Thomas Hoffmann

Gorloin


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der Halle. Obwohl sie stand, sah sie zwischen den sitzenden Kriegern klein aus. Aber ihre Haltung, die Rechte am Messergriff, strahlte Spannkraft und Würde aus. Lyana setzte sich mit Verzweiflung im Gesicht zu uns.

      „Ich konnte sie nicht überzeugen.“ Sie unterdrückte ein Schluchzen. „Sie bleiben dabei, dass wir ihr Gebiet unerlaubt betreten haben. Kurmuk Dakar, unser Auftrag, die Prophezeiung kommender Kriege, es ist ihnen alles gleichgültig. Svens heilige Waffe... deine schwarze Magie, Leif... ich glaube, sie werden uns töten!“

      Kat biss die Zähne zusammen. „Wir warten noch auf die Entscheidung. Dann sprengt Leif ein Loch in die Wand und wir geben im magischen Nebel Fersengeld.“

      Lyana schniefte unterdrückt. Sie sah nicht überzeugt aus.

      „Ich hätte es wissen müssen,“ flüsterte sie. „Ich hab alles falsch gemacht, vollkommen falsch! Wir hätten vor dem Urwald unser Lager aufschlagen müssen und warten, ob sie sich uns zeigen...“

      Mit Tränen in den Augen sah sie mich an. „Aber ich habe ja überhaupt nicht daran geglaubt, sie wirklich zu treffen!“

      „Wir haben schon mal ein Kloster niedergebrannt,“ zischte Kat kaum hörbar. „So was kann einem Lager voller Wilder auch passieren!“

      An einigen Stellen der Halle war zustimmendes Gemurmel zu hören. Lyana blickte gespannt auf. Aeolin redete mit fester, lauter Stimme. Ich betrachtete die Reihen der Krieger. Einige von ihnen nicken. Die meisten jedoch blickten ablehnend und verschlossen zu Boden. Als Aeolin sich setzte, sprang ein anderer Krieger auf. Es war Lohan. Er setzte zur Rede an, doch einer der Ältesten bedeutete ihm mit der Hand, still zu sein. Lohan starrte den weißhaarigen Alten an, der seinem Blick ruhig begegnete. Langsam und widerstrebend setzte der muskulöse Krieger sich wieder. Der weißhaarige Alte winkte mir, aufzustehen. Mir rutschte das Herz in die Hose. Mit weichen Knien erhob ich mich.

      „Leif, Krieger eines fremden Volkes,“ sprach der Alte mich in der Reichssprache an. Seine Stimme war streng, aber nicht unfreundlich. „Wir haben gehört, dass du des todeswürdigen Vergehens schuldig bist, schwarze Magie auszuüben. Was hast du selbst dazu zu sagen?“

      „Ich... ich bin auf der Flucht vor der schwarzen Hexe, die mich gezwungen hat, an ihren Ritualen teilzunehmen. Sie hat mich gegen meinen Willen entführt, ich habe versucht, mich zu wehren, gegen sie zu kämpfen, aber ich habe nichts gegen sie vermocht.“

      Der Alte nickte zufrieden. „Lohan, Krieger der zweiten Feder,“ sprach er in die Halle hinein. „Sage uns, ist jeder, der zum Opfer der schwarzen Magie wurde, des Todes schuldig?“

      In der Halle erklangen an verschiedenen Stellen überraschte Ausrufe. Lohan stand langsam auf.

      „Dieser dort ist kein Opfer der schwarzen Magie,“ sagte er gepresst. „Er selbst hat schwarze Magie angewendet, wie seine Blutsschwester uns berichtet hat. Er selbst ist ein Schwarzhexer!“

      Unruhig blickte ich zu den anderen Ältesten hinüber. Ihre Mienen blieben versteinert. Der Älteste, der zu mir gesprochen hatte, forderte mich auf, zu berichten, wie Ligeia mich in die schwarze Magie hineingezogen hatte. Schweißperlen traten mir auf die Stirn, während ich versuchte, darzustellen, wie Ligeia mich mit ihren Träumen eingefangen, mich auf dem Opferhügel überwältigt und beinahe umgebracht hatte, mich endlich auf dem Dachboden ihrer Hütte mit berauschenden Tränken willenlos gemacht und mich mit Zaubern dazu gezwungen hatte, die Ziege zu opfern, um mir das Blut des Opfertieres einzuflößen. Hier und da hörte ich Anteil nehmende Ausrufe in der Halle, aber als ich geendet hatte, schwiegen die Krieger. Viele blickten ohne Regung vor sich hin.

      Lohan stand langsam und würdevoll auf. Die Ältesten blieben stumm. Niemand hinderte ihn daran, das Wort zu ergreifen.

      „Leif, Krieger eines fremden Volkes!“ In Lohans tiefer Stimme schwang ein drohender Unterton. „Sage uns, ob du seither - allein oder mit anderen Schwarzhexern zusammen - die schwarzen Rituale vollzogen, ob du lebende Wesen der schwarzen Magie geopfert hast.“

      Mir gefror das Blut in den Adern. „Ich... das... ich...“

      „Hört ihn an, meine Brüder!“ spottete Lohan. „Nur stottern kann er wie ein unvernünftiges Tier, wenn er nach der Wahrheit befragt wird!“

      Auf allen Seiten erklang beifälliges Gemurmel. Lyana sprang auf.

      Mit mühsam beherrschter Stimme schrie sie: „In Kingerhag hat er einer Königstochter das Leben gerettet mit seiner Magie! Er hat mich damit davor bewahrt, an einer Kampfwunde zu verbluten! Auf der barhuter Landzunge hat er seine Magie zum Kampf gegen Horden von Dämonen verwendet, die uns sonst umgebracht hätten! Das sind die einzigen Situationen, in denen er seine Magie angewendet hat!“

      Bleiernes Schweigen folgte auf ihre Worte.

      Mit belegter Stimme setzte ich zu einem weiteren Rechtfertigungsversuch an. „Es ist schwer, das schwarze Gift wieder loszuwerden. Ich bin auf der Suche nach einem Mittel dagegen... ich... ich habe nicht vor, das auf Dauer weiterzumachen...“

      Selbst in meinen eigenen Ohren klang es nicht überzeugend.

      „Hört mich an, meine Brüder!“ sagte Lohan ruhig. „Ich will in der Sprache der Fremden sprechen, damit sie verstehen, dass unser Gesetz gerecht und weise ist. Unsere Schwester,“ er nickte in die Richtung, in der Aeolin saß, „hat für die Fremden gesprochen, die in unser Gebiet eingedrungen sind. Sie ist eine große Kriegerin, und die Söhne unseres Clans und deren Kinder werden von ihren Taten am Feuer berichten. Aber ihre Sprache ist die Rede einer Frau, die ihre Gefühle nicht bezwingen kann, nicht die Sprache des Kriegers.“

      Hier und da murmelte jemand zustimmend.

      „Ihr Brüder,“ rief Lohan wütend. „Ist es recht, wenn ein Krieger sich feige seinem Feind ergibt, wenn er ihn nicht bezwingen kann? Ist es eine Ehre für ihn? Gereicht es dazu, Erbarmen und Gnade mit ihm walten zu lassen? Oder ist es seine Pflicht, seinem Feind bis zum Tod zu widerstehen?“

      Überall in der Halle brandeten zustimmende Ausrufe auf. Die Ältesten hoben ihre Köpfe und schauten Lohan an. Nur der Älteste, der mir Fragen gestellt hatte, blickte nachdenklich zu Boden. Die lange Narbe an Lohans Hals glühte, während er seine Worte voller Hass in die Halle schleuderte.

      „Dieser dort hat sich der schwarzen Magie hingegeben, statt bis zu seinem Tod dagegen anzukämpfen. Er hat ein Leben in Schuld dem Kriegertod vorgezogen. Nach unserem Gesetz hat er sich des todeswürdigen Verbrechens der schwarzen Magie schuldig gemacht. Dies ist meine, Lohans, Kriegers der zweiten Feder, Meinung. Er muss sterben! So will es unser Gesetz! Ob die anderen sofort aus unserem Gebiet verbannt werden oder mit ihm sterben sollen, mögen meine Brüder entscheiden!“

      Laute Rufe in der Elbensprache kamen von allen Seiten, dann wurde es still. Die versammelten Krieger schauten zu den fünf weißhaarigen Alten, die einander ernst zunickten. Nur einer starrte mit sorgenvoller Miene in die Kohlenglut. Lohan stand, den flammenden Blick auf mich gerichtet.

      Wir vier wechselten rasche Blicke. Ich konzentrierte mich auf einen Erd-Elementarzauber, legte mir rasch noch zurecht, mit welchen Zaubern ich die Halle mit den Kriegern darin belegen wollte, sobald die Wand eingebrochen sein würde - Orkanstoß, Feuerwalzen - als eine Stimme wie Gewitterdonner von Eingang her in die Halle dröhnte.

      „Thweon, Lohan!“

      ***

      Die große Gestalt stand vor den Fackeln im Eingang der Halle. Das unruhige, rötliche Licht beleuchtete sie von hinten, so dass nur die dunklen Umrisse des hoch aufgerichteten Neuankömmlings zu sehen waren. Sein langer Umhang wehte im Luftzug. Der Stab, den er in der Rechten hielt, war so lang wie er selbst. Am oberen Ende lief der Stecken in einem großen Wurzelknoten aus.

      Unter der gewaltigen Stimme des neu Eingetroffenen verstummte schlagartig jedes Gemurmel in der Halle. Kat, Sven, Lyana und ich starrten der Gestalt in dem wehenden Umhang entgegen.

      „Das ist er!“ hauchte Kat. „Die Gestalt auf der Hügelkuppe in den Ahnenhügeln!“

      Die große Gestalt trat mit