Frank Strick

Null Jahreszeiten


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Vier Wände, Decke, Boden, Box halt.“ Keiner der Schlüssel passt. „Komme morgen. Habe ich mehr Schlüssel.“ Fronzek drängt sich an der Vermieterin vorbei und tritt die Tür ein.

      „Sehe Box mit Loch“, grölt Albers.

      „Njiet. Du zahlst.“ Der Finger der Vermieterin deutet auf Fronzek. „Eine Hundert.“

      „Box mit Loch“, grölt Albers.

      „Ruhig, Dicker.“ Fronzek gibt der Vermieterin das Geld und schiebt die kaputte Tür in das Zimmer.

      „Matratze ist weg“, stellt die Vermieterin fest, „weg ist Matratze.“

      Fronzek scannt den Raum. Sieht: schmutzige Wäsche, Schimmel unter dem Fenster, offenen Putz, Risse im Putz, eine leere Schnapsflasche, eine getrocknete Pfütze unter der Flasche, offene Konserven, ausgedrückte Zigaretten, keinen Zimmerschlüssel im Türschloss, dunkellackierte Dielen, da, wo die Matratze gelegen hat, ausgeblichene Dielen, da wo die Matratze nicht gelegen hat, ein Loch in den Dielen. Riecht: schlechte Luft, sehr schlechte Luft. Hört: die U-Bahn. Öffnet: den Mund, schreit, dreht sich im Kreis, schreit, sein Blick findet den der Vermieterin, die kann den Schrei nicht einordnen, sagt: „Box von Herr Hanka.“

      Fronzek sagt: „Kein Wunder, dass er weg ist.“

      Julia hält Corinnas Hand. Die Hand zittert. „Ja wo ist er denn?“ Auch die Stimme zittert. Corinna deutet in das Zimmer. „Ja wo ist er denn hin?“ Fronzek kniet sich auf den Dielenboden und bricht einen Splitter aus dem Holz. „Sieht aus wie ein Einschussloch.“ Er erhebt sich. „Ist hier jemandem etwas aufgefallen?“

      „In Haus“, fragt Kosloff, „meine Mjietern?“

      „Ob ...“ Fronzek hält inne. Sieht die Vermieterin an. Es ist ihr Zimmer. Es sind ihre Mieter. Diese Frau ist hier zu Hause. Etwas an ihr gefällt ihm nicht. Er kann es nicht greifen. Er will eine Antwort. Er will die richtige Antwort. Er stellt die Frage offen, um Raum für die richtige Antwort zu lassen: „Ob Ihnen jemand erzählt hat, dass er etwas Ungewöhnliches bemerkt hat, Frau Kosloff, irgendetwas.“

      „Ja was denn?“

      „Ja einen Schuss zum Beispiel?“ Er hält ihr den Splitter hin. „Diesen Schuss?“

      „Njiet. Meine Mjieter genjieße privat Sphäre, okä, weil sie wunsche das, und ich erfülle Wunsch, okä, weil ich wunsche das auch.“

      „Hier werden Menschen erschossen, und es geht niemanden etwas an“, geht Schleyer dazwischen, „interpretiere ich das so richtig?“

      „Kann man so sehe“, sagt die Vermieterin, „aber wird njiemand erschosse hier.“

      „Wann haben Sie Sailor zum letzten Mal gesehen?“

      „Ist das Verhör?“

      „Kann man so sehen“, sagt Schleyer, „aber es wird hier niemand verhört.“

      Fronzek hebt beide Hände auf Schulterhöhe, er ändert die Taktik. „Ich möchte wissen, wo mein Freund ist, in Ordnung?“ Er wirft einen Blick in die Runde und lässt die Hände wieder sinken. „... wo unser Freund und Ihr Mieter ist.“ Sein Blick ruht jetzt auf der Kosloff. „Ich habe das Gefühl, dass er nicht wieder auftaucht, ja, also müssen wir uns dahinterklemmen, dass er eben doch wieder auftaucht?“

      „Hab ihn ganze oft njieacht sehen.“ Kosloff stützt sich mit einer Hand an der Wand ab und zieht am rechten Socken. „Vor eine Monat, da ist er laufe weg vor mir.“

      „Weil?“ Die Frage kommt von Albers.

