Thomas Riedel

Charles Finch: Im Sog des Wahnsinns


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ich wollte es nur von Ihnen hören«, pflichtete Finch ihm bei. »Ein Mensch, der das Leben eines anderen zerstören möchte, ist nicht normal. … Er ist zumindest moralisch anfechtbar. Wie ich gehört habe, sind Sie mit den Menschen, die Sie verdächtigen, zusammen aufgewachsen. Mir scheint, ein solcher Charakter müsste sich in einer derart langen Zeitspanne hin und wieder verraten. Verdächtigen Sie irgendeinen mehr als die andern?«

      Greenwoods Zigarette erlosch zischend, als er sie in den See warf.

      »Ich habe gegrübelt und gegrübelt«, gab er langsam zurück. »Nehmen Sie zum Beispiel Nicolas Brown. Er ist ein wenig sadistisch, quält gern seine Mitmenschen und spielt ihnen Streiche. Er ist auf die Welt im Allgemeinen nicht gut zu sprechen. An ihn würde man zuerst denken. Aber dabei stimmt etwas nicht. Nicolas ist pleite. Er ist ein geborener Spieler … Er setzt auf Pferde und liebt Karten. Für Geld wäre er zu allem fähig. Er würde deswegen seine eigene Mutter betrügen. Wenn er es wäre, hätte er dann nicht Geld gefordert? Eine Weile könnte es ihm Spaß gemacht haben, mich zu quälen, doch früher oder später hätte er sicher Kapital daraus geschlagen.«

      »Und weiter?«, warf Finch ein, als Greenwood abbrach.

      »Ähnlich verhält es sich überall. Ich war das Kind reicher Eltern. Sie müssen mich alle irgendwann einmal beneidet, vielleicht deswegen sogar gehasst haben. Andererseits habe ich allen geholfen. Ich machte Robert zu meinem Teilhaber … Ich richtete Brian ein Geschäft ein. Mit Nicolas blieb ich befreundet, als niemand mit ihm etwas zu tun haben wollte, und lieh ihm Geld. Rhona gab ich Arbeit, als sie sie brauchte. Mit Howard studierte ich zusammen, und durch meinen Einfluss bekam er seine Anstellung bei der Zeitung. Ich war anständig mit Ihnen, Doktor Finch. Ich betrachtete sie als meine Freunde. Nie forderte ich geliehenes Geld zurück oder übte Kritik. Auch Ratschläge habe ich nie ungefragt erteilt.« Sein Ton wurde niedergeschlagen. »Dass mich einer von Ihnen so sehr hassen kann!«

      »Sie haben bei Ihrer Aufzählung drei Frauen ausgelassen«, bemerkte Finch, nachdem er eine Weile gewartet, Greenwood aber nicht weitergesprochen hatte.

      Ein Streichholz flammte auf, und die angespannten Linien um Greenwoods Mund wurden sichtbar. Dann glühte das rote Ende einer Zigarette, als er den Rauch inhalierte.

      »Ich habe das Reden satt, Doktor. Würde ich so handeln, wenn ich einen klaren, ungebrochenen Verdacht hätte? Aber ich halte es nicht länger aus. Es muss jetzt um jeden Preis ein Ende gemacht werden.«

      »Wenn ein Mensch ein Verbrechen verübt, Mr. Greenwood, muss er es immer irgendwie dafür büßen. Das ist keine moralische Feststellung, sondern es gehört einfach zur Dynamik des Lebens. Wenn Sie Ihren Erpresser entlarven und zum Schweigen bringen können, werden Sie noch immer keinen Seelenfrieden finden, ohne Ihr Verbrechen gesühnt zu haben, was immer es auch gewesen sein mag.«

      »Sie wissen nicht, wovon Sie sprechen«, entgegnete Greenwood.

      »Stimmt«, lächelte Finch, »denn ich weiß nicht, was für ein Verbrechen Sie begangen haben.«

      »Genau das meine ich.« Ein scharrendes Geräusch wurde hörbar, als Greenwood aufstand. »In vier Tagen wird es hier zehn Tote geben, wenn ich meinen Feind nicht unschädlich machen kann! Es tut mir aufrichtig leid, dass Sie einer von diesen zehn sein werden. Das war heute wirklich kein Glückstag für Sie.«

      Finch klopfte seine Pfeife in der Handfläche aus.

      »Ich habe nie gedacht, dass das Weiterleben vom Glück abhängt«, erwiderte er gelassen. »Ich denke es auch jetzt nicht. Gute Nacht, Mr. Greenwood.«

      ***

      Kapitel 4

      Als Doktor Finch wieder den Salon betrat, fand er dort nur Rhona McDermid vor, die immer noch in dem Sessel am Kamin schlief.

