Thomas Hoffmann

Gorloin


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Hafergrütze!“

      Ich beobachtete ein junges Mädchen, das bei der Arbeit inne hielt, aufstand und zu den fernen Berggipfeln im Osten emporschaute, über denen das Morgenrot in kräftigen Farben leuchtete. Mit heller, klarer Stimme begann sie zu singen. Die Melodie ihres Gesangs und die Weisen der Flöte, die irgendwo in der Siedlung klang, umrankten einander, spielten miteinander, bis Flötenspiel und Gesang zu einer gemeinsamen Musik wurden, heiter und feierlich zugleich. Lyana hatte ihre Essschale in den Schoß gesetzt und lauschte geistesabwesend.

      Nachdem das Mädchen den Gesang beendet hatte, stand sie noch eine Weile dem Morgenrot zugewandt, die Arme leicht angehoben zu einer anbetenden Geste mit offenen Händen. Auf Lyanas Gesicht lag ein kaum erkennbares Lächeln. Tränen rannen ihr über die Wange.

      Als sie ihre Essschale wieder aufgenommen hatte, fragte ich Lyana nach der jungen Kriegerin, die sich am Tag zuvor zweimal für unser Leben eingesetzt hatte.

      „Diese Aeolin, das Mädchen mit den hohen Kriegerrang, die von deiner Mutter gewusst hat - du hast nachts noch mit ihr gesprochen. Hast du sie gefragt, was Tamelund meinte, als er sagte, er müsse erst noch klarer sehen, was mit uns werden soll?“

      „Ja, sicher,“ meinte Lyana leise. „Was er gemeint haben könnte, wusste sie auch nicht. Er hatte den Kriegern unsere Ankunft angekündigt - andernfalls hätten sie uns nicht mit solch einer Übermacht überrascht. Aber sie sagte, wir sollen uns keine Sorgen machen, Tamelund habe nur das Wohl aller Wesen im Sinn.“

      Als sie mein Unbehagen bemerkte, meinte sie eindringlich: „Auch deines, Leif - ich bin sicher, dass das stimmt!“

      Ich sah sie lange an. „Du verstehst dich gut mit Aeolin, nicht wahr?“

      Ein Anflug von Röte trat ihr ins Gesicht. Einen kurzen Moment blickte sie zu Seite, aber sie lächelte gleich selbst über ihre Verlegenheit.

      „Weißt du,“ sagte sie nachdenklich, „es geht ihr in ihrem Clan ähnlich, wie es mir gegangen ist, seit mein Vater tot ist. Niemand versteht sie wirklich, Tamelund einmal ausgenommen. Sie wollte immer Kriegerin sein, ihr eigenes Leben leben, nicht bloß in Kleidern herumlaufen und Männer bedienen - sie hat sich ihr eigenes, freies Leben erkämpft, aber sie ist zu einer Fremden in ihrem eigenen Volk geworden...“

      Lyanas Augen leuchteten auf. Die Kriegerin, über die wir gesprochen hatten, kam über den Platz ans Feuer. Sie setzte sich neben Lyana und blickte mit unbewegter Miene in die Glut. Die beiden Mädchen wechselten ein paar Worte. Lyana sah mich an. Sie verzog keine Miene, aber aus ihrer Stimme hörte ich die unbändige Freude heraus.

      „Aeolin und ich gehen in die Wälder zum Jagen. Wir werden wohl den Tag über unterwegs sein.“

      Mit einem Mal war es, als fiele mir ein Stein vom Herzen.

       Lyana, ich freue mich so für dich!

      „Viel Glück,“ lächelte ich ihr zu. „Macht's gut, ihr beiden!“

      Sie lächelte kurz zurück. Die beiden jungen Frauen standen auf, um ihre Waffen zu holen.

      „Wie...?“ rief Kat, die Aeolin erst jetzt bemerkte. „Wo geht Lyana hin?“

      „Alles in Ordnung,“ meinte ich. „Die beiden machen einen Jagdausflug.“

      ***

      „Und wir?“ fragte Kat, als Aeolin und Lyana zwischen den Hütten verschwunden waren.

      Ohne Begeisterung meinte sie: „Wir könnten auch auf die Jagd gehen.“

      Ich streckte die Beine dem Feuer entgegen. „Die letzten Tage sind wir von frühmorgens bis zum Anbruch der Dämmerung auf den Beinen gewesen. Ehrlich gesagt, ich hätte nichts dagegen, einfach mal ein paar Tage auszuruhen - falls dieser Tamelund sich mit seiner Entscheidung noch ein bisschen Zeit lässt.“

      „Wir können uns ja mal ein bisschen in der Siedlung dieser angeblichen Elben umsehen,“ schlug Sven vor.

      Wir blieben noch eine Weile am Feuer sitzen, schlürften heißen Tee und sahen den Frauen bei der Arbeit zu. Als die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Spitzen der Berge aufleuchteten, standen wir auf. Die Elbenfrauen ließen nicht zu, dass wir unsere Holzschalen selber abspülten. Lächelnd aber entschieden nahmen sie uns das Essgeschirr aus den Händen.

      „Ihr seid Krieger. Ihr habt andere Aufgaben.“

      Kat rollte mit den Augen, aber sie sagte nichts.

      Die Krieger und Frauen, denen wir auf unserem Erkundungsgang begegneten, grüßten uns kopfnickend, manche mit ernster Würde, manche freundlich. Niemand ignorierte uns oder starrte uns an wie am Abend zuvor, als wir von den Kriegern durchs Dorf geführt wurden. Wir gaben uns Mühe, die Höflichkeit der Siedlungsbewohner zu erwidern und an niemandem ohne Gruß vorbeizugehen.

      Am Rand der Siedlung erregte ein knapp mannshoher, bauchiger Schlot aus Lehm, aus dem dicker Rauch quoll, Svens Interesse. Ein grauhaariger Mann in der Tracht der Krieger - Lederhosen, ledernes Fransenwams, Mokassins und Stirnband mit zwei Federn daran - schob durch einen Lehmschacht am Boden Feuerholz in den Schlot. Lächelnd betrachtete er unsere rätselnden Mienen.

      In dieser Siedlung lächeln nur die alten Männer und die Frauen, ging es mir durch den Kopf.

      „Dies hier ist die Magie Gehwdyns, des roten Sterns,“ erklärte der Grauhaarige.

      Sein hellhäutiges Gesicht war von unzähligen Runzeln durchzogen. Seine graublauen Augen blinzelten wach und freundlich.

      „Gehwdyn der Rote erzeugt das feuerflüssige Blut unserer Mutter, der Erde, tief im Gestein.“

      „Verstehe!“ rief Sven aufgeregt.

      Mit einem Blick auf den Krieger änderte er seinen Tonfall. Würdevoll sagte er: „Mir ist bekannt, wovon du sprichst. Vorcinger nennen wir den roten Wanderstern. Unter seinem Einfluss bilden sich die Eisenadern im Gestein.“

      Zu Kat und mir gewandt erklärte er: „Sie verhütten ihr Eisen selbst - das ist ein Schmelzofen!“

      Ich nickte bewundernd. In Wirklichkeit verstand ich das, was Sven erklärte, genauso wenig, wie die mystischen Andeutungen des Elbenkriegers.

      Gegen Mittag hatten sich ein paar Krieger auf den Bänken um das Siedlungsfeuer eingefunden. Sie aßen schweigend aus hölzernen Schalen. Wir setzten uns auf eine leere Bank und zwei Mädchen brachten uns Schalen mit am Feuer gerösteten Wurzelknollen.

      „Wie heißt dieses Knollengemüse?“ wollte Kat wissen.

      „Das sind Bataten,“ lächelte das eine Mädchen.

      „Süße Kartoffeln!“ war Svens Kommentar.

      Ohne jedes Geräusch setzte sich ein weißhaariger, in rotbraun gemusterte Decken gehüllter Mann neben mich. Sein dichtes, weißes Haar fiel locker über seine Schultern. Ich erkannte den Ältesten, der mich gestern in der Ratsversammlung befragt hatte. Die Krieger am Feuer neigten ihre Köpfe, während der Alte sich setzte. Ich gab mir Mühe, ebenfalls eine ehrerbietige Verbeugung im Sitzen hinzubekommen.

      Die Augen in dem faltigen Gesicht blickten freundlich. „Haben meine Brüder und meine Schwester eine angenehme Nacht gehabt?“

      „Danke,“ ich verneigte mich noch einmal. „Ihr habt uns sehr freundlich aufgenommen.“

      „Ein bisschen kalt war die Nacht,“ ließ Kat sich vernehmen. „Sag, heizt ihr eure Häuser nicht?“

      „Ihr könnt den Frauen sagen, dass sie euch Holzkohlen in eurem Schlafraum aufschichten sollen,“ antwortete der Alte. „Und lasst euch Bastmatten geben, um darauf zu schlafen, wenn ihr keine eigenen besitzt. Unsere jungen Leute haben meist den gesamten Winter über kein Kohlenfeuer an ihren Schlafplätzen.“

      „Wie Lyana,“ meinte ich. „Die friert auch nie.“

      Der Alte beobachtete uns lächelnd. Unsere Unwissenheit über die Gebräuche seines Volks schien ihn zu amüsieren.