Valuta Tomas

Restart


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schießt sie im Stuhl hoch und blickt mit großen Augen zum geöffneten Fenster. Das bellen eines Hundes dringt durch die Stille. Langsam steht Eden auf, tritt ans Fenster und blickt in die dunkle Nacht. Nur ein paar Laternen erhellen diese idyllische Gegend, welche keineswegs nach ihrem Geschmack ist. Sie will sich lieber in einer dreckigen Gasse wiederfinden. Sie will riechen, schmecken und spüren, wie das Leben ist. Das Leben und der Tod!

      »Morgen werde ich mir Soma mal etwas genauer anschauen«, flüstert sie sich leise zu und blickt noch immer durch die Nacht, auf der Suche nach dem bellenden Hund. Weil sie diesen aber nicht ausfindig machen kann, geht sie an den Computer zurück und will ihn ausschalten, als ihre Aufmerksamkeit auf eine Datei fällt, die sie bisher noch nicht geöffnet hat. Der Ordner trägt den Namen Rottweiler. Neugierig klickt sie zweimal auf das orangene Zeichen und wühlt sich durch die Akte. Interessiert zieht sie eine Augenbraue hoch, als sie den Namen Samantha Rodriguez lesen kann. Nach und nach bauen sich die Informationen auf, danach das Verbrecherfoto. Eine junge Frau, schaut Eden mit versteinertem Blick an. Ihre Augen sprühen vor Wut und Aggressivität. Dennoch sind sie zugleich unglaublich warm und haben einen fast liebevollen Ausdruck. Welch unterschiedliche Welten sich dort in den Augen widerspiegeln. Offene schwarze Haare, ein Piercing an der rechten Augenbraue und weiche Gesichtszüge.

      »Hm«, murmelt Eden. Genervt atmet sie dann aber tief durch, als sie Ryan hinter sich vermutet. Sie riecht ihn. Sie riecht den Duft eines Männerparfüms. Warum ist er wach und warum geht er ihr auf die Nerven? Kann sie noch nicht einmal mitten in der Nacht ihre Ruhe vor ihm haben?

      »Was ist?«, giftet sie zischend nach hinten. Sie wartet auf eine Antwort von ihrem Mann, aber er reagiert nicht. Es ist still. So still, dass Eden nur das Surren des Computerlüfters hört. Ebenfalls hört sie ihren Herzschlag, der ungewöhnlich hart und laut schlägt.

      Genervt, weil Ryan ihr nicht antwortet, dreht sie sich zu ihm um. Mitten in der Bewegung bleibt sie stehen. Hinter ihr steht niemand. Sie ist alleine im Zimmer.

      »Ryan?«, ruft sie vorsichtig. Keine Antwort. Was soll das denn? Sie hat ihn doch gerochen. Sie hat sein Parfüm gerochen. Ein Männerparfüm.

      Kopfschüttelnd, weil ihr diese Unterbrechung derzeit keineswegs passt, steht sie vom Stuhl auf und schleicht zum Schlafzimmer. In der Dunkelheit sieht sie Ryans Umrisse. Das laute Schnarchen verrät ihr, dass er tief und fest schläft. Wenn er aber im Land der Träume ist, warum hat sie dann ein Männerparfüm gerochen? Wird sie allmählich ganz verrückt? Hat ihr der Jahrelange Vitaminmangel so zugesetzt?

      Murmelnd setzt sie sich wieder an den Schreibtisch zurück und liest sich nach und nach die Straftaten dieser Rodriguez durch. Alles nur kleine Sachen. Raub, Einbruch, die üblichen Lappalien. Interessant wird es aber, als sie liest, dass die gute Frau zehn Jahre für mehrere Verbrechen gesessen hat, die sich erst nach einem bestimmten Zeitraum angehäuft haben. Plötzlich scheint die Frau einen brutaleren Weg eingeschlagen zu haben. Fast im wöchentlichen Rhythmus kommt eine neue Straftat hinzu, was Eden sehr auffällig vorkommt. Warum hat diese Rodriguez nur alle paar Monate zugeschlagen und plötzlich von einem Tag zum anderen, diese ganzen Sachen gemacht? Wurde sie süchtig danach?

      Eden liest sich die Akte bis zum Ende durch und muss ernüchternd feststellen, dass sie mit dieser nichts mehr anfangen kann. Rodriguez ist tot! Selbstmord! Was??

      Steif schreckt Eden im Stuhl hoch und schaut sich diese Samantha genauer an. Selbstmord? Wieso Selbstmord? Was hat sie dazu getrieben? Sie kam mit fast zweiundzwanzig ins Gefängnis, verbrachte dort zehn Jahre ihres Lebens, kommt frei und bringt sich fast dreißig Stunden später selber um? Da stimmt doch was nicht! Das kann doch nicht sein!! Sie hatte doch noch ihr ganzes Leben vor sich! Wieso baut sie so ein Vorstrafenregister auf, hält all die Jahre im Knast durch und bringt sich dann auf freiem Fuß um? Hätte sie das nicht ihren Mithäftlingen überlassen können? An diesem Braten ist definitiv was faul.

      Eden scrollt die Akte weiter durch, arbeitet sich durch die Reiter und kommt zu den Verbindungen, die jede Person im Leben hatte und für spätere Fälle oder Akten gespeichert werden.

