Monika Heil

Wenn die Idylle trügt


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seiner vernünftigen, sachlichen Art alle ihre Gedanken widerlegt, Widersprüche aufgedeckt und erreicht, dass Felia alles als Hirngespinste ad acta legte. Der Zorn auf ihren Vater und der vage Verdacht, er hätte damals eine Affäre gehabt, war unterschwellig geblieben. Und nun hatte sie offenbar doch die späte Bestätigung. Sie trauerte um ihre Mutter und zürnte ihrem Vater. Diese Frau würde sie am liebsten auf den Mond schießen. Und Sven? Den gleich mit. Das hatte sie sich alles ganz anders vorgestellt. Gut, in den ersten beiden Jahren war ihre Ehe perfekt, ihr gemeinsames Leben von glücklichen Ereignissen getragen, sehr positiv verlaufen. Bis Sven vor circa einem Jahr diesen Riesenauftrag in Hamburg an Land zog. Ein Medienunternehmen hatte ihn mit aufwendigen Recherchen beauftragt, die er offensichtlich zu ihrer vollsten Zufriedenheit erledigt hatte. Sie boten ihm einen dauerhaften Vertrag mit eigenem Büro im Hamburger Medienhaus an. Felia hatte sich mit ihm gefreut.

      »Ich führe unser Büro hier in Stade, halte dir den Rücken frei, wenn es um kleinere Aufträge geht und mache den Bürokram«, hatte sie ihm versprochen und sich mit Elan in die Arbeit gestürzt. Selbst Sven musste zugeben, dass sie die eingehende Aufträge gewissenhaft und emotionslos abarbeitete. Oder fast emotionslos, musste sie der Wahrheit halber zugestehen. Inzwischen konnte sie Erfolge nachweisen, die sich durchaus sehen lassen konnten. Sie würde auch die gestohlenen Bilder der Galerie Holledau aufspüren, zur Zeit der einzige Auftrag, den sie verfolgte.

      Sven verdiente in kurzer Zeit viel Geld. Sie zogen in Bützfleth aus. Zwischen ihrem Elternhaus und ihrer neuen Bleibe verkürzte sich der Abstand. Emotional wurde er größer. Felia, die während ihrer Kindheit und Schulzeit stets ein enges Verhältnis mit ihrer Mutter hatte, kam immer seltener nach Hause. Sie hatte jetzt eine eigene Familie und die ging vor. Ihr Papa war eh nie da und ihre Mutter schien mit ihrem neuen Hobby beschäftigt zu sein.

      Von wegen Hobby. Nach ihrem Tod fanden ihr Vater und sie Aufzeichnungen und Korrespondenz mit einem Hamburger Verlag über die Veröffentlichung eines Romans. Unglaublich. Ihre Mutter hatte ein Buch geschrieben und weder ihr Mann noch ihre Tochter wussten etwas davon. Wie war das möglich? Der Name der Lektorin war Vater und Tochter bekannt. Vanessa Ziegler. Es gab eine Literaturgruppe, der Liane angehört hatte und diese Frau Ziegler hatte sie geleitet. Klar hatte sie immer mal wieder von ihren Treffen erzählt. Aber sowohl Felix als auch Felia mussten zugeben, dass sie den Berichten wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Felix hatte es sogar als eine Marotte bezeichnet. Waren danach die Berichte seltener geworden? Hatte sie bemerkt, dass niemand ihr so genau zuhörte? Fragen über Fragen stapelten sich geradezu in Felias Kopf. Sie erkannte, dass ihre Mutter in den letzten Jahren einsam gewesen sein musste. Hatte das Verhältnis mit dieser Teresa Bergmann damit zu tun? Wusste sie davon? Noch mehr Fragen, auf die ihre Mutter nicht mehr reagieren konnte und für die es nun keine schlüssige Antwort gab.

      »Warum habe ich sie nicht öfter besucht?«, fragte Felia in die Luft. »Sven und meine Arbeit hatten mich zu stark in Anspruch genommen«, erklärte sie der Elbe. »Ausrede!«, schrie eine Stimme, die sie nicht kannte. Eine vorbei fliegende Möwe schaute grimmig und hinterließ eine weiße Spur.

      »Ja, Scheiße«, schrie Felia und wischte den Schmutz von ihrer Jacke.

      Felia versuchte, wenn auch zu spät, etwas an ihrer Mutter gutzumachen. Deshalb hatte sie Kontakt zu dieser Lektorin in Hamburg aufgenommen. Letzte Woche war sie zu einer Besprechung dorthin gefahren. Die Lektorin hatte sie sehr freundlich aufgenommen und – natürlich – den plötzlichen Tod ihrer Neuautorin sehr bedauert.

      »Die Arbeit Ihrer Mutter hat Potential. Wir hätten den Roman gern veröffentlicht. Ein Vertrag liegt bereits vor.«

      »Ich weiß«, bestätigte Felia. »Deshalb bin ich hier. Was kann man tun, um die Arbeit meiner Mutter nicht völlig brach liegen zu lassen?«

      Man fand eine Lösung. Der Roman würde unter einem Pseudonym veröffentlicht werden und Felia würde in die Vertragsbedingungen eintreten. Sie würde die von der Lektorin vorgeschlagenen Änderungen einarbeiten und gemeinsam würden sie das Buch ihrer Mutter zur Veröffentlichung bringen.

      Felia war an jenem Tag glücklich und traurig zugleich gewesen. Ihre Besprechung in Buxtehude hatte zu keinem schnellen Ergebnis geführt. Erfolgreicher war dann das Gespräch mit Vanessa Ziegler verlaufen. Als sie euphorisch aus Hamburg zurückgekehrt war, hatte sie – wie so oft – ein leeres Haus betreten. Ihre gute Laune war sofort verflogen, als sie den Wagen ihres Mannes vor dem Haus entdeckte und feststellte, ihr eigenes Auto war weg. Sie konnte diese blöde Angeberkarre sowieso nicht leiden und dass die Sitze an jenem Tag nass und fleckig waren, störte sie nicht.

      »Geschieht ihm recht«, hatte sie gemurmelt und den Wagen schließlich doch unter den Carport geparkt. Es war noch mehr Regen angesagt. Und dann hatte sie gewartet. Sven wusste, dass sie mit Caroline und Adrian verabredet waren. Dass er sein Handy ausgeschaltet hatte, hatte ihren Missmut nur gesteigert. Und dann war er schlecht gelaunt erschienen. Ein Wort hatte das andere gegeben. Sven war nach oben gegangen. Er hatte geduscht und sich umgezogen, offensichtlich auch Alkohol getrunken, wie sie feststellte, als er ihr einen versöhnlichen Kuss geben wollte. Der Rest des Abends war eine einzige Katastrophe. Nicht zum ersten Mal, wie sie sich eingestehen musste.

      Wie sollte es nur weitergehen? Ihre Gefühlswippe war nicht mehr in der Waage. Das Gleichgewicht der ersten Jahre war dahin. Schwebte einer von beiden in die Höhe, stieß der andere auf dem Boden auf. Meist geschah das abrupt und schmerzhaft. Liebte sie Sven noch? Ja, sie liebte ihn. Wie stand es um ihn? Sie mussten miteinander reden. Sie mussten sich ändern. Sie mussten … Ach, so vieles. Und sie musste sich Thorsten aus dem Kopf schlagen. Nein, nicht jetzt. Nicht noch ein Problem in Angriff nehmen.

      Entschlossen stand sie auf und fuhr nach Hause. Sven war mal wieder nicht da. Sie ging ins Büro, hörte den Anrufbeantworter ab, machte sich ein paar Telefonnotizen und versuchte – erneut vergeblich – Sven auf seinem Handy zu erreichen. Frustriert ging sie in die Küche und warf eine Minipizza in die Mikrowelle.

      4.

      Er fand die Straße, in der Bruno sein Atelier hatte, mit Hilfe des Navis sehr schnell. Früher war hier die Stader Garnison, erinnerte er sich. Nach deren Schließung hatte es einen aufwendigen Umbau in Wohnungen gegeben. Er war lange nicht in diesem Stadtteil gewesen. Suchend blickte sich Sven um. Kein Hinweis auf ein Atelier. Er parkte schließlich sein Auto hundert Meter weiter. Hätte er sich besser umziehen sollen? Wohlstand schien hier nicht zu Hause zu sein. Lärmende Kinder hielten im Spiel inne, warfen kritische Blicke auf seinen Sportwagen, spielten weiter. Er fragte einen der Jungen nach Bruno Meiser. Wortlos wies er auf eine Außentreppe, die in einen Keller oder ein Souterrain führte. Die Hausnummer stimmte. Also, dort. Eine junge Frau in engen Jeans und weiter Flatterbluse beobachtete ihn – scheinbar unbemerkt – und blickte dann schnell wieder weg. Ohne dass es ihm bewusst wurde, zog er die Ärmel seines dunklen Sportblazers länger, so dass die teuren Manschettenknöpfe und die Designer-Uhr darunter verschwanden.

      Schnell ging Sven die schmalen steilen Stufen hinab. Bruno Meiser wohnte im Dunklen. Manuela öffnete so schnell, als hätte sie hinter der Tür gewartet.

      »Guten Abend, Herr Lewandowski, pünktlich auf die Minute. Treten Sie ein.«

      Ihre Stimme und ihr Text klangen geziert im Gegensatz zu ihrer Körpersprache. Sven irritierte beides. Schnell wandte er seinen Blick von ihr ab und sah sich neugierig um. Ein winziger, dunkler Flur, rechts und links je eine geschlossene Tür. Geradeaus betrat man das große, nur von Lampen erhellte Wohn- und Arbeitszimmer des Malers. Mit schnellen Blicken erfasste Sven den gesamten Raum. Bruno stand in einem sauberen weißen Kittel, der nicht zu ihm zu gehören schien, an der Staffelei.

      »Steril wie ein Ärztekittel«, ging es Sven durch den Kopf.

      »Hallo, junger Freund!«

      Brunos Lachfalten-Kranz dehnte sich aus. Er wischte sich die Hände an dem Kittel ab und schon war es der eines Malers. »Suchen Sie sich einen Platz.«

      Mit einer umfassenden Handbewegung wies Bruno auf die spärlich vorhandenen Sitzgelegenheiten. Sven reagierte nicht. Wie angewurzelt blieb er stehen. Er sah die Bilder – da einen bunten Farbenrausch, dort der Liebesakt zweier Frauen,