bei, auf der sich µ-Ziq, Tortoise und My Bloody Valentine über das verschrobene Kleinod „Autumn Sweater“ hermachen. Jetzt kann man selbst zu Tengo tanzen. Aber auch immer noch träumen, zur wunderlichen Grillenmusik von „Green Arrow“ etwa.
1998
„Wer es mag, um Mitternacht in den Randbezirken der Stadt von raunenden Nachtgeschöpfen hypnotisiert zu werden, für den ist dieses Album die Droge des Monats.“
aus der Rezension zu „Mezzanine“ von Massive Attack
Air
„Moon Safari” (1998)
Noch vor zehn, zwölf Jahren hätten wir diese Platte verachtet. Warum? Weil sie nur nach Schönheit strebt, nicht nach Reflexion oder nach Erkenntnis. Wir hätten sie „reaktionär“ geschimpft, sie mitverantwortlich gemacht für den Zustand der Welt und dafür, dass sie hilft, ihn zu zementieren, wenn auch nur ein kleines bisschen. Heute ist Easy Listening hip, und gewitzt-verschmitzte Leute wie Jean Benôit Dunckel und Nicolas Godin, die mit Vocoder, Moog, Orgel und allem, was sonst noch gut ist für luftigleichtes Sounddesign, sich selbst und uns ins zweckfreie Schweben bringen, kriegen hymnische Hommagen – sogar im Feuilleton von Wochenmagazinen. Natürlich: Nie trug Belanglosigkeit seidigere Gewänder. Nie war Musik leichter als Luft, doch die von Air ist es. Sie ist die Antithese zu den Slumaufständen in Straßburg und Marseille. Und eins ist sicher: Wer dort Barrikaden baut, wird Air hassen.
Beck
„Mutations” (1998)
Als er 1994 mit „Loser“ weltweit chartete, hätte wohl kaum jemand seine CD-Sammlung darauf verwettet, dass der kindische Bastler Beck aus Los Angeles mehr wäre als ein One-Hit-Wonder. Zwei Alben weiter wissen wir: Beck ist ein genialischer schöpferischer Dekonstruktivist, der fest auf dem Boden von Folk und Blues steht. Und ohne seine Lo-Fi-Fantasie herzugeben, gelingt ihm mit „Mutations“ doch ein Schritt in Richtung Mainstream. Eingestreute Noisesprengsel sind allenfalls Reminiszensen an seine Vergangenheit; das Gros der Songs ist gut durchstrukturiert und -gesampelt, gerät ihm zum klangvollen Anti- oder gar Neofolk. Nur eklige Bookletbilder und die Themen („Diamond Bollocks“) erinnern weiter an die „Loser“-Ära. Beck ist noch immer ein Kind. Aber ein erwachsenes.
Ben Neill
„Goldbug” (1998)
Drums und Bässe sind natürlich alle versammelt, doch der Clou an Ben Neills spezieller New Yorker Variante ist seine Trompete. „Mutant Trumpet“ nennt er sie, und ihr hoher Ton schlängelt sich unbeeindruckt vom elektronischen Ambiente durch den unterkühlten Sound. Erstaunlich, wie unbelebt ein Klangraum wirken kann, der aus der brodelndsten Metropole der Welt kommt. So wie seine Trompete im Sound muss sich auch Ben Neill in der Großstadt bewegen: mit blicklosen Augen, mit hochgezogenen Schultern. Und als wäre er ferngesteuert, rempelt er auch in der dicksten Bürgersteigs-Rush-Hour niemanden an.
Bob Dylan & The Band
„Live 1966 – The „Royal Albert Hall“ Concert” (1998)
Nach dem Konzert in Manchester 1966 packte Dylan die Gitarre ein, flog zurück nach Amerika, stieg aufs Motorrad, raste gegen einen Baum und brach sich einen Wirbel. Er überlebte, das Konzert auch: als illegaler, fälschlich als Royal-Albert-Hall-Auftritt deklarierter Mitschnitt, der sich 100 000 mal verkaufte; und man muss sich schon sehr wundern über die Marketingleute von Columbia, dass sie dieses Geschäft fast 30 Jahre lang den Bootleggern überließen. Das hat – endlich – ein Ende. In superber Klangqualität erleben wir Dylan und die Band auf der Höhe ihrer Schaffenskraft. Gerade hatten sie den Folkrock erfunden (was ihm, wie man jetzt endlich offiziell hören kann, „Judas!“-Rufe einbringt), und Dylan war der arroganteste Schnösel der Welt – warum auch nicht. Das Bootlegrepertoire ist um den Akustikset erweitert, Dylan singt schneidend, seine Gitarre füllt den ganzen Raum, die ganze Welt. Dann gieht er, fliegt zurück und steigt aufs Motorrad. Der Rest, heißt es immer so schön, ist Geschichte.
