Thomas Riedel

Tamora - Im Sumpf des Lasters


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erwiderte Tamora. Sie wusste jetzt zwar einiges über Violetts Wurzeln, aber noch lange nichts über deren Leben, das sie als Prostituierte führte. Und schon gar nicht darüber, wie es überhaupt dazu gekommen war.

      »Wie ist das mit deinen Geschwistern?«, hakte sie nach.

      »Ich habe keine Ahnung, was die machen. Es interessiert mich auch nicht wirklich, wenn ich ehrlich sein soll. Ich bin einfach heilfroh, wenn ich von denen keinen sehen muss.« Violett hatte sich erhoben, war zum Fenster gegangen und sah hinaus. Nach einer kurzen Weile wandte sie sich wieder Tamora zu und betrachtete sie eingehend. »Ich will dir mal was sagen, ich werde es schaffen, verstehst du!«, brach es plötzlich aus ihr heraus. »Das ist mein fester Wille. Ich will nie mehr arm sein. Eines Tages habe ich genug auf die Seite gelegt, dann brauche ich das nicht mehr zu machen und werde jemand sein … Hat Marc Aurel nicht einmal gesagt, dass jeder nur so viel wert ist wie das Ziel seines Strebens?«

      »Zumindest würde es zu ihm passen«, erwiderte Tamora, während sich Violett köstlich über die Verblüffung amüsierte, die sich angesichts des Zitats auf Tamoras Gesichtszügen zeigte. »Ich wünsche dir, dass du es schaffst … ganz ehrlich.« Sie dachte dabei an das, was ihr in der letzten Zeit alles passiert war. Nein, gegen das Schicksal kommt man nicht an. »Aber vergiss nicht, dass der Zufall die Vorsehung schnell untergraben kann.«

      »Was ist deine Vorbestimmung?«, erkundigte sich Violett lächelnd, wartete aber nicht auf eine Antwort. »Letztlich ist es nur ein Wort. Eines, das ich zum Kotzen finde, um es mal so drastisch auszudrücken. Wir allein sind Schuld an unserer Situation, ganz allein, und nicht das Schicksal. Da geschieht etwas, wir haben für einen Augenblick nicht aufgepasst und schon ist es geschehen. Man muss vorbereitet sein, alles einplanen und sich in Acht nehmen, dann kann einem nichts mehr passieren.«

      Tamora wollte etwas entgegnen, kam aber nicht dazu.

      »Ich will ja nicht gerade behaupten, als Kind schon gewusst zu haben, was aus mir einmal werden würde. … Soll ich dir einmal sagen, wann ich das erste Mal mit einem Mann geschlafen habe?«

      Tamora nickte.

      Violett setzte sich wieder, goss abermals Tee nach und griff erneut zum Zigarettenpäckchen. Der Tee schien sie etwas zu beruhigen.

      Ich kann es immer noch nicht glauben, ging es Tamora durch den Kopf. Ich sitze in dem vornehmen Salon einer Prostituierten und unterhalte mich ihr. Das wird mir keiner glauben.

      »Ich war gerade elf Jahre, als ich in das Viertel kam. Damals meinten alle, an mir etwas Besonderes zu finden. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, was das gewesen sein könnte … schließlich war ich eher schnippisch, vorlaut und recht kess. Vielleicht meinten sie ja das und das ich anders angezogen war. Ich lief nicht so verdreckt herum, während die anderen Mädchen immer irgendwie schmuddelig aussahen.« Sie sog wieder an ihrer Zigarette und klopfte etwas Asche in die Kristallschale. »Jedenfalls war ich noch nicht lange dort, als ein baumlanger Bursche auf mich zukam. Ich erinnere mich daran noch sehr genau. Ich stand an einem Schuppen, der sich ganz hinten im Hof befand. Die anderen Mädchen fingen bereits an zu kichern, weil sie schon wussten, was kommen würde. Damals war ich noch echt bescheuert und hatte keine Ahnung.« Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück und zog die Beine an ihren Körper. »Der Junge, den Namen habe ich vergessen, meinte dann plötzlich, ob ich schon mal oder ob eben noch nicht. Ein paar von den Mädchen kreischten und machten darüber lustig, dass ich ja gar nicht wüsste, wo es lang ginge und der Bursche fragte, ob ich mir denn damit noch keine Knete verdient hätte. Mir war das richtig peinlich und ich fühlte mich echt schlecht.« Um ihre Lippen zuckte es leicht. »Er kam dann später noch einmal auf mich zu und meinte, er hätte jetzt echt Bock auf mich. Ich sei ja so anders und er wolle mich einmal ausprobieren. Er stand dabei ganz dicht vor mir und wollte mich in den Schuppen stoßen. Ich dachte, der wird mich jeden Augenblick verprügeln, wurde wütend und versuchte mich verzweifelt zu wehren. Die Mädchen waren auch wieder da und kreischten vor Vergnügen. Ich weiß noch, dass eine schrie, sie hätten ihm doch gleich gesagt, dass ich noch ein Baby sei und von einem richtigen Fick nichts wüsste.«

      Tamora stellte ihre leere Teetasse vor sich auf den Tisch und schenkte sich aus der Kanne nach. Aufmerksam lauschte sie jedem Wort und nickte Violett von Zeit zu Zeit auffordernd zu, doch weiterzuerzählen.

