Thomas Hoffmann

Gorloin


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überhaupt kein Seeufer gesehen,“ meinte Sven beim Frühstück.

      Wir kauten Dörrobst und Brotkanten.

      „Dafür sind wir nach kaum zehn Schritten im Moor gelandet. Dabei gibt es hier weit und breit keinen Sumpf.“

      Ich sah mit einem flauen Gefühl im Magen zu den Hügeln hinauf. Dichte Nebelschleier stiegen zwischen den Hügelkuppen auf und quollen herunter in die Ebene, wie eine zähe, vor Kälte dampfende Flüssigkeit.

      „Damals war es Ligeias Nebel, in den wir am Ausgang der Schlucht geraten sind,“ überlegte ich. „Diesmal kommt der Nebel von den Ahnenhügeln herab. Ich weiß nicht, welches die üblere Variante ist.“

      „Wir können immer noch an den Hügeln vorbei über das Eis gehen,“ fand Lyana.

      Kat blickte unruhig von den Hügeln zum See.

      „Über dem Eis ist der Nebel auch schon,“ murmelte sie.

      Wir beeilten uns, das Lager abzubrechen und uns auf den Weg zu machen. Hinter den Dunstschleiern stand die blasse Wintersonne über den Ahnenhügeln. Dicke Nebelschwaden krochen um uns her über die Ebene. In der Kälte gefror unser Atem zu weißen Wolken.

      „In eineinhalb Stunden sind wir durch die Hügel durch,“ sagte Kat, während wir dem Einschnitt im Steilhang entgegen marschierten.

      Der Nebel verdichtete sich, als wir die Schlucht betraten. Wie eine undurchdringliche, milchige Wand floss uns der Dunst entgegen. Die Kälte nahm zu. Die Seitenwände der Schlucht konnten wir in den Nebelschwaden kaum ausmachen.

      „Tho Wendrun!“ flüsterte ich, während wir der Nebelwand entgegengingen.

      Die Luft um uns her wurde klar. Einen Steinwurf weit verflüchtigte sich der Nebel. Zugleich spürte ich heftigen magischen Widerstand. Wie ein schweres Gewicht stemmte ein eiserner Wille sich mir entgegen. Er schien von unbezwingbarer Boshaftigkeit. Von oben in der Schlucht flossen weitere Dunstmassen herab. Ich versuchte, meinen Geist abzuschotten, doch mein Zauberspruch brach zusammen. Schlagartig hüllten die Nebel uns ein.

      Kat fing mich auf, bevor ich der Länge nach hinschlug. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich taumelte.

      „Alles klar?“

      Ich nickte schwer atmend. „Das ist ziemlich böse, da oben!“

      Sven klinkte Herodin aus der Schwerthalterung. „Kämpfen wir es nieder!“

      Das große Schwert gab einen gleißenden Lichtblitz von sich. Ein Lichtschein umgab die Klinge des Zweihänders. Ich glaubte einen klaren, singenden Ton zu hören. Die Nebel wichen zurück. In einem Umkreis von zwei Manneslängen um Sven her strahlte Herodins Klinge warmes Licht aus. An der Grenze des hellen Bereiches kräuselte sich weißer Dunst. Einzelne Schwaden tasteten in den Lichtkreis hinein wie Geisterarme. Sie lösten sich im warmen Licht auf. Die Kälte hatte abgenommen. Die dumpfe Betäubung, die ich den Morgen über gespürt hatte, war verschwunden.

      Kat, Lyana und ich zogen unsere Schwerter. Die Klingen der beiden Frauen strahlten hell. Mein Schwert glühte in tiefem Blau.

      „Also vorwärts!“ knurrte Sven. „Erledigen wir diesen Geisterspuk.“

      „Na komm schon, du blöder Esel!“ schimpfte Kat.

      Fedurin stand, alle viere in den Boden gestemmt, und rührte sich nicht vom Fleck. Er hatte die Ohren zu den Seiten abgespreizt und stemmte sich mit seinem gesamten Gewicht gegen die Leine, an der Kat zog.

      „Soll ich dich durch den Schnee hinaufschleifen, oder glaubst du, ich trage dich da hoch?“ schrie Kat.

      Fedurin blieb stur. Er gab keinen Fingerbreit nach.

      „Lass mal.“ Lyana griff dem Esel sanft in die Mähne.

      Sie stimmte einen monotonen Gesang an, fremdartige Worte zu einer kurzen, seltsamen Melodie, die sie wieder und wieder wiederholte. Der Gesang hatte keine Ähnlichkeit mit den Melodien, die sie auf ihrer Flöte spielte. Fedurin schien sich zu entspannen. Seine Haltung lockerte sich und langsam stellte er die Ohren auf. Schließlich lief er zögernd los, obwohl seine Flanken zitterten und die Ohren bald wieder zu den Seiten abstanden. Doch er folgte Kat. Lyana stellte ihren Gesang ein.

