Renate Amelung

Falsche Annahme


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Sie!”

      “Wohin?” Elisa schluckt unweigerlich, “muss ich wieder in die Gerichtsmedizin?”

      “Schlimmer, Tatort!”

      Da sind schon wieder die deutlichen Beschwerden mit dem Speichelfluss bei Elisa. “Wollen Sie damit sagen...”

      “Ich will damit sagen, dass uns die Spurensicherung ein Video aufbereitet hat und wir nach Nebenan gehen. Es ist eine Amateuraufnahme von dem Tagesausflug bei dem der Mord geschah.”

      “Ich liebe Ihre Durchsetzungsstrategien die das Klima beherrschen”, sagt Elisa, als er sich erhebt und nicht vergießt beim vorübergehen noch Kaffee von Bettina zu kassieren. Einen Moment sieht es nach einer persönlichen Ansprache von ihm aus und Bettina kämpft mit feuchten Händen.

      Bernd im Nebenraum hat alles vorbereitet, aber er dämpft gleich die Erwartungen. “Nichts Brauchbares drauf. Eben ein Ausflug mit albernem pubertärem Mädchengehabe. Die Einstellungen sind viel zu kurz, als dass sie etwas aussagen können. Licht aus Film ab!”

      Der Streifen läuft: Herausgestreckte Zungen, Kichern, Rutschbahnen auf umgekehrten Wege genommen, Getränkedosen speien unkontrolliert durch die Gegend, Grimassen werden gezogen, lange Nasen ausgestreckt. Der Laser wandert von Rebecca geführt auf einen gezeigten Vogel. “Das ist Kathleen!” Der Film summt weiter. Der Finger vor der Linse verdunkelt die Aufnahme, dann ein Stück rotierender Rasen...

      Unzufriedenes Gemurmel in der Runde und eine allgemeine Bewegung aus den Stühlen. Nur Elisa rutscht gebannt tief, verlangt nach Wiederholung, nochmals und nochmals...

      “Und Herr Emilian?”, fragt Bettina als erste.

      “Ich weiß nicht”, antwortet er.

      “Das war nichts anderes als diese nichtssagenden Videoclips vor denen die Kids neuerdings sitzen”, sagt Karsten, “da kann doch auch kein Mensch was drauf erkennen. Das bringt uns nicht einen Millimeter weiter.”

      Auf der Stelle kontert Elisa, “die filmischen Kommunikatoren der Musik-Clips tragen mit Sicherheit eine Botschaft. Es ist nur für eingeübte Fernsehkucker nicht mehr sichtbar. Die Bilder sind auf die Musik gesetzt, das verstehen junge Leute sehr wohl. Wer nur an Wahrnehmungen von Krimis und Tageschau gewöhnt ist und sich da eingesehen hat rafft das nicht mehr. Ab dem 30-ten wird es da schon verdammt schwierig, ab 40 ist es fast vorbei. Frau Eden, kann ich mit Kati sprechen, Kathleen?”

      “Kathleen, ja sicher. Wir fahren hin”, antwortet Rebecca, “können wir Ihren Wagen nehmen?”

      “Bedingt”, sagt Elisa.

      “Bedingt?”

      “Ja, das bedingt einiger glücklicher Umstände.”

      Rebecca schüttelt den Kopf, denkt, der Mann ist ein merkwürdiges Unikat. Sie geht mit ihm aus dem Zimmer Richtung Ausgang, überquert an seiner Seite den Jürgensplatz, biegt nach rechts in die Herzogstraße, gleich links in die Wasserstraße. Elisa bleibt wie angewurzelt stehen.

      “Verraten Sie mir wie sie auf den Täter Bachmann gekommen sind!”, fordert sie.

      “Auch an mir geht der Zufall Treffer nicht vorbei! Beim Poker kommt es vor, dass man gewinnt. Es war doch ein Spiel oder?”

      “Zugegeben - ja.”

      “Sie haben die Karten nicht richtig gemischt. Ich zitiere: Der Fall des unbekannten Toten an der A 46 konnte mit Hilfe der hervorragenden Leistungen von Kommissar Eden gelöst werden... Rheinische Post am Montag. Aber kann sie meinen Wagen finden? Ich bin sicher ihn hier abgestellt zu haben. Genau hier!”

      Elisa steht in einer verwaisten Parkbucht.

      “Sie meinen gestohlen, das ist nicht mein Gebiet.”

      “Den Wagen klaut keiner. Er springt nicht an, also ich meine eher selten.”

      “Mm... mm..., kann sie! Abgeschleppt! Das ist ein Behindertenparkplatz! Behindert sind Sie doch sicher nicht.”

      “Doch, mein Kleinhirn ist nicht voll ausgebildet, sonst wüsste ich wo der Plastikbomber steht. Die Bedingungen sind heute schlecht.”

      “Abgeschleppt, sagte ich bereits. Haben Sie das Schild nicht gesehen?”

      “Es stand vorhin nicht hier!”, mault er, “ich bin von gegenüber die Straße lang gekommen, habe gewendet und bin in den freien Platz gefahren, da schau ich nicht mehr hoch.”

      “Besser ist das!”

      “Die werden doch die Pappe anständig behandeln”, jammert Elisa.

      “Rennpappe? Sie fahren einen Trabi?”

      “Trabi in bleu, Plaste und Elaste, Bakelit-Kunst, der Propaganda-Duft über dem Kombinat mit Zielerreichung, nö.” Elisa lacht.

      “Sie sind ein...”

      “Ein Ossi, aus einem winzigen Kaff in der Nähe von Schwerin”, sagt Elisa.

      “Und sind mit ihrem Trabi in die Freiheit aufgebrochen, als die Grenze offen war...”

      “Nein, ich habe meine Eltern in Angst und Sorge hinterlassen und bin mit 18 getürmt, weil ich wusste, dass ich nie eine offizielle Ausreise bekommen hätte und weil ich nie hätte studieren dürfen.”

      “Warum?”

      “Weil ich meine Klappe nicht halten kann, weil ich diese Wahlzettel mit dem eingedruckten Kreuz nie unterstützen wollte, weil mein Vater bei dem ersten Ausreisegesuch seine schöne Existenz verloren hätte, weil ich nicht bei der Jugendweihe war, sondern die Konfirmation wählte, aus Überzeugung, weil ich mich in ein Mädchen aus dem Westen verliebt hatte, weil ich die ganze Welt sehen wollte und weil ich verflixt keinen Trabi wollte. Was mache ich jetzt?”

      “Ihr Portemonnaie locker, oder die Beziehung zur Polizei spielen lassen.”

      “Habe ich eine Beziehung?” Die Hände wandern tief schmollend in die Hosentaschen, mit dem Fuß tritt er nach dem gerade entdeckten leeren Flachmann und befördert ihn stellvertretend, Rache nehmend in das nächste Gebüsch des Schwanenspiegels.

      Rebecca lächelt ihn an. Was will er jetzt? “Wie sieht es mit Staatsanwalt Lachmann aus?”

      “Können Sie es verantworten, dass ein ausgedientes Nobel-Accessoire in eine Sinn-Krise gerät?”

      “Gut dann nennen wir es guten Draht zur Kripo. Wir gehen jetzt zurück und ich organisiere uns ein Ersatzfahrzeug und gebe eine kleine Anweisung bezüglich Ihres Wagens durch; Kennzeichen bitte!”

      “D-EE 1!”, sagt Elisa.

      “Was hat Sie das denn gekostet?”

      “Ich habe meine Augen riskiert. Die hätte die Dame mir wenigstens gerne ausgekratzt, weil ich den Dad versetzt habe. Seitdem traue ich mich nicht mehr auf das Straßenverkehrsamt. Das sind immerhin 15 Jahre. He! Sie sind ja gefährlich; passives/aktives Zuhören ist mein Part.”

      “Das kann man nicht für sich alleine pachten!”, warnt Rebecca.

      “Erzählen Sie mir etwas über die Schule!”, fordert Elisa.

      “Es ist eine Angebotsschule darunter versteht man...”

      “Frau Eden!”

      “Pardon, die Schule wird von einer Stiftung getragen. Die Klassen sind bewusst niedrig gehalten. Es ist eine Art Internat mit Freigang. Die Schüler müssen sich nur eintragen ob sie im Haus übernachten oder ob sie zu ihren Eltern fahren. Deshalb ist das Verschwinden der Toten im Grafenbergerwald nicht aufgefallen, es war Wochenende. Nun der Direktor hat wohl seine Liste nicht genau geprüft. Er macht sich riesen Vorwürfe. In der Schule läuft so etwas wie Selbstbestimmung über den Unterricht. Zudem gibt es keine Noten. Und bevor Sie mich fragen; die Möglichkeit einer Sektenzugehörigkeit können wir mit Sicherheit ausschließen. Und bitte, Herr Emilian, wenn Sie mit Kathleen sprechen appelliere ich an Ihr Feingefühl. Sie war die beste Freundin von der