergerichtete Schlampe zugegen, die mit hochgerutschtem Rock auf einem Barhocker lungerte und an einer Bloody Mary nuckelte. Der Barmann war kaum zu sehen im Halbdunkel der Spelunke – Frasther konnte nur einen plumpen Flecken in einer schmuddeligen Schürze ausmachen, der damit beschäftigt war, einige Gläser abzutrocknen. Er zündete sich einen Tschick an und ließ sich polternd auf einem Barhocker am Tresen nieder.
„Na, mein Süßer, wie geht’s denn so?”, sülzte ihn die alte Schlampe in einem Tonfall, der vermutlich verführerisch klingen sollte, an.
Doch Frasther zeigte sich desinteressiert. „Geht dich ‘n Scheiß an, lass mich in Ruhe!”, knurrte er sie an.
„Nun sei nicht gleich so angerührt, ich will mich ja nur ein bisschen nett unterhalten!”, gab sie zurück.
„Sei froh, dass ich nicht angerührt bin, denn dann bin ich nicht zu haben, klar? Und jetzt lass mich in Ruhe – wenn du jemanden zum reden brauchst, dann kauf dir einen Wellensittich oder sowas!” Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, haute Frasther mit der flachen Hand auf den Tresen.
Das Gemurmel im Lokal ebbte schlagartig ab, reduzierte sich herunter bis auf ein dezentes Raunen. Die Alte zuckte zusammen, seufzte und drehte sich weg.
„Einen ordentlichen Klaren, hätt’ ich gern!”, brüllte Frasther in Richtung Wirt. Jetzt kam der Wirt, mit einem kaum beherrschten Grinsen im Gesicht, auf ihn zu; seine Haut war teigig und er hatte Augenringe, die so tief waren wie alle Gläser, in die er schon reingeschaut hatte, zusammen. Der Geräuschpegel im Hintergrund schwoll langsam wieder an.
„Einen ordentlichen Klaren möchtest du, hast du gesagt?”, fragte der Wirt und musterte ihn. Frasther nickte. „Du wirst gleich die Ohren anlegen, Freundchen!”, sagte der Wirt und kramte eine Buddel unter dem Tresen hervor. Kein Etikett, nichts – und die Flüssigkeit darin war durchsichtiger als Luft. „Das ist ein Klarer, den wirst du nicht so schnell vergessen!”, prophezeite er und schob Frasther ein Stamperl rüber. Der schnupperte kurz prüfend daran, setzte dann an und kippte das Zeug weg. Eine Geschmacksexplosion am Gaumen war die Folge. Frasthers Alk-Sensoren tanzten erfreut und ein wohliger Schauer lief ihm den Rücken und die kräftigen Oberarme entlang hinab.
„Ahh!”, machte er, als er das Stamperl wieder abstellte und spürte, wie das Zeug sich in ihm setzte.
„Das ist wirklich der verdammt ordentlichste Klare, den ich seit langer Zeit getrunken hab'. Gleich noch einen, Wirt! Und trink gefälligst einen mit, setz ihn auf meine Rechnung!”
Der Wirt strahlte, beifälliges Gemurmel erhob sich in der Schenke. Zwei ältliche Schnapsdrosseln mit eindeutigen Gebrauchsspuren, die einen etwas jüngeren Sandler in die Mitte genommen hatten und offenbar auf in einsülzten, grinsten Frasther aufdringlich an. Mit freudigem Grinsen schenkte der Wirt nach, sie stießen an und tranken. Der Klare war wirklich von hervorragender Qualität: Auch beim zweiten Mal verursachte er noch genau dasselbe intensive, wohltuende Prickeln wie beim ersten Mal. Frasther strahlte und bestellte sich zum Abrunden noch ein Bier.
Da wurde polternd die Tür aufgestoßen und ein Prolet, auf den ersten Blick einer von Frasthers Schlag, nur kleiner, fetter, etwas älter und mit schüttererem Haar, betrat mit weit ausholenden, aggressiven Schritten die Schenke. Seine Fellhölzler klackerten auf dem Steinboden wie die Hufe eines Pferdes.
„Du hast Lokalverbot!”, bellte der Wirt, währenddessen eine der beiden ältlichen Schnapsdrosseln versuchte, sich unter dem Tisch zu verstecken.
