Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


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legte den Brief auf die Seite; noch war er sich nicht sicher, was er in dieser Angelegenheit unternehmen würde. Vermutlich würde er Bumstis Flehen erhören und ihn mal besuchen gehen. Immerhin kannte er die Situation, in der der Ärmste sich befand, aus eigener Erfahrung – und daher wusste er auch, dass einem im Knast JEDE, aber auch wirklich jede Abwechslung willkommen war.

      Und dass er um Tschicks und Geld bettelte, verriet ihm, dass es dem Bumsti wohl nicht all zu gut ginge im Knast. Logisch, er war zu schwach um zu kämpfen und zu doof, um mit dem Schmäh durchzukommen. Ja, er würde ihn besuchen gehen und ihn ein wenig aufzurichten versuchen, beschloss Frasther und legte den Brief zur Seite.

      Dann nahm er sich das Flugblatt vom neuen Irish Pub vor. 'Blackbeard’s Tavern' hieß das Ding, aber in Frasther kamen bei dem Namen eher Piraten- als Irland-Assoziationen hoch. Er las sich den Prospekt zur Gänze durch und was er las, gefiel ihm. Die Beiz schien speziell für Klientel wie ihn geschaffen zu sein – von über vierzig gschmackigen Biersorten war die Rede, von originalem irischen und schottischen Whiskey, von „delikaten, herzhaften Snacks für den großen und kleinen Hunger”, die mit appetitanregenden Bildern illustriert waren und von Turnier-Dartkästen; mit denen wurden angeblich regelmäßig Wettkämpfe ausgetragen und der Sieger durfte jeweils die ganze Nacht lang umsonst fressen und saufen. Dart war allerdings nie Frasthers bevorzugter Kneipensport gewesen, genausowenig wie Billard – er war mehr der Tischfußball- und Flippertyp.

      Schließlich blieben nur noch die Anonymverfügung und die dazugehörenden Mahnungen übrig. Frasther riss der Reihe nach die Umschläge auf und zerknüllte gleich mal die Mahnungen, um sie dann im Stile eines Basketballspielers in Richtung Mülleimer zu werfen. Er schaffte zwei Drei-Punkte-Würfe, beim dritten Mal warf er jedoch zu lässig und das Papierknäuel sprang vom Rand des Mülleimers ab, um einen halben Meter weiter auf dem Boden herumzukullern. Mahnungen, das wusste er von vielen Strafzetteln, die er schon bekommen hatte, musste man nicht bezahlen, es sei denn, sie werden exekutiert.

      Auf der Anonymverfügung selber stand schließlich nur der übliche lapidare Standard-Absatz von wegen „Sie haben im angeführten Bereich blala… die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 27 km/h überschritten blabla… Messtoleranz wurde zu Ihren Gunsten abgezogen.” Wie Frasther bereits vermutet hatte, handelte es sich um eine Geschwindigkeitsübertretung.

      Unten angeführt Ort und Zeit des Vergehens; da es schon fast zwei Monate zurücklag, konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern, was er um halb drei Uhr morgens in der Kronprinz-Suffinsky-Allee, die ja weitab vom Schuss war, verloren gehabt hatte. Auf jeden Fall wollte der Staat jetzt das erkleckliche Sümmchen von Zwohundertfuffzig Eiern bei ihm einkassieren, zahlbar bis vor sechs Wochen. Zwohundertfuffzig, dachte er sich, das wird auch jedes Jahr noch teurer.

      Ärgerlich ging er zum Mülleimer und nahm die zusammengeknüllten Mahnungen wieder heraus. Natürlich griff er zuerst die beiden älteren Mahnungen, die ihm nichts nutzten. Er grunzte verärgert, als er zur dritten zusammengeknüllten Mahnung greifen musste, die zusammengeknüllt mitten auf dem Fußboden lag. Er peilte nach dem Datum und dann schritt er zu seinem Wandkalender, um den aktuellen Monat zu suchen. Soso, heute war also Donnerstag, der Vierte. Laut letzter Mahnung der zweitletzte Tag, an dem er die Strafe einzahlen konnte. Mist, auch das noch! Da würde er sich wohl oder übel drum kümmern müssen, ärgerte er sich.

      Dann parkte er sich wieder auf der Pritsche, stellte den Fernseher an und griff nach seinem Bier. Er erwischte eine Nachrichtensendung. Der erste Teil war angefüllt vom üblichen Politiker-Gestreite, Einer warf dem anderen etwas vor, woraufhin der andere widerum jenes über einen ganz anderen behauptete… man sollte die ganze Saubande in einen Sack mit Steinen stecken und wie junge Katzen ersäufen, dachte Frasther säuerlich. Dann kam der internationale Teil: Die Amis und Israel drohten wieder mal den Iran, welcher sich ungerührt zeigte. Dasselbe Scheißspiel wie seit x Jahren.

      In Afrika schlachteten sich wieder mal irgendwelche Ethnien gegenseitig ab – auch nix Neues, da unten krachte es ja mehr oder weniger regelmäßig. In England war ein Arbeitsloser Amok gelaufen und hatte in einer Bank fünf Angestellte erschossen und drei schwer verletzt, bevor ihn das Sondereinsatzkommando hatte zur Strecke bringen können. Frasther steckte sich grinsend einen Tschick an; der Kerl musste die Schnauze mächtig voll gehabt haben.

      In Kolumbien war ein Streik von Minenarbeitern durch paramilitärische Einheiten blutig beendet worden und natürlich hatten sich auch im Gazastreifen und im Westjordanland wieder irgendwelche Fanatiker selbst in die Luft gejagt. Dass denen nicht irgendwann der Nachwuchs ausging, darüber wunderte Frasther sich schon seit langem. Selbstmordattentäter war ja nicht gerade ein Job, für den viele erfahrene Fachkräfte zur Verfügung gestanden wären, da brauchte man im wahrsten Sinne des Wortes dauernd frisches Blut.

      Auch die amerikanische Botschaft in Albanien war von radikalen Islamisten gestürmt worden – im Fernseher flimmerten verwackelte Bilder, von einer Infrarot-Kamera aufgezeichnet. Zur Stunde wurde mit den Geiselnehmern verhandelt, die die Freilassung einiger ihrer Terroristen-Kumpels verlangten. Frasther schüttelte grinsend den Kopf; so lange er zurückdenken konnte, wurden überall auf der Welt Botschaften besetzt, Flugzeuge entführt und Geiseln genommen. Manchmal fragte er sich, ob das schon alles echt war oder ob die Medien das ganze Brimborium nicht einfach inszenierten, um etwas zum Senden zu haben.

      Doch schon wurde auf das nächste Thema umgeschnitten: Im Mittelmeer waren drei gekenterte Boote mit Flüchtlingen aus Afrika von der Küstenwache aufgebracht worden, von vermutlich über zweihundert Leuten hatte man nur etwa zwanzig lebend aus der schweren See bergen können. Frasther schüttelte den Kopf: Warum bauten diese Trotteln nicht einfach mehr Boote, anstatt sich zu Hunderten auf solchen Nussschalen zusammenzuquetschen? Es könnte alles so einfach sein, wenn mehr Menschen ihr Hirn benutzen würden, so wie er.

      Darüber grübelnd, schlief er auf seiner Pritsche ein.

      4 – Ehe-Angelegenheiten

      Am nächsten Tag erwachte Frasther so gegen zehn, als sich Sonnenstrahlen zwischen den Gardinen hereinschlichen, die vermutlich Pinid zurückgezogen hatte. Er grunzte; normalerweise waren die Fenster immer dicht, er konnte es nämlich nicht leiden, von der Sonne geweckt zu werden – meist ging er ja erst ins Bett, wenn die dicke gelbe Tante am Himmel aufging. Die Glotze flimmerte immer noch, es lief eine Windsurf-Übertragung. Auch so ein Sport, den man eigentlich auf die paar Sekunden beschränken könnte, in denen die Typen wirklich auf mörderischen Brechern ritten. Auf das ganze Herumgepaddel davor war mehr oder weniger geschissen.

      Er streckte sich; so früh war er schon lange nicht mehr aufgewacht. Zu seiner Verwunderung stellte er fest, dass er nur fünf Bier von seinem Sechserträger gepackt hatte. Einige Minuten aalte er sich auf der Pritsche und versuchte sich zu erinnern, was ihm am Vorabend durch den Kopf gegangen war. Der Fall war eigentlich ganz einfach – er musste unter die Leute, sich ein paar Informationen beschaffen. Dann würde er schon herausfinden, was es mit den Typen auf sich hatte, die sie gestern Abend aus dem Weg geräumt hatten.

      Seufzend erhob er sich und schlurfte zur Kaffeemaschine. Sich einen Kaffee aufzusetzen war so ziemlich das Einzige, das er in der Küche konnte, und das auch nur auf seinem alten Filter-Kaffeekocher. Als das Ding endlich lief, schälte er sich aus den Klamotten und tapste in seine Nasszelle hinein. Eine Dusche konnte nicht schaden.

      Nach der rituellen Waschung streifte er erstmal mit dem Handtuch um die Hüften auf der Suche nach frischen Kleidern durch die Wohnung; Pinid hatte die blöde Angewohnheit, das Zeug in irgendwelche Kästen zu schlichten und so dauerte es eine Weile, bis er eine Garnitur zusammengesucht hatte. Während er sich langsam anzog, zappte er bei einem Kaffee durch die Nachrichtenkanäle: Wieder einmal passierte auf der Welt offensichtlich nichts anderes als Scheiße. Kriege, korrupte Politiker, notleidende Banken, Umweltkatastrophen. Zum Glück ging ihn dieser ganze Mist nichts an.

      Er hatte ganz andere Sorgen: Erstmal musste er sich ein Taxi rufen, um zu seiner Karre zu gelangen. Dann stand ein Besuch in der Näherei Stoffner auf dem Programm und am Abend musste er den Luis irgendwo erwischen. So viele Aufgaben auf einmal…

      Nach dem Kaffee trieb es ihn aber erstmal ins Scheißhaus; nachdem das erledigt war, griff er nach seinem Telefon und