Thomas Hoffmann

Gorloin


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      „Was ist dein Gewerbe, Frau aus dem Volk der Menschen?“ Seine Stimme klang hart.

      „Ich bin Feldscherin, Herr - Heilerin.“

      Er blickte Kat aus eisigen Augen an. „Rede mich nicht mit „Herr“ an, das ziemt sich nicht bei meinem Volk. Ich bin Lohan. Krieger der zweiten Feder.“

      Kat blickte ihm fest ins Gesicht, ohne zu antworten.

      „Du bist Heilerin - so hat auch die Waldläuferin es erklärt,“ nickte der Elbenkrieger.

      Er schritt zu Sven und musterte ihn missbilligend. „Deine Waffe ist feindlich, Fremder. Was hast du auf unserem Gebiet zu schaffen?“

      Sven kniete sich auf ein Knie herab, wie es an einem Fürstenhof üblich gewesen wäre. „Ich habe geschworen, meine Waffe gegen alles Böse zu wenden und alle Völker der Welt vor den Schatten der Hölle zu schützen. Nur dafür verwende ich mein Schwert. Ich habe gegen Dämonen und gegen Geister aus der Hölle gekämpft. Ich stehe mit meinem Leben dafür ein, dass ich mein Schwert niemals gegen einen von euch erheben würde.“

      Der Elbenkrieger sah streng auf Sven herab. „Du wirst deine Waffe auf unserem Gebiet nicht anrühren dürfen. Sagst du das zu?“

      Sven seufzte. Er wechselte einen raschen Blick mit Kat und mir. Lyana sah ihn flehentlich an.

      „Ich sage es zu.“

      „Gut,“ stellte Lohan knapp fest. „Dann stirbt nur der schwarze Hexer. Über die anderen wird der Rat der Alten entscheiden.“

      „Nein,“ schrie Lyana.

      Sie sprang vor mich und deckte mich mit ihrem Körper vor den auf mich gerichteten Pfeilen.

      „Leif hat mit seiner Magie mein Leben gerettet! Er würde sie niemals zum Bösen einsetzen!“ Angst schwang in ihrer Stimme. „Wenn ihr ihn töten wollt, dann tötet mich auch!“

      Ein Augenblick absoluter Stille folgte, in denen keiner der Elbenkrieger sich regte.

      In die Stille hinein erklang zögernd Kats Stimme. „Ich kann beschwören, dass Leifs Gesinnung edler ist, als meine eigene.“

      „Sag es ihnen, Leif!“ flüsterte Lyana mit zitternder Stimme.

      Ich räusperte mich. Das Herz schlug mir bis zum Hals. „Ich... ich bin gegen meinen Willen in die schwarze Magie initiiert worden, von einer mächtigen Hexe. Ich bin auf der Flucht vor ihr - “

      Ich war mir nicht sicher, ob das, was ich sagte, der Wahrheit entsprach. Doch die auf mich gerichteten Bögen senkten sich. Lyana atmete schluchzend aus. Lohan trat auf mich zu. Er fixierte mich unerbittlich. Ich starrte auf die lange, hässliche Narbe, die sich von seinem linken Ohr den Hals herab bis zu seinem Brustbein zog.

      „Unsere Gesetze fordern den Tod jedes schwarzen Hexers, der unser Gebiet betritt,“ schleuderte er mir entgegen. „Stirb jetzt von meiner Hand!“

      „Thweon!“ rief das Mädchen mit den drei Federn am Stirnband.

      Lohans Augen sprühten vor Wut, aber er trat einen Schritt zurück.

      Ich holte tief Luft. „Ich bitte euch, mir Zuflucht auf eurem Gebiet zu gewähren, bis... so lange ich nach einem Mittel suche, das schwarze Gift wieder loszuwerden.“

      Schweigen folgte auf meine Worte. Keiner der Elben regte sich. Lohan starrte mich zornsprühend an.

      Endlich erklang die Stimme des Elbenmädchens. „Du hast es gehört, Lohan!“

      Der muskulöse Krieger senkte den Kopf und ging einen weiteren Schritt zurück, doch sein unbewegtes Gesicht war rot vor Wut.

      „Der Rat der Alten wird über ihn entscheiden,“ sagte er gepresst. „Aber auch ich habe eine Stimme in der Ratsversammlung!“

      3.

      Unter hohen Fichten hindurch und vorbei an sonnenhellen Windbrüchen, auf denen verschneite Junggehölze standen, führten die Elben uns bergan. Wir hatten die tiefstehende Sonne im Rücken, folglich gingen wir den weiten Gebirgstälern im Osten und Nordosten entgegen. Die Bäume warfen lange Schatten im schräg einfallenden Licht.

