Thomas Hoffmann

Gorloin


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erstickt. „Diesmal wird's ernst.“

       Nicht nachdenken - wenn es zum Kampf kommt, kämpfe - für Kat - für Lyana - für Sven - denk' nichts sonst!

      Ob da oben vier Sterne waren, vier unscheinbare nur, die unsere Seelen zu sich holen würden?

      An der Seite wichen die Schattenkämpfer auseinander. Inmitten des Geisterheers bildete sich ein Spalier. Es führte auf die dunkle Toröffnung einer Pyramide.

      „Da gehen wir nicht rein!“ schrie ich. „Wir sterben hier, an der Luft!“

      Lyana wühlte in ihrer Umhängetasche. Fedurin stand vollkommen still, obwohl er an allen Gliedern zitterte. Von Svens Seite her hörte ich eine Reihe krachender Explosionen. Sein Schwert fuhr zwischen die Angreifer. Auf den anderen Seiten rückten sie näher. Kat, Lyana und ich konnten die Geister ebenfalls mit unseren magischen Waffen schlagen, aber die Blitzexplosionen bei ihrer Vernichtung würden uns selbst verletzen. Die Blitzschläge von nur vier oder fünