Renate Amelung

Falsche Annahme


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      “Sie kennen von Kleist?“ fragt Elisa.

      “Ja. Schwer zugänglicher Bursche, aber äußerst kompetent was den alten Vater Rhein betrifft. Und Sie, kennen ihn auch?“

      “Ich habe ihn kennen gelernt. Sehr gut sogar. Man kommt an ihn ran.“

      “Lassen Sie mich raten. Nach dem Unfall, bei dem seine Frau starb, musste er bei Ihnen auf die Couch.“

      “Korrekt.“

      “Und war er an dem Unfall schuld?“

      “Sie haben gestritten, wie so oft. Sie hat ihm ins Lenkrad gegriffen. Das ist doch bekannt.“

      Rebecca zuckt mit den Schultern. “Sie meinen er ist eine ehrliche Haut.“

      “Absolut.“

      “Und das Geld aus dem Raub?“

      “Er hat die Motoryacht vor der holländischen Grenze gestellt, mehr nicht.“

      “Kurz danach hat er sich ein Segelboot gekauft und ist ausgestiegen.“

      Elisa lacht. „Nein, von Kleist, niemals.“

      “Karsten, Bettina, solltet ihr nicht die Eltern benachrichtigen?”, fragt Rebecca dazwischen.

      “Nun, wir haben gedacht, wo wir doch neuerdings unter uns einen Spezialisten beheimaten...”, druckst Karsten.

      “Ja, da ist es doch nur selbstverständlich, dass er das übernimmt”, bekräftigt Bettina, “Herr Doktor Emilian wird das doch sicher sehr einfühlsam erledigen können.”

      Freundlich lächelnd kommt Rebecca auf Bettina zu, an welche Einfühlsamkeit Bettina dachte steht in ihren glänzenden Augen.

      “Außerdem wohnen die Eltern in der Eifel, also, wenn Doktor Emilian das nicht übernimmt schicken wir einen Kollegen”, sagt Berthold, “ich würde mich natürlich zur Verfügung stellen ihn, Herrn Emilian, wenn sie mich benötigen, aber lieber würde ich noch Mal raus gehen in den Grafenbergerwald und meine Nase in den Boden stecken und wenn ihr mich nachher oben im Gehege des Wildparkes unter den Trüffelschweinen suchen müsst.”

      “Telefon! Geh ran Karsten!”, sagt Rebecca.

      “Warum ich?”

      “Weil es auf deinem Schreibtisch steht und ich noch darüber nachdenke wo der Klempner nun wirklich steckt”, antwortet Rebecca. Berthold greift über den Tisch und hebt ab.” Ja - selbstverständlich - ja - ja - ach du dicke Scheiße!” Der Hörer sinkt vom Ohr, Berthold sieht Elisa an und streckt ihm den Hörer entgegen. “Für Sie.”

      “Emilian, ja, ich komme!” Er legt auf, rafft alles zusammen was man ihm bereitstellte und sagt kurz, “addio! Ich melde mich wenn ich das durchgeackert habe.” Seine Visitenkarte klatscht auf den Tisch. Elisa verlässt den Raum. Rebecca sieht ihn wenig später in den Rapid steigen, unweigerlich schüttelt sie den Kopf. “Was war das für ein Auftritt jetzt?”

      “Oh Scheiße, Scheiße!”, wiederholt Berthold.

      “Berthold, wir wissen es.”

      “Dem haben irgendwelche Leute sein Streetworker-Café in den frühen Morgenstunden abgefackelt.”

      5

      Leicht verstimmt reagiert Richrath schon als Elisa den ausgeliehenen Wagen erheblich verspätet am Sonntagabend bei ihm auf den Hof stellt. Sofort reißt er die hinteren Türen auf. “Ja Herrschaftssakramendnochemal! Was hast du denn diesmal mit dem Wagen angestellt!”, brüllt er, “ich weiß nicht was mich reitet dir den Wagen auszuleihen?” Er fuchtelt mit den Armen über dem Kopf und greift mit beiden Händen und gespreizten Fingern Hilfe suchend an die Stirn, er drückt vom Wahn gesteuert zittrig auf die Schädeldecke in dem Augenblick als die Kupferrohre aus der Halterung fallen und sich das überdimensionale Mikado Spiel zu seinen Füßen auf dem Hof ausbreitet. Die Schweißschutzmaske titscht hinterher, das Glas splittert auf dem Boden. Dichtungen, Hanf, Paste bilden ein wildes Chaos, der Engländer paart sich mit der Brechstange, die Uni-Boxen sind leer. Das war mehr als die Spur einer wilden Verfolgungsjagd die Elisa sonst mit seinem Wagen an den Tag legt, und dabei vergießt, dass es nicht sein kleiner brettharter Sportwagen ist.