      Der Krieger, der Lyana zuerst angesprochen hatte, ging voraus, die anderen folgten uns in lockerem Abstand. Es verwirrte mich, dass ich die Männer praktisch nicht mehr erkennen konnte, sobald sie aus den Sonnenstrahlen in den Schatten traten. Sie gingen so lautlos, dass ich nicht hätte sagen können, ob noch die gesamte Gruppe mit uns ging, oder ob ein Teil von ihnen andere Wege eingeschlagen hatte.

      Die Elben hatten ihre Bögen über die Schultern gehängt. Sie schienen keine Sorge zu haben, dass wir ihnen gefährlich werden oder entkommen könnten. Die Mienen, in die ich sah, wenn ich mich umblickte, waren ruhig und wachsam. Es war offensichtlich, dass sie jede unserer Bewegungen wahrnahmen. Die junge Kriegerin, die uns vor dem Tod durch die Pfeile ihrer Gefährten bewahrt hatte, ging neben Lyana. Die beiden folgten Kat und mir. Sven ging ein wenig abseits. Immer wieder schaute er sich unruhig um. Fedurin drängte sich mit der Flanke dicht an Kat. Das Tier schien die Gefahr zu spüren, in der wir uns befanden.

      Lyana und das Kriegermädchen sprachen leise miteinander in der Elbensprache. Hin und wieder sah ich zu ihnen zurück. Wären die hohen Stiefel und die lederne Umhängetasche nicht gewesen, Lyana hätte eine der Waldelben sein können. Wie sie lautlos und mit federnden Schritten neben der jungen Kriegerin einherschritt, ihren langen, abgespannten Bogen in der Hand, war sie praktisch nicht von den Elben zu unterscheiden. Ich betrachtete das Kriegermädchen verstohlen. Vor dem Licht der Abendsonne bekam ihr langes, hellbraunes Haar einen beinahe rötlichen Glanz. Sie ging aufrecht und weit ausschreitend. Ihr Gesicht war verschlossen. Auch das erinnerte mich an Lyana, die ihre Gefühle so häufig verbarg. Das Mädchen hatte zwei fingerbreite, kurze Narben unter dem linken Wangenknochen. Sie mussten von einer heftigen Verletzung herrühren, die Wange musste komplett aufgerissen gewesen sein. An einer Lederschnur um den Hals trug das Elbenmädchen ein krummes, spitzes Stück Horn von der Größe eines langen Fingers. Es sah aus wie eine einzelne Kralle. Ich konnte mir kein Tier vorstellen, das derart riesige Krallen hatte.

      Kat blickte verbissen vor sich hin. Sie war sehr blass.

      „Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Waldkrieger besonders gastfreundlich sind,“ meinte ich mit gedämpfter Stimme zu ihr.

      Kat schimpfte leise los. „In eine schöne Scheiße sind wir da geraten! Mitten reingelatscht in ihren Hinterhalt, wie die letzten Trottel.“

      Wütend sah sie sich um. „Jetzt können wir sehen, wie wir den Kopf aus der Schlinge wieder rausziehen.“

      „Es war unmöglich, das vorherzusehen,“ fand ich. „Selbst Lyana hat die Bogenschützen nicht bemerkt. Auch sie hat nicht mit einem solchen Überfall gerechnet.“

      Kat schnaubte. „Wenn sich wenigstens irgendeine Fluchtchance böte - wenn wir erst in ihrem Lager sind und ihr Kriegsrat verurteilt uns zum Tod, weil wir ahnungslos ihr Gebiet betreten haben, werden wir kaum noch davonkommen können.“

      Auch mir war nicht wohl bei dem Gedanken an das, was uns bevorstand. Mit mulmigen Gefühlen spähte ich in die Schatten zwischen den Bäumen.

      „In ihren Wäldern sind wir ihren Pfeilen wehrlos ausgeliefert. Es wär‘ blanker Selbstmord, zu versuchen, ihnen hier zu entkommen.“

      „Elender Mist!“ fauchte Kat.

      „Wir müssen versuchen, mit ihnen zu reden,“ meinte ich. „Vielleicht findet sich ein Ausweg.“

      Kat warf mir einen zweifelnden Blick zu. „Übrigens wünschte ich, du hättest die Wahrheit gesagt, als du behauptet hast, du suchst einen Weg, Ligeias Gift loszuwerden.“

      Unglücklich ging ich neben ihr her dem Elbenkrieger nach, der zwischen den Bäumen hindurch bergan stieg.

      Über einen bewaldeten Hang gelangten wir an ein breites, in nordöstlicher Richtung verlaufendes