Marcello Dallapiccola

Malleus Proletarum - Der Proletenhammer


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an, die derartig stank, dass es ihn selber beinahe vom Hocker gehauen hätte. Als er danach wieder in den Gastraum zurückkehrte, war dort bereits ein heftiges Gerangel im Gange. Nur seinen durch jahrelange Kampferfahrung geschärften Reflexen verdankte er es, dass er sich gerade noch vor einem heranfliegenden Aschenbecher wegducken konnte, bevor dieser klirrend hinter ihm an der Wand zerschellte.

      Da erblickte er die etwas verzweifelte Miene Ferdls hinter dem Tresen, der gestikulierend zu ihm rüberbrüllte: „Heast*, stopp mir diese Trotteln!“

      Doch es hätte dieser Aufforderung gar nicht bedurft, denn Frasther war ohnehin bereits in Fahrt. „Welches Watschengesicht hat diesen Aschenbecher geworfen?”, herrschte er in die Menge.

      Es hatte sich jedoch schon ein sich am Boden windendes Knäuel mit dem üblichen glotzenden Halbkreis drumherum gebildet und niemand beachtete ihn. Also entschied Frasther, welcher der sich prügelnden Proleten der Schuldige sein musste, suchte sich dafür einen großen Kerl mit krausen, schwarzen Haaren in einem Blaumann aus und trat ihm mit der Spitze seines Bikerstiefels in den Hintern, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

      Da landete auch schon ein Leichtgewicht – vermutlich ein Lehrling – kopfvoran in Frasthers Bauch, von einem älteren, glatzköpfigen, stark schwitzenden Kerl in grauer Montur und mit riesigen Fellhölzlern an den Füßen dorthin gestoßen. Frasther ließ sein Knie gerade noch rechtzeitig hochschnellen und sah, wie der Junge die Augen verdrehte, als er zusammensackte.

      Der Kerl mit den schwarzen Haaren kam inzwischen faustschwingend auf Frasther zu, doch bevor er ihn erreichte, landete ein gezielter Tritt in seinen Eiern und er ging jaulend nieder. Der ist erstmal versorgt, dachte Frasther, als ihn irgendetwas derart an der Seite des Schädels traf, dass es ihn um einen halben Meter versetzte. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen und er spürte, wie er strauchelte; doch zugleich wallte auch der Zorn in ihm auf, jener unbändige Kampfeswille, der ihm schon oft in schwierigen Situationen die entscheidenden Kräfte verliehen hatte.

      Er drehte sich in die Richtung, aus der der Schlag gekommen war und bekam gerade noch rechtzeitig die Rechte hoch, umeinen heransausenden Stuhl abzufangen. Der schwitzende Kerl mit den Fellhölzlern schaute verwundert auf, als das Niedergehen des Stuhles plötzlich abrupt gebremst wurde. Der Arm schmerzte, doch da Frasther Linkshänder war, leitete er blitzartig alle verfügbare Kraft plus Hilfsenergie inklusive Notstrom in die zum Zuschlagen notwendigen Körperteile seiner linken Seite und verlieh dem Schlag noch zusätzlich mit einer geschickten Körperdrehung Dampf.

      Als seine Faust das verdatterte Gesicht des schwitzenden Typen traf, knackste das Nasenbein hörbar. Er hatte genau auf den ziemlich dämlich aussehenden Oberlippenbart des Proleten gezielt – einer dieser bescheuerten, schmalen Möchtegernschnauzer – und wenn sich hinter diesem belämmerten Gesichtsschmuck noch Zähne verborgen haben mochten, würde sich der Zahnarzt dieses Kerls sicher bald neue Chromfelgen für seinen Jaguar leisten können. Aber der Prolet war zäh; er schwankte zwar arg, aber er fiel nicht.

      Frasther entriss ihm den Stuhl und schleuderte ihn in die sich nun schon langsam wieder lichtende Horde der sich Prügelnden, dann verpasste er dem heftig aus der Schnauze blutenden Oberlippenbart eine blitzartige Rechts-Links. Die ließ ihn dann endgültig wie einen gefällten Baum rückwärts wegkippen. Frasther besah sich die Ästhetik des Falls, wartete bis der Kerl ganz am Boden war und trat ihm dann heftig in die Nieren. Ein Strahl aus halbverdautem Hackbraten schoss ihm aus dem Mund, klägliches Geröchel ertönte.

      Jetzt war Frasther auf Betriebstemperatur; er drehte sich um und erblickte den Blaumann mit dem Krauskopf, von dem der Streit vermutlich ausgegangen war. Inzwischen war das Gerangel zwar weitgehend eingestellt – auch weil der Ferdl inzwischen mit einem gemein aussehenden Gummiknüppel in der Hand aus der Küche aufgetaucht war – und der Blaumann sah auch nicht so aus, als ob er noch weiter Lust zu spielen hätte, doch Gerechtigkeit musste walten. Einige Schläge, Tritte und Flüche später war der Blaumann abgeschaltet und lag wie ein in den Seilen hängender Boxer auf einer der Sitzbänke.

