Matthias Wagner

3000 Plattenkritiken


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Zeile wert, brächte sie nicht die uniforme Verwurstung eines jeden wehrlosen Talents so beispielhaft auf den Punkt. Die arme Sophie kann wahrscheinlich nicht mal was dafür, und eine schlechte Stimme hat sie auch nicht. Aber sie ist in die Mühle der Gleichmacher geraten und wird damit austauschbar – und langweilig. Einen Gnadenpunkt gibt’s für das einzige Stück mit Charakter auf dieser CD: „Listen“.

      The Nits

      „Ting” (1992)

      „Ting machen die Steine des Schweizer Skulpteurs Arthur Schneiter, wenn man sie mit einem Holzhammer traktiert. Und gerieben und gestreichelt fangen sie an zu sirren und zu singen, zu brummen und zu grummeln. Nicht nur Schneiters Soundsteine lassen uns beim elften Album der Nits die Ohren übergehen. Mit zwei Klavieren, einem Cello und vielfältiger Perkussion entstehen zerbrechlich-spröde, melancholische Songpreziosen, deren filigrane Leichtigkeit man zuletzt in den Minimalismen eines Wim Mertens finden konnte. Dazu singen Henk Hofstede, Rob Kloet und Robert Jan Stips metaphernreiche Gedichte, denen manchmal ein lapidarer Humor eigen ist („she is pregnant/like a raindrop“). Ein apartes Album, das auf Gitarren verzichtet und sich souverän jeder Kategorisierung entzieht. Art„rock“ aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit; ein Geniestreich.

      Tom Waits

      „Bone Machine” (1992)

      Allmählich schwindet die Faszination der kaum variierten schmutzigen Gossenwalzer von Tom Waits. Einzige Änderung gegenüber den Vorgängeralben: keine Bläser mehr, dafür eine strikte Triobesetzung (b, perc, g), der wir den tieffrequent pulsenden Klangschlamm unter Waits’ bourbonzerstörter Stimme verdanken. Ein paar zerrissen schöne Country- und Folknummern sind eingestreut (Gaststar erneut: Keith Richards); aber auch das ist seit „Rain Dogs“ zu typisch geworden, um uns noch mal zu verzücken. Trotzdem ist jede Waits-Platte noch immer ein Tritt in die Eier des überproduzierten Flachpop der Charts. Diese auch.

      Vox

      „From Spain to Spain” (1992)

      Mit bewundernswertem Ehrgeiz und Timing (Expo …) versucht die multikulturelle Chor- und Ethnoband auf ihrer zweiten CD, 1200 Jahre spanischer Musikgeschichte in eine knappe Stunde Laufzeit zu packen – wobei man ausschließlich Selbstkomponiertes spielt und dies in gewohnter Manier archaisch (arabische Trompeten und Vasen, Wassertrommeln) und technisch (Synthesizer) instrumentiert. Das klingt zwangsläufig weniger geschlossen als die Hildegard-von-Bingen-Adaption, vermittelt aber eine atemberaubende Ahnung von Zeit, von versunkenen Epochen und Kulturen. Aufnahmetechnisch eh von erlesener Brillanz, erfreut vor allem das Wiederhören mit dem ausgewiesenen Fremdkulturspezialisten und Ex-Embryo-Chef Roman Bunka, der diverse (auch exotische) Saiten zupft. Ein grenzüberschreitendes Werk für Menschen mit Sinn für Klangästhetik.

      Will

      „World Flesh Stone” (1992)

      Nachdem sie sich 18-mal hintereinander die Filme „Das Omen“ und „Der Name der Rose“ reingezogen hatten, legten Rhys Fulber, John McRae und Chris Peterson zwölfmal „Tannhäuser“ auf, ehe sie zu „Carmina Burana“ (24 x) und „Sadeness Part I“ (48 x) übergingen. Inzwischen graute irgendein Morgen, dem Trio indes vor nix mehr. Also ab ins Studio, dräuende Choräle gesampelt und diese Mini-CD aufgenommen. Ergebnis: musikalisches Methadon für Leute, die nach ihrem Austritt aus der katholischen Kirche unter unheilbarem Weihrauchentzug leiden und ihre Wackelknie mit ritueller Tanzraserei kaschieren wollen.