      Dicht hinter Sven, im Lichtschein Herodins, schritten wir die Schlucht hinauf. Den Esel nahmen wir in die Mitte.

      „Was hast du mit Fedurin gemacht?“ wollte Kat von Lyana wissen.

      „Eine einfache Beschwörung,“ antwortete Lyana. „Sie stammt aus dem Buch, das ich in Dwarfencast studiert habe.“

      Vor dem leuchtenden Glanz von Svens Klinge wichen die Nebelschwaden zurück. Sie ballten sich außerhalb des Lichtkreises zusammen, zerfaserten immer wieder vor dem warmen Licht.

      „So schlimm war es beim letzten Mal nicht,“ murmelte Kat.

      Ich blickte mit zusammengebissenen Zähnen in den Nebel.

      „Ligeia hat mich gewarnt, die Schatten in den Ahnenhügeln würden mächtiger.“

      Im Nebel konnten wir die Schluchtwände nicht erkennen. Auch den Höhleneingang zu der zerstörten Tempelstadt Marduk, die wir im Herbst entdeckt hatten, sahen wir nicht. Wir waren eine knappe Stunde talaufwärts gegangen, als der Weg nicht mehr weiter anstieg. Rings um uns zogen die Nebelschwaden sich zurück und gaben die Sicht frei auf die grauen Schatten steiler Hügelketten. Oben auf den Hügelkuppen erhoben sich die Silhouetten hoher, gehörnter Säulen.

      „Die Ahnenhügel!“ hauchte Kat. „Zwei, drei Steinwürfe geradeaus, dann links über den Hügelkamm und wir sind durch!“

      Ich meinte einen seltsamen Ton im Kopf zu spüren, während wir das gewundene Tal zwischen den Hügelketten betraten. Nur eine dünne Schneeschicht bedeckte den Boden. Ich wurde das Gefühl einer lauernden Gefahr nicht los. Der Esel drängte sich dicht an Kat. Er zitterte am ganzen Leib. Ein murmelndes Summen drang an meine Ohren, wie dumpfer Gesang vieler Männerkehlen. Herodin sprühte Funken. Mein eigenes Schwert leuchtete in tiefem Blau.

      „Sie sind überall um uns!“ zischte ich.

      Herodins Lichtschein wurde blass. Ein eisiger Luftstrom wehte von den Hügeln herab. Obwohl der Vormittag gerade erst begonnen hatte, dämmerte es. Die Sonne war nicht mehr zu sehen.

      Ich nahm Bewegungen auf den Hügelkämmen wahr. In langen Reihen standen die Krieger dort oben - große Rundschilde, gehörnte Helme, Schwerter, Streitäxte, Wälder von Spießen. Im Nebel sahen ihre Silhouetten auf den Hügelkuppen grau und verwaschen aus. Aber es waren keine Hügel. Zu beiden Seiten umgaben uns gestufte, pyramidenartige Gebäude. Aus dunklen Toreingängen in den Pyramidenwänden drang eisige Kälte. Die Waffen der Krieger klirrten, ihre Stimmen hallten zwischen den Pyramiden wieder, während sie von allen Seiten über die steinernen Stufen herabstiegen.

      „Ihr Götter!“ stieß Kat hervor.

      Das Schattenheer rückte vor. Stiefel scharrten, Schilde und Rüstungen klapperten. Wir waren eingekreist. Ich kämpfte die lähmende Angst nieder und schleuderte den Schattenkriegern einen Feuerball entgegen. Er flog durch sie hindurch und zerplatzte irgendwo in der Ferne. Ich hatte es befürchtet.

      „Meine Magie nützt nichts gegen sie!“ keuchte ich.

      „Lyana, die Bögen!“ Kat riss ihrem Bogen vom Rucksack und wühlte in der Gürteltasche nach einer Bogensehne.

      Lyana berührte Kats Arm, mit der Rechten dem anrückenden Schattenheer das Schwert entgegenhaltend. „Es sind zu viele! Selbst wenn wir alle vierzig Pfeile verschießen - es wär nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“

      „Bei den Göttern! Leif, Sven, unternehmt doch was!“ kreischte Kat.

      Sven führte einen Ausfall mit dem flammenden Zweihänder gegen die anrückenden Krieger. Die Schatten wichen vor dem blitzenden Schwert zurück, doch auf den anderen Seiten rückten sie näher. Speerspitzen richteten sich auf meine Brust. In den Reihen der Kriegersilhouetten sah ich gespannte Bögen,