      »Der Bursche war kräftig und schien auch mit denen machen zu können, was er wollte. Ich wusste damals jedenfalls nicht wirklich, was er von mir wollte. Auch war ich viel zu schwach, um mich lange gegen ihn aufzulehnen.« Sie drückte ihre Zigarette aus. »Als er mich im Schuppen hatte, jagte er die Meute vom Fenster und kam wieder auf mich zu. Ich stand stocksteif an der Wand. Dann hob er langsam meinen Rock hoch und grinste mich an. Mir war das alles furchtbar peinlich. Ganz plötzlich war er dann mit seiner Hand in meinem Slip und mir wurde ganz anders ... Da war ein eigenartiges, fremdes Gefühl. Er hat nur gelacht und gemeint, ich sei ja wirklich noch völlig ungebraucht und ich solle mich auf der Stelle hinlegen, weil er sehen wolle, ob er mit mir etwas anfangen könne. Meine Knie waren ganz weich. Ich überlegte wegzulaufen, aber damit hätte ich mich zu Gespött der anderen gemacht und irgendwie wollte ich auch gar nicht, dass er aufhört.«

      Tamora nahm einen Schluck Tee und fragte sich, wie sie selbst in einer solchen Situation wohl reagiert hätte.

      »Na ja, wie auch immer, um die Sache abzukürzen: Er hatte eine große Klappe, aber mehr auch nicht. Er wusste überhaupt nicht wie es wirklich geht. Ich schwieg und tat so, als hätte ich keine Ahnung.« Violett lächelte verächtlich. »Er muss wohl im Sexualkunde an der Stelle gepennt haben. Wie auch immer: Am Schluss meinte er, das würde man vögeln nennen und ob ich das kapiert hätte. Ja, so war das beim ersten Mal.«

      »Keine sehr schöne Erfahrung«, bemerkte Tamora leise. »Was war mit den anderen Mädchen?«

      »Die wollten natürlich wissen, wie es gewesen war«, erwiderte Violett und leerte ihre Tasse. »Irgendwie stieg ich auch in ihrem Ansehen, weil der Bursche sich für mich interessierte. Ich habe dann schnell verstanden, dass sie alle hinter ihm her waren, er aber nur kleine, harmlose Mädchen suchte, bei denen er den großen Verführer spielen konnte.« Sie sah Tamora an. »Man betrachtet sein Umfeld dann schnell mit anderen Augen.«

      »Kann ich gut verstehen«, nickte Tamora.

      »Mir war davor nie aufgefallen, dass sich auch die größeren Mädchen immer bei den Burschen aufhielten und auch vor den älteren Männern keine Scheu zeigten, ganz besonders wenn die ordentlich was getrunken hatten. Ich habe oft gesehen, wie die sich dann unter deren Röcken zu schaffen machten und ihnen hinterher Geld in die Hand drückten. Das mochte ich nicht und habe mir immer gesagt, so alte Kerle kommen für mich nicht infrage. Das wäre ja noch schöner. Obschon die Versuchung ziemlich groß war, denn Geld hatte ich nie und Wünsche um so mehr.«

      »Und wie ging es weiter?« Tamora hatte sich nach vorn gebeugt und sah sie interessiert an.

      »Irgendwann kam dann mal so ein geschniegelter Jüngling zu uns. Wie ich später erfahren habe, war der auf der Flucht vor der Polizei. Er war wohl der Neffe von irgendjemand, versteckte sich tagsüber und langweilte sich.« Sie griff wieder zu den Zigaretten, nahm eine und drehte sie gedankenschwer zwischen den Fingern herum. »Jedenfalls war dieser Typ eine andere Hausnummer und gefiel mir auf Anhieb. Die Konkurrenz war natürlich groß, denn die anderen Mädchen waren auch hinter ihm her … Er hieß Mason. Ja, ich erinnere mich wieder an seinen Namen. Es dauerte auch nicht lange und ich fiel ihm auf. Er zwinkerte mir zu.« Sie nahm das goldene Feuerzeug und zündete die Zigarette an. Nachdem sie einen Zug genommen hatte, erzählte sie weiter: »Irgendetwas war an ihm, das mich in seinen Bann zog. Als seine Tante wieder einmal betrunken in der Ecke lag, machte er mir die Tür auf und führte mich in eine kleine Schlafstube. Da standen wir uns dann direkt gegenüber. Er berührte meine Brüste und strich mir über den Rücken. Ich sei ein Prachtpferdchen, meinte er und dass aus mir noch etwas werden würde.«

      »Prachtpferdchen?«, schmunzelte Tamora. »Hast du damals gewusst, was er dir damit sagen wollte?«

      »Nein«, bestätigte Violett lächelnd. »Ich war wirklich noch völlig unbedarft … Jedenfalls konnte ich mich nicht rühren, als er mir langsam das Kleid auszog. Dann stand ich nur noch im Slip