Böhse Onkelz
„Viva Los Tioz” (1998)
Verfolgt man die jahrelange Diskussion um die Onkelz, dann wird deutlich, wie weit das Diktat der political correctnes bereits geht. Den meisten Kritikern schien es egal zu sein, ob sie noch Faschos waren oder nicht – wichtig war ihnen nur, dass die unpassend erfolgreiche Combo sich verleugnete. Lippenbekenntnisse waren gefragt, nicht die Läuterung als solche. Und wie kann man die auch leisten – auf Knopfdruck? Nein, die Onkelz sind und bleiben „böhse“, auch wenn sie öffentlich Liebschäfchen machen. Doch wenn Stefan Weidner „Öch vermösse döösch“ singt, klingt das wie ein Satz aus dem neusten Moers-Comic, und in dem geht es um Hitler. Heavyrock zwischen Ton, Steine, Scherben, den Toten Hosen und Oi-Musik; auch das bleibt, wie es war.
Catherine Wheel
„Adam and Eve” (1998)
Dieses Album gehört zu jenen wenigen im Jahr, die Euphorie auslösen, weil hier der Rock ganz bei sich selber ist und ohne falsche Töne auskommt. Er hat Herz, er hat Eier. Jeder Song ist ernst und groß, strotzt vor Dramatik und Gefühl. Die so amerikanisch klingenden Briten erforschen das ganze Universum zwischen Wildheit und Verletzlichkeit. Der Vorgänger war noch fast durchweg krachig und gilt manchem als bestes Album der 90er (für die Single „Judy staring at the Sun“ gilt dieser Superlativ allemal); „Adam & Eve“ dagegen spielt mehr mit den leisen Tönen, und Sänger Rob Dickinson turtelt oft mit der Akustischen. Ein epische Album am Rand des Meisterwerks; sie hilft dem Rock beim Überleben.
Chezeré
„Upfront … and personal” (1998)
Schwer, sich zu entscheiden, wenn man so viel kann wie Chezeré. Soll man nun den lasziven Barvamp mimen oder die Acidjazzqueen im Glitzerkleid? Oder doch die Souldiva? Chezeré war früher bei den Urban Species, was ihr beim Solowerk indes keine echte Entscheidungshilfe lieferte. So hüpft sie von Stil zu Stil, strotzend vor Potenzial, doch letztlich unsicher, wohin ihr Weg führt in dieser Welt und wem sie denn nun folgen soll: dem Hammond-spieler? Dem Bratzgitarristen? Dem Club-DJ? Ihre volle Stimme ist am Ende der Dynamik immer ein wenig hart – wie die Entscheidungen, die man manchmal treffen muss im Leben. Und die man deshalb oft nicht trifft.
Conner Reeves
„Earthbound” (1998)
Der neue Stevie Wonder ist nicht schwarz, nicht blind und kein Amerikaner. Er ist weiß, trägt Brille und nicht mal schwer an seiner Bürde, Londoner zu sein, aber ein Soulherz zu haben. Es ist wie so oft bei einem jungen Talent, das so viel verspricht: Die Plattenfirma will den Durchbruch schnell, und sie investiert viel in Studiozeit und teure Produzenten – und das junge Talent sieht sich hilflos von aalglatten Klangwogen überspült. Im kargen Slowfunk von „We were only dancing“ steckt eine Ahnung, was aus diesem Album hätte werden können. Conner Reeves sollte den richtigen Mann um die Produktion der nächsten Platte bitten. Natürlich Stevie Wonder.
Cora E.
„CORAgE” (1998)
Manchmal reimt Cora Champagner auf Piranha, im Refrain singt eine Dame ziemlich engelhaft, und die Instrumentalspur fließt weich in Richtung G-Funk. Offenbar hat Cora eingesehen, dass einem Fristverzug – über ein Jahr lang wurde „CORAgE“ immer neu verschoben – am besten mit einem Schuss HipPop zu begegnen sei. Das ändert nichts daran, dass Cora textlich weiter die Old School verficht. Aber sie bläst auch zum Sturm auf Territorien, die fremdgesteuerten Kleiderständern wie Setlur allzu leicht zufielen. Sie ist die Rapperin für die Bonner Wende: eine sich kümmernde sozialdemokratische Jugendzentrumsaktivistin mit Wut auf die richtigen Dinge. So was kann 1998 nur gutgehen. Auch wenn zwischen Bosnien, Coras