Matthias Wagner

3000 Plattenkritiken


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Tribut, das getränkt ist mit den Klangfarben von Bläsern (darunter die Brecker-Brüder und Til Brönner), schmiegsam warmen Keyboards und kühlen Rhythmen von Airto Moreira oder Marcio Doctor. Landgren fasst Adderleys Werk bei den Wurzeln und modelliert es behutsam um für die Moderne des Jazz, die natürlich Soul und Rap integriert. Spätestens nach der eleganten Fassung von „Mercy Mercy Mercy“ ist die Frage, ob er noch Schüler oder schon Meister ist, kaum mehr zu beantworten. Oder endgültig.

      Notorious B.I.G.

      „Life after Death” (1997)

      Kaum sind die Lebenswerke im Kasten, sind die Rapper tot – Manna für Abergläubische. Nach Tupac Shakur starb nun auch Notorious B.I.G. im Kugelhagel, nicht ohne ein monströses, makaber betiteltes Album zu hinterlassen, das als alle New-School-Stile zusammenführendes HipHop-Monument Bestand haben wird. Allerdings muss über den Tribut geredet werden, den die Szene zahlt. Das Rappen vom Leben und Sterben als Gangmitglied, von Motherfuckers und Copkillers schien lange in Popkunst zu verwandeln, was anders zu Mord und Totschlag geführt hätte. Nun scheint es, als sei diese Trennung ein Trugschluss gewesen, als sei die Gewalt in den Köpfen nicht dauerhaft fern zu halten von den Körpern. Der Gangstarap muss beweisen, dass das anders sein kann. Sonst wird das Genre bald tot sein – ohne Aussicht auf ein life after death.

      Oasis

      „Be here now” (1997)

      „Definitely maybe“ (1994) war der kalorienreiche, aber nicht perfekte Aperitif, „Morning Glory“ (1995) der fette Hauptgang, und jetzt reicht Oasis-Kopf Noel Gallagher „Be here now“ nach. Doch was ist das – der Käsegang? Solch eine kräftige Rinde hatte jedenfalls noch kein Oasis-Album, so erdig-würzig arrangierte die Band aus Manchester ihre Musik noch nie. Die unglaubliche Dichte meisterhafter Songs auf „Morning Glory“ ist (natürlich) unerreichbar, doch Gallagher zieht sich gut aus der Affäre. „Stand by me“ etwa ist eine furiose Hymne ohne jeden Makel, „D’You know what I mean“ ein vollgepackter Noiserocker mit einem Refrain, der langsam, aber gewaltig kommt. Viele Songs retten sich in haushoch geschichtete Rockarrangements – zu einem muskulösen, manchmal beatleskem Album, das dieses Jahr in England (natürlich) niemand übertreffen wird. Nur sich selbst konnte Noel nicht schlagen. Aber Sally kann warten.

      Ocean Colour Scene

      „Marchin already” (1997)

      Ah, jetzt hineinstoßen in die Lücke, die ein schwächelnder Noel Gallagher offenließ … Doch OCS sind zu gut Freund mit ihm, um ihm in den Rücken zu fallen. Lieber verschnaufen sie selbst ein wenig nach dem großen 95er-Album „Moseley Shoals“. Gut, die 60er-Textur kriegt kaum eine Band so furios hin wie OCS, die Raffinesse von Rhythmen und Arrangements beeindruckt schwer, und die untergründige Besinnlichkeit der kraftvollen Songs sinkt ein in jedes Herz, das nicht versteinert und offen ist für Nostalgie. Doch kein Album, das sich orientiert an der großen Zeit der Hitschlachten, kann auf echte Hits verzichten. Also weitermarschieren; Kraft und Kondition dafür haben sie.

      OP8

      „Slush” (1997)

      Von jeher verstanden sich Giant Sand um Howe Gelb nicht als starre Combo, sondern mehr als lockerer Haufen musikverrückter Geister – ein verfolkter Jazzansatz mitten im Rock, der oft zu jamartigen Konzertmarathons führt, die man gerne und ohne Schaden mit flaschenweise Jim Beam befeuert. Mit der Künstlerin Lisa Germano wollen sie den verwuselten Giant-Sand-Sound vokal fester vertäuen, als es Mr. Gelb gemeinhin zu tun bereit ist. Das Ergebnis: vielschichtiger Wüstenrock mit ausgedörrten Akustikgitarren, kojotenhaft jaulenden Geigen und allem, was so rumlag in der Scheune. Und die Version des Klassikers „Sand“ wird bei Hazelwood/Sinatra nervös die Augenbrauen zucken lassen.