„Hol' bloß meine Alte nach Hause, misch dich ja nicht in meine Ehe-Angelegenheiten ein!”, fauchte der Typ mit den Fellhölzlern zurück. Ohne ein weiteres Wort schnappte er sich die Schnapsdrossel, die sich versucht hatte zu verstecken, an an ihrer kitschigen Schulmädchen-Lederjacke. Dann zerrte er sie hinter der Bank hervor und legte ihr eine auf*. Der jüngere Sandler, der in der Mitte gesessen hatte, erhob schwach Prostest; auf einen scharfen Blick des Kerls hin steckte er jedoch augenblicklich auf.
Frasther beobachtete die Szenerie amüsiert; sein neuer Freund, der Wirt, brummelte hinter ihm: „Der drischt die Alte jetzt den ganzen Weg, bis nach Hause.“
Der Kerl zog die heulende Alte hinter sich her in Richtung Ausgang; als sie unterwegs einmal kurz richtig bockte und zu entkommen versuchte, schnalzte* er ihr links und rechts eine und zerrte sie dann an den Haaren weiter.
Als die Tür zufiel, erstarb auch das Gezeter der sich Wehrenden und es kehrte wieder Ruhe ein.
Frasther zog sich noch einige Biere rein, die er gelegentlich durch ein paar weitere Klare auflockerte, rauchte noch etliche Tschick und unterhielt sich mit dem Wirt, der ein intelligenter Mann zu sein schien, über die neuesten Motorsportsendungen im Fernsehen.
Er vergaß auch nicht, ein paar Anspielungen in Richtung ihrer Aktion von vergangener Nacht zu machen, doch hier erwies sich der Wirt als wenig hilfreich: Er hatte von der Sache noch nicht mal was gehört, schließlich hätte er in seiner Brennerei zu tun gehabt. So wurde es viel zu früh Abend, und als langsam die ersten Fischer und Hafenarbeiter auftauchten, um ihr Feierabendbier zu nehmen, bezahlte Frasther. Dabei vergaß er nicht, ein fürstliches Trinkgeld für die hervorragenden Klaren zu geben und torkelte dann aus dem 'Anker' heraus in Richtung Jeep.
Als er über den Parkplatz wankte stellte er fest, dass die Schnäpse ihm zwar ordentlich zugesetzt hatten, was unbedeutende Funktionen wie Gleichgewicht oder Sehschärfe betraf, dafür fühlte er sich wohl wie selten in seiner Haut und hätte am liebsten die sprichwörtlichen Bäume ausgerissen.
Die hohe Kunst des Schnapsbrennens konnte gar nicht zu überschwänglich gelobt werden, dachte er bei sich, als er fröhlich seinen Jeep aufsperrte und sich auf den Weg machte.
5 – Unterwegs im Ersatz-Benz
Frasther wusste, er musste sich nur ein wenig in der Nähe der Nutten herumtreiben, die sich für den Prag-Luis die Beine in den Bauch standen und darauf warten, dass ein fetter Kerl in einer weißen Karre auftauchte. Also gurkte er gemächlich in Prag-Luis' Revier herum, bis er eine genervt wirkende Blondine mit Pelzmantel und überkniehohen, weißen Stiefelchen erblickte. Er suchte sich einen Parkplatz in der Nähe, zündete sich einen Tschick an und beobachtete gelangweilt die Blondine bei der Arbeit.
War schon ein komischer Kauz, dieser Prag-Luis, sinnierte er. Immer voll unter Strom, immer gestresst, immer am Rande des Nervenzusammenbruchs – soviel wie der herumzappelte, hätte er eigentlich gertenschlank sein müssen. Doch seine Geschäfte hatte er unter Kontrolle, auch wenn man es ihm auf den ersten Blick nicht zugetraut hätte.
Es dauerte fast zwei Stunden, bis endlich ein verfluchter weißer Benz mit einem Schwabbel am Steuer auftauchte. Frasther hatte schon fast keine Tschicks mehr und ohne rauchen zu können, hätte ihn das Warten dann aber wirklich angeschissen. Sowieso hatte er sich sich die längste Zeit dafür verflucht, dass er vergessen hatte, ein paar Dosen Bier zu organisieren. Der Schnaps fuhr langsam aus und das drohte ihn müde zu machen. Immerhin – das Weib hatte in diesen knapp zwei Stunden fünf Typen gemacht, der Prag-Luis musste höchst zufrieden sein.
Er wartete ab, bis der weiße Benz zu dem Mädchen herangefahren war. Eine fleischige Pranke streckte sich der Kleinen entgegen. Diese holte brav ein Bündel Zaster aus ihrer Handtasche und legte es in die fordernd ausgestreckte Kralle. Ein kurzer Smalltalk folgte, das