      “Das schlechte Gewissen”, antwortet Elisa gelassen, “ich musste notgedrungen etwas evakuieren und habe von einem Trümmergrundstück gerettet was zu retten war. Tut mir leid ich habe den Plunder wohl nicht wieder richtig eingeräumt.”

      “Verschwinde, bevor ich mich vergesse! Und such dir einen anderen Leidtragenden, wenn dein Schlaglochsuchgerät wieder nicht anspringt.”

      Elisa ist nicht zimperlich und verschwindet gleich, denn der nächste Schritt ist ihm bekannt und endet tödlich mit einer Flasche Bier in der Hand auf den Stufen sitzend und dem Gejammer über etliche Zahlenkolonnen von geplatzten Aufträgen. Heute Abend gilt seiner Sehnsucht einzig einer warmen Dusche die ihm den Kohlenstaub von der Haut wäscht, danach ein gemütlicher Drink und vielleicht ein Pizzataxi. Doch die Erinnerung trifft ihn hart, je näher er per Pedes seinem Haus kommt. Da wartet Lea!

      Bedächtig langsam dreht er den Schlüssel im Schloss.

      “Vorsicht!”, brüllt sie.

      Zeitung schiebt sich unter den Türspalt und hemmt die Bewegung. Sachte, sachte, drückt er die Tür auf. Tritt auf das Düsseldorfer Stadt Feuilleton von vor sechs Wochen und blickt 2 Meter weiter auf dem Wirtschaftsteil. Der nächste Schritt führt ihn auf den Heiratsmarkt direkt über das Leserrezept am Montag, mit einem Fuß in der weißen Farbe ist der Kurzkrimi zu Ende und er macht sicher das gleiche belämmerte Gesicht wie Richrath eben. Bis auf seinen kleinen Erker strahlen die Wände in Alpinaweiß.

      Lea strahlt nicht minder von der Leiter runter. “Jetzt mach kein Spökenkieker!”, kickst Lea.

      “Kein Was?”, will er wissen.

      “Verbal-Gymnastik! Sag schlicht ob es dir gefällt oder nicht. War wirklich ein bisschen muffig und die ganzen Löcher in der Wand.” Lea klettert die Sprossen runter, taucht den Zeigefinger in den Farbeimer und zieht mit jugendlichem Elan einen Strich auf seine Wange. “Macht sich gut. Onkel Elisa kommt gerade vom Karneval in Venedig.”

      “Ich begreif gar nichts. Kannst du mir Mal verraten, hast du in deinem Wagen nicht nur eine komplette Teestube mitgebracht, sondern gleich noch 10 Eimer Farbe? Und...” Er traut seinen Augen nicht, Kartons, Kartons...

      “Also irgendwie musste ich mir schließlich die Zeit vertreiben. Da bin ich eben spazieren gegangen und habe mir die Gegend gründlich angesehen. Plötzlich stand ich vor einem Schild: Malerwerkstatt Selm. Und da du gesagt hast hier ist die Diaspora habe ich auch wie in der Diaspora gehandelt... Ehrlich, dein Name wirkte wie ein Worp-Antrieb auf die kleine Friseuse. So und jetzt scheuch ich dich unter die Dusche, bevor Joseph mit den Pizzas zurückkommt. Morgen lässt du die Kreditkarte rüberwachsen und ich besorge was wir noch brauchen. Was für ein Drink willst du?”

      “Wie bitte?”

      “Ihr habt einen fantastischen Bahnhof in Düsseldorf, da kann man am Sonntag wirklich alles erstehen.”

      “Ich verstehe nur Bahnhof. Wie lange war ich denn weg?”, fragt Elisa.

      “Morn, Morn, Hummel, Hummel. Vergiss es einfach! Übrigens, jenes war dann das Wochenende welches du nur für euch beide eingeplant, reserviert hattest. Du benötigst keinen Terminplaner, sondern eine Frau die damit klarkommt. Also, was willst du trinken?”

      Perplex wendet Elisa sich ab, will endlich die dreckigen Klamotten vom Leib haben und strebt die Dusche an. Er wirft die Akte von Rebecca auf das Bett. Bett! Eine Mattratze 1-Meter-20 breit, für zwei im Grunde fremde Menschen. Was jetzt? Letzte Nacht löste sich das Problem von selbst, aber ein paar Stunden Schlaf benötigt auch er. Sicher er fährt zu Rebecca Eden, erklärt ihr, dass er längere Zeit keine Frau hatte und sich danach verzehrt und sie für das geeignete Objekt hält.