      Paul McCartney

      „Flaming Pie” (1997)

      Als Paul kürzlich zum Internetinterview bat, gingen fast 2,5 Millionen Fragen ein – Folge der unüberbietbaren Popularität der Beatles, die in einer Ära entstand, als einzelne Bands die Popwelt noch auf sagenhafte Weise beherrschen konnten. Auch solo hat McCartney eine beachtliche Karriere hinter sich, und er schreibt Songs noch immer so locker und leicht, wie man es nur kann, wenn alles, was zu beweisen war, bewiesen ist. Also serviert er uns Lieder, die zwischen Zwiebelschälen und -dünsten entstanden und von Jeff Lynne produziert sind, Popsongs mit süffigen Melodien, mit lieblichen und Liebestexten. Und manchmal rockt er sogar, lässt seinen Sohn mitspielen oder gibt sich als Soulcrooner. Passabel, Sir.

      Philip Catherine Quartet

      „Live” (1997)

      Kaum zu glauben, dass unter den Soloalben, die der belgisch-britische Gitarrist Philip Catherine seit 22 Jahren vorlegt, noch nie eine Liveplatte war – bis jetzt. Mit den schlagkräftigen Blaublütern Bert van den Brink (p, keyb), Hein van de Geyn (b) und Hans van Oosterhout (dr) spielte er dieses 73-minütige Konzert im holländischen Laren ein, und noch immer merkt man dem 55-Jährigen an, dass einer seiner frühen Helden Django Reinhardt war. Seine Combo lässt er locker swingen, alles hat einen federleichten Schwung, doch verantwortlich dafür ist nicht der Gitarrero alleine; vor allem van den Brinks Piano trabt über den Parcours, als sei das kompositorisch wie melodisch anspruchsvolle Hindernisrennen ein Klacks. Und das ist es ganz und gar nicht.

      Philip Glass, David Bowie, Brian Eno

      „Heroes Symphony” (1997)

      Mit „Low“ nahm sich der Popfan Glass schon einmal ein Bowie-Werk zur Brust, mit „Heroes“ hat er nun das Schlüsselwerk der 70er bearbeitet. Der Anteil Bowies und Enos ist gering, das ursprüngliche Werk selber verschwindet fast komplett unterm Klangdiktat des Glass’schen Stilwillens und wird zu einer melodischen Ahnung, über der die eitle sinfonische Fantasie des Komponisten thront wie eine Kathedrale. Bowies direkter Reflex auf den Punk und die Prophezeiung von New Wave und Ambient – alles drauf auf seinem „Heroes“-Album – spielen keine Rolle mehr in Glass’ Transformation. Die Euphorie und Trauer eines historischen Moments, die Bowie damals genial einfing, sind dort geblieben, wo „Heroes“ herkam: im Jahr 1977.

      Prince alias T.A.F.K.A.P.

      „Emancipation” (1997)

      Sein Output ist beachtlich. Oder hortete der wegen eines Rechtsstreits mit einer Plattenfirma eingeschnappte und sich deshalb „The Artist Formerly Known As Prince“ nennende Egomane, wirklich seit Jahren Songs? 36 Stücke jedenfalls umfasst sein monströser Erstling für die neue Firma, drei Stunden lang zieht er alle Register, aber erst in der zweiten Hälfte verstehen wir, warum Mr. Nelson mal Superstar war. Vorher serviert er Pop à porter, hübsch verziert mit Funk, Jazz und Kastratenkieksern, perfekt, doch kalt wie Matjes. Natürlich ist es fantastisch, wie er die vielen Klangornamente elegant dem Diktat des Groove anpasst. Doch erst ab Mitte von Platte zwei holt er die Instantgefühle aus der Vakuumtüte. „Dreamin about you“ ist eine zeitlose Kammerballade, „Curious Child“ eine moderne kleine Ballettmusik. Und am Ende, mit Stücken wie „Face down“, entzündet „Prince“ eine furiose House-Party. Dann wissen wir: Irgendwo im Prinzenreich lodern doch noch Flammen. Und zwar echte.

      Ray Charles

      „Genius & Soul – The 50th Anniversary” (1997)

      Zusammen mit Micky Maus und Zappa liefert er eine der klassischen visuellen Ikonografien des Jahrhunderts: die pechschwarze Brille, darunter das eingefrorene Cinemascopegrinsen vorm Pferdegebiss. Doch nicht nur die Gestaltung seines Gesichts, auch die schiere Verweildauer von Ray Charles in der Popkultur macht ihn zum Monument. Fünf CDs zum 50. Bühnenjubiläum sind daher nicht zu viel. Die Plattenfirma hat die Box prächtig ausgestattet – vom Klaviertastendesign über pralle Booklets bis zur chronologischen Songauswahl. Der Miterfinder des Soul, das wird deutlich, blieb anpassungsfähig über Dekaden, ohne zum Trendopfer zu