      „Wenn jetzt nicht sofort Ruhe ist, geb' ich dem hier den Knüppel in die Hand!“, drohte der Ferdl und deutete dabei auf Frasther. Da kehrte wieder Ruhe ein; die Verletzten bekamen vom Ferdl einen Schnaps und die Ermahnung, Lokalverbot auf Lebenszeit würde drohen, sollte es einem von ihnen einfallen, die Bullen zu rufen und ihn somit in Schwierigkeiten zu bringen. Frasther bekam auch einen Schnaps – den Kaffee, den der Ferdl ihm anbot, lehnte er dankend ab – bezahlte und machte sich wieder auf den Weg.

      Als er über den Parkplatz zu seinem Jeep ging, stellte er fest, dass nicht nur sein Arm schmerzte, sondern auch seine Seite. Irgendwo war er wohl gegen einen Tisch geprallt – er überlegte, ob da wohl eine Rippe lädiert sein könnte, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Wenn er etwas absolut nicht gebrauchen konnte, dann war das ein nicht hundertprozentig einsatzfähiger Körper, schließlich war der sein bestes Kapital. Hirn hatte er zwar auch – Frasther wusste ganz genau, dass er ein schlaues Kerlchen war – doch um Theorie in Praxis umzusetzen, brauchte man immer noch Fäuste.

      Aber schmerzende Rippen hin oder her, er hatte noch einen Auftrag auszuführen. Immerhin hatte Bertl ihm vertrauensvoll eine Anzahlung auf die Kralle geblättert – und Frasther war ein einer Position, in der er sich alles leisten konnte, nur keine schlechte Propaganda. Die hatte man in diesem Gewerbe zwar nicht allzu schnell, doch wenn man einmal als unzuverlässig verschrien war, bekam man diesen Makel kaum noch los. Und natürlich keine gewinnbringenden Aufträge mehr.

      Also schwang er sich ächzend in den Fahrersitz und drehte den Hardrock voll auf.

      Da jetzt, am frühen Nachmittag, die ganzen Idioten, die normalerweise die Straßen verstopften, sich an ihren Schreibtischen die Ärsche wundhockten oder auf irgendwelchen Baugerüsten herumturnten, kam er relativ problemlos vorwärts und bog schon knapp eine Viertelstunde später in das Hafengelände ein. Es dröhnte eine Schiffssirene, ein abgetakelt aussehender und ziemlich besoffen wirkender Penner mit Kapitänsmütze hockte auf einer Sitzbank und grölte irgendwelche Fischerlieder. Zwei Kinder, die Frasther aufgrund ihrer karamelldunklen Hautfarbe gleich als Asylantenkinder identifizierte, machten Jagd auf ein paar Tauben, offenbar mit dem Ziel, diese zu essen.

      Er musste ein wenig herumgurken, weil er nicht genau wusste, welches dieser gleich aussehenden Gebäude die Nähfabrik beherbergte. Schließlich fand er jedoch einen verwitterten Treppenaufgang, der an den Seiteneingang eines Gefängnisses erinnerte, über dem ein ausgeblichenes Schild „Nähwerk Stoffner“ verkündete.

      Frasther sammelte sich kurz, schnappte sich seinen Baseballschläger, sperrte den Jeep ab und machte sich auf den Weg. Die schlichte Metalltür war verschlossen, es hing jedoch kein „Komme gleich”, „Heute geschlossen” oder ein ähnliches Hinweisschild daran. Er nahm seinen Baseballschläger und klopfte damit mehrmals laut und forsch an. Nichts rührte sich. Er klopfte ein zweites Mal, noch lauter und noch forscher, doch wieder rührte sich nichts.

      Nach zwei heftigen Fußtritten war das Problem überwunden und Frasther stand in einem Raum, in dem überall schwere Stoffballen herumlagen. Wie es schien, hatte niemand sein gewaltsames Eindringen bemerkt, das Rattern und Summen aus dem Nebenraum – vermutlich Nähmaschinen – riss nicht ab. Frasther packte als Erstes die Registrierkasse, rupfte sie aus der Verankerung und haute sie schwungvoll in hohem Bogen an die Wand. Befriedigt grinste er, als das nicht gerade robuste Teil scheppernd in tausende Teile zerbrach und ein Schwall klimpernder Münzen und knisternder Scheine sich auf den Fußboden ergoss.

      Dann legte er die paar Schritte zurück, die zur Tür in den Nebenraum führten, nicht jedoch ohne dabei wie wild seinen Schläger zu schwingen und alles zu zerdeppern, was ihm in die Quere kam. Außer Stoffballen war jedoch nicht viel da, und die Stoffballen zeigten sich nicht besonders beeindruckt. Das ärgerte Frasther; mit einen heftigen Fußtritt trat er die Tür zum Nebenraum auf und enterte ihn in geduckter Kampfhaltung mit schlagbereitem Baseballschläger. Viele braune Gesichter sahen auf einmal mit großen, staunenden Augen zu ihm hoch. Der Raum war viel größer, als er erwartet hatte; etwa zwanzig ziemlich kompliziert aussehende Nähmaschinen standen in Reih und Glied, und hinter jeder hockte ein verschrecktes braunes Gesicht. Die meisten davon waren weiblich, manche jedoch trugen auch schwarze Oberlippenbärte. Wahrscheinlich saßen hier auch die Eltern