      1993

      „Die atemberaubendste Herausforderung seit der Erfindung von Presslufthammer und Abrissbirne.“

      aus der Rezension zu „Tabula Rasa“ der Einstürzenden Neubauten

      Billy Joel

      „River of Dreams” (1993)

      Wow, Billy, dieser brechende Klangdamm der ersten Stücke hat mich so weit fortgespült, dass ich gar nicht mehr mitkriegte, worum es dir eigentlich geht. Glücklicherweise trieb ein Rettungsring mit der Aufschrift „Piano Man“ vorbei; ich hielt mich fest und über Wasser. Sah plötzlich wieder Land, ließ mir von dir bei einem flackernden Strandfeuer von Propheten und Engeln erzählen, während du kräftig dem Klavier zusetztest. Da war sie wieder, deine alte Stärke: moderne Gefühlswelten und -kälten in raffinierte, packende Melodien zu stecken, die den ganzen Tüll gar nicht brauchen. Nach dem gospeligen Titelstück oder dem sanften „Lullabye“ schienen die vergeudeten Klangmassen von „No man’s Land“ wie ein böser Alptraum. Mein Fehler, die Repeattaste zu drücken.

      Black Sorrows

      „Better tTmes” (1993)

      Diese Band kann alles. Und zwar so perfekt, dass sie manchmal Gefahr läuft, zu viel davon zeigen zu wollen. Die Formation um den fantastischen Sänger Joe Camilleri beherrscht das Vokabular des Soulblues virtuos – vom schluchzenden Gitarrensolo bis zur räudigen Hammondorgel. Aber nicht in den USA, sondern in Australien sind sie zu Hause. Was sie nicht hindert, mit „Steps of Time“ detailgetreu den Iren Van Morrison zu kopieren – nicht plagiativ, sondern so verspielt, dass es die reine Freude ist. Diese (dritte) CD der Black Sorrows verspricht alles und hält fast genauso viel. Und immer, wenn eine Mainstreamtendenz auszumachen ist, führt ein packendes Geigen- oder Gitarrensolo wieder auf Kurs. Sollten die Black Sorrows die epigonalen Ketten noch sprengen, werden sie zu Superstars der 90er. Dafür lege ich all meine U2- und Simply-Red-Scheiben ins Feuer (nur nicht die von Van Morrison …).

      Bon Jovi

      „Keep the Faith” (1993)

      Jon Bongiovi ist schön. So schön, dass er eigentlich gar keine gute Stimme haben kann. Hat er aber. Und Rocksongs kann er schreiben – mon dieu! Sogar Balladen: „Bed of Roses“ ist zum Schunkeln und Schmelzen. Am Piano, in Reichweite der Fans, schmachtet es der 31.jährige Blondling mit romantischer Herzlichkeit, und doch mutet es noch schöner an, wenn er sich mitten im Bühnenrund auf einen Barhocker fläzt – in Muskelweste und so knallengen Jeans, dass er gar kein Höschen drunter tragen kann. Diese Frage stellt sich beim Gitarrero Richie Sambora erst gar nicht, weil man ihm eh nur auf die Finger guckt. Soli über Soli fegt Richie durch die Halle, da wimmert’s und eiert’s, und jedes Gejaul sitzt da, wo es hingehört. Wirklich gut, der Gig. Melodischer, mit perfektem Zusammenspiel protzender Saft’n’Kraftrock mit vielen lyrischen Momenten. Zum Hören und Schauen.

      Brothers Like Outlaw

      „The Oneness of II Minds in Unison” (1993)

      Vier von 13 Stücken kommen ohne Samples aus, bieten aber trotzdem ausreichend Futter für die Ghettoblaster. Wacher HipHop mit Clubsoul- und Acideinflüssen, natürlich politisch bewusst, doch weniger radikal als nachdenklich und reflektierend – Freizeitspäße wie Plündern und Brandschatzen stehen nicht auf der Checkliste der Brothers. Jedoch wird über den geforderten „Good Vibrations“ eins nie vergessen: „that we could get a piece of the cake“. Ein Album mit hypnotischen Melodieschleifen im Gewebe des instrumentalen Untergrunds, entliehen bei Steely Dan oder den Crusaders. Ein Album, das Schnittstelle sein will zwischen Radikalität und Kompromiss und dennoch weiß: „the struggle continues“.

      Controlled Bleeding

      „The Drowning” (1993)

      Freundin des Musikkritikers: „Meine Güte, mach das weg!“ Musikkritiker: „Aber der Background, die Message, das Auf-den-Punkt-bringen einer total zerstörten Umwelt, Entfremdung …“ Freundin (bellt los): „Natürlich haben sie alle eine total schreckliche Jugend gehabt und kein richtiges Zuhause und niemand, der sie liebte, aber mach das weg!“ Musikkritiker verstummt und macht das weg, weil ihm plötzlich klar wird, dass ihm der höllischste Lärm seit Ausbruch des Mount