      „Weil war ich hinter ihm her.“

      „Sailor läuft vor niemandem weg.“

      „Wenn sie Mjiete schuldig, sie laufe alle, was glaubst du.“

      „Und wo laufen sie hin?“ Fronzek sieht die Frau durchdringend an. „Und was passiert mit denen, die nicht laufen?“ Er geht einen Schritt auf sie zu, strahlt jetzt wieder Bedrohung aus. „Justin!“ Man erkennt an der Stimme, dass Kosloff es gewohnt ist, Befehle zu erteilen. Der Leibwächter schiebt sich vor sie. Kosloff guckt an ihm vorbei und Fronzek an. „Jemand, der zahlt njieacht Mjiete, bekommt kundigt, was glaubst du?“

      „Was ist passiert?“ Ein weiterer Mann in ärmellosem Shirt beugt sich in das Zimmer. „Alles in Ordnung, Boss?“ Sein Körperbau steht dem des Mecklenburgers in nichts nach. „Gibt es ein Problem, Theresa?“

       „Kann man sagen“, sagt die Vermieterin, die mit Vornamen Theresa heißt, „die Herrschaften belästigen mich.“ Sie deutet auf den Mann. „Sudanesische Schrank mjiet zwei Beine, Ibrahim Chalil, sage ich Charlie.“

      „Haben Sie jemanden schreien hören, Charlie?“, will Fronzek wissen.

      „Sind das die neuen Mieter?“, ignoriert der Sudanese die Frage.

      „Freunde von alte Mjieter, haben auch keine Manjieren.“

      „Haben Sie einen Schrei gehört?“, wiederholt Fronzek seine Frage.

      „Weiß nicht“, sagt der Sudanese, „in Kreuzberg da schreien viele.“

      „Sind Sie hier, weil Sie einen Schrei gehört haben“, konkretisiert Fronzek, „gerade eben erst?“

      „Die U-Bahn, wenn da die Bremsen durch sind, dann kann man meinen, dass da einer schreit.“ Der Sudanese sieht Richtung Bahngleise, dann auf die Gesellschaft. „Und ich dachte, du hättest die Box schon wieder vermietet.“

      „Ganze so schnell das gäht njieacht.“

      „Es ist, weil ...“ Er sieht die Vermieterin an. Die erwidert den Blick. „Charlie, njätz ich will das wisse.“

      „Da war vor einer Stunde eine Frau, Boss. Sie kam aus der Box.“

      „Hat sie sich vorgestellt?“, hakt Fronzek nach.

      Der Sudanese wendet sich Fronzek zu, sieht ihn jetzt direkt an, sein Blick ist nicht unfreundlich, er versucht lediglich, den Mann einzuschätzen. „Nein.“ Sein Blick findet zurück zur Vermieterin. „Ist das so korrekt, Boss?“

      „Njiet, fängst du njieacht an damit.“

      „Du bist der Boss.“

      „Ich Boss“, bestätigt die Kosloff, „hast du Frau sehen, ich hab njieacht sehen, okä, und wenn du möchtest mir etwas sage, was ist vertraulich, dann wir machen das später.“

      „Aus der Wohnung raus“, sagt Fronzek, ,,und dann? Mensch lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen.“

      „Stand mit der Matratze im Gang, und ich musste mich dran vorbeipressen.“ Der Sudanese drückt sich zur Erklärung flach an die Wand.

      „Frau hat Matratze“, schlussfolgert Albers, „Matratze hat Frau.“

      „Meine Matratze“, bestätigt Frau Kosloff, „wer klaut das?“

      „War sie allein?“ Die Frage kommt von Fronzek.

      „Hab sonst keinen gesehen.“

      „Wie sah sie aus?“

      Der Sudanese malt mit den Händen Kurven in die Luft. „Das Becken ...“

      „Das Gesicht, Mensch, was interessiert mich ihr Becken?!“

      „Es ist, dass er njieacht sich will aufdränge“, geht die Kosloff dazwischen, „njieacht, wenn es wird eng, und njieacht in unsere Haus, viele Dank.“

      „Nicht aufdrängen“, sagt Albers, „wegen Privatsphäre?“

      „Gluckwunsch, Sie habe verstande.“

      „Und dann guckt er den Frauen in den Schritt?“, sagt Fronzek.

      „Na was finde Auge, wenn Sie stehe vor jemand und Blick geht Richtung unten?“

      „Schön.“ Fronzek schafft die Sache mit einer Geste aus der Welt. „Alter, Haarfarbe,