      »Five Dogs?«, flüstert sie murmelnd und lehnt sich weit zum Bildschirm vor. Nach und nach nimmt ihr Gehirn mehrere Informationen auf. Tätowierung, Matt, Laura, Bewährung, Dead Rabbits! Dead Rabbits? Dead Rabbits?? Sofort wandert ihre Hand über ihren Arsch. Sie fühlt die Tätowierung nicht, weiß aber, dass sie da ist. Dort prangt ein zuckersüßes Kaninchen. Dead Rabbits! Sie war (nach Ryans Aussage) selber zwei Jahre ein Kaninchen. Nur warum? Warum wurde sie in diese Gang geschleust? Und was haben die Dead Rabbits mit den Five Dogs zu tun? Wo steckt da die Verbindung?

      Eden klickt wieder auf den ersten Reiter zurück und betrachtet das Foto dieser Rodriguez erneut.

      »Ich liebe dich Neve!! Ich habe dich von der ersten Sekunde an geliebt und ich werde dich bis in die Ewigkeit lieben!«

      Erschrocken dreht sich Eden um, als sie eine weibliche Stimme dicht hinter sich hört. So dicht, als wenn jemand ihr im Nacken sitzen würde. Hektisch blickt sie sich im dunklen Zimmer um, sieht aber nichts. Keinen Menschen, keinen Geist, nichts.

      »Hallo?«, flüstert sie leise, aber keineswegs verängstigt. Eher angespannt! Sie steht vom Stuhl auf und geht zur Tür.

      »Ryan?«, ruft sie gedämpft durch den Flur, hört als Antwort aber lediglich ein regelmäßiges Schnarchen. Mit einem Ruck dreht sie sich um, tritt an das Fenster und durchsucht erneut die dunkle Nacht. Dieses Mal aber auf der Suche nach einer Person. Nichts! Sie hört und sieht rein gar nichts. Es herrscht Totenstille.

      »Was zur Hölle…?«. Murmelnd zieht sie den Kopf vom Fenster weg und tritt wieder an den Computer. Sie blickt wieder in das Gesicht dieser Rodriguez und versucht sich die Worte ins Gedächtnis zu rufen, die auf unheimliche Art und Weise, durch das Zimmer getragen wurden. Irgendwie kam es ihr auch vor, als wenn die Stimme in ihrem Kopf gewesen wäre. Das kann aber nicht sein, weil es eine völlig fremde Stimme war. Zugegeben, sie kennt sich selbst noch nicht. Aber ihre eigene Stimme kann sie schon erkennen. So bescheuert ist sie dann doch nicht geworden.

      »Neve! Wer ist Neve?«, flüstert sie leise und wandert mit ihren Augen auf dem Verbrecherfoto dieser Sam umher. Pore für Pore begutachtet sie das Bild, findet aber nichts, was auffällig ist.

      »Neve‼«, nuschelt sie weiter. Dann fällt ihr etwas ein. Sie klickt zu den Verbindungen zurück und ist sichtlich stolz auf sich, dass sie sich unbewusst wieder eine wichtige Information gemerkt hat. Neve Preston! Da ist er! Dieser Name! Diese Samantha hatte also eine Verbindung zu Neve Preston. Ok und wer ist das?

      Neugierig und interessiert, klickt Eden auf den Namen und sieht der Technik dabei zu, wie eine neue Akte geöffnet wird. Sie fällt aus allen Wolken, als sie plötzlich eine Polizistin vor sich sieht. Eine junge Frau in Polizeiuniform, grinst sie mit einem stolzen, aber ernsten Ausdruck an. Dieses Foto wurde offensichtlich kurz nach der Academy aufgenommen. Denn (wie Eden lesen kann), wurde die gute Frau zweiundvierzig. Auf dem Foto ist sie aber sichtlich jünger.

      Ok, eine Polizistin also. Und wo steckt da die Verbindung zwischen ihr und Samantha Rodriguez?

      Immer wieder klickt Eden zwischen den beiden Akten hin und her und versucht eine Verbindung zwischen den beiden Frauen aufzubauen. Sie scheitert aber kläglich. Nichts deutet daraufhin, dass sie etwas gemeinsam hatten. Das was Eden allerdings bei dieser Neve gegen den Strich geht, ist die Tatsache, dass in der Akte vermerkt ist, dass sie vom Polizeidienst unehrenhaft entlassen worden ist und kriminell wurde. Wie zur Hölle kann man zum Verbrecher werden, wenn man jahrelang das Gesetz vertreten und kriminelle Menschen ins Gefängnis verfrachtet hat? Was treibt einen Menschen dazu, so einen gravierenden Turn im Leben zu machen? Was ist da nur passiert? Was ist mit dieser Neve passiert?

      Eden wälzt sich weiter durch die Akte und sucht noch immer nach einer Verbindung zwischen Neve Preston und Samantha Rodriguez. Fast eine halbe Stunde klickt sie hin und her, bis es ihr auffällt. Nur eine winzig kleine Notiz! Ein Datum und eine Uhrzeit, mehr nicht. Der Todeszeitpunkt! Beide sind am selben Abend und offensichtlich zum gleichen Zeitpunkt gestorben. Aber warum? Wieso sterben zwei Menschen am selben Ort und zur selben Zeit? Gibt es da vielleicht eine tiefere Verbindung zwischen den beiden Frauen, als diese Akte hergibt?

      Diese