      Sie regte sich und schlug die Augen auf. Er fühlte die leichte Verlegenheit, von der man immer überwältigt wird, wenn man bei der Beobachtung eines Schläfers ertappt wird. Dieses junge Mädchen strahlte etwas aus, das ihn auf seltsame Weise fesselte. Sie war blond, aber ihr Haar war viel voller und goldener als das von Nora Burdett. Ihre Gestalt war fülliger und das Rot ihres Mundes wirkte leicht übertrieben. Allerdings nicht billig, sondern eher trotzig, wie er fand. Ihre dunklen Augen blickten mit der Verschleierung der Kurzsichtigen. Er hatte das Gefühl, in ein Geheimnis eingedrungen zu sein, als sie um sich schaute. Es war fast, als drückte sie die Enttäuschung, sich immer noch hier zu befinden, hörbar aus. Schließlich richtete sie ihre Augen auf ihn und fuhr mit einem Ruck auf.

      »Es ist also überstanden«, sagte sie und atmete erleichtert auf.

      »Wie bitte?«

      »Ist Ryan arrestiert worden?«

      »Leider nicht, Miss McDermid. Gestatten Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle … Doktor Charles Finch. Ich bin wie Sie alle in diese Falle geraten.«

      »Haben Sie eine Zigarette für mich?«, bat sie.

      »Leider nein. Ich rauche Pfeife. Ich sehe aber einen Humidor auf den Tisch..« Er nahm eine Zigarette heraus, reichte sie ihr und gab ihr Feuer.

      »Verstehen Sie sich darauf, einen Martini zu mixen? Da drüben auf der Bar dürfte alles Erforderliche sein.«

      »Wie haben Sie ihn am liebsten?«

      »Spülen Sie den Schüttelbecher gerade nur mit Wermut aus.«

      Er ging zur Bar und stellte ihr einen so trockenen Martini her, dass ihm beim Gedanken daran schauderte. Als sie ihn fragte, wie er hierher geraten sei, berichtete er es ihr.

      »Wenn mir das jemand erzählte, würde ich es nicht glauben«, sagte sie, als er geendet hatte. »Vielen Dank, Charly.« Sie streckte die Hand nach dem Glas aus, das ihm beinahe heruntergefallen wäre. Kein Mensch hatte ihn mehr wohl so genannt, seit … nun, das war viel zu lange her, um darüber nachzusinnen. »Sie haben sicher schon einen Ausweg gefunden«, bemerkte sie, nachdem sie das Cocktailglas in einem Zug geleert hatte. »Jeder hat das schon fertig gebracht, nur waren alle bisherigen Vorschläge sinnlos.«

      »Es ist nicht einfach«, erwiderte er.

      »Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig«, lächelte sie.

      »Darin stimme ich Ihnen zu. Nur weiß ich bislang zu wenig. Es ist nicht so leicht, wie Sie vielleicht denken.«

      »Es wäre auch nicht lustig, wenn es leicht wäre.«

      »Finden Sie es lustig, Miss McDermid?«

      »Nennen Sie mich Rhona, Charly«, forderte sie ihn wenig damenhaft auf. »Ich hasse es, ans Ledigsein erinnert zu werden. Um die Wahrheit zu gestehen, seit sechs Jahren ist es das erste Mal, dass ich mich nicht langweile.«

      »Und vorher haben Sie sich manchmal gelangweilt?«, fragte er trocken.

      »Walter fiel vor sechs Jahren«, erklärte sie, und ihre Augen bewölkten sich.

      »Walter?«

      »Mein Verlobter. Er war Kavallerieoffizier in Indien. Es geschah während eines Patrouillenritts. Damals war ich noch ein anständiges Mädchen.«

      Finch lächelte.

      »Sind Sie das denn jetzt nicht mehr?«

      »Nein«, gab sie zurück. »Ich bin eine Trinkerin, Charley. Werden Sie niemals ein Trinker, Charley. Man fühlt sich dabei grässlich … vorher, während und nachher. Aber noch schlimmer fühlt man sich, wenn man aufhört. Sie müssen wissen, ich bin die gefährliche Frau von Aylesbury. Ich bringe alle netten jungen Paare auseinander. Ich habe einfach keine Moral, Charley.«

      »Das ist nicht unpraktisch«, bemerkte er.

      »Ja und nein. Würden Sie mir bitte noch einen mixen?« Sie wies unbestimmt zur Bar hinüber. »Es lohnt sich nicht, geizig zu sein, Charley. Machen Sie einen Shaker voll und trinken Sie mit.«

      »Ich finde es besser, einen klaren Kopf zu behalten«, entgegnete er, nahm ihr Glas und ging wieder zur Bar.

      »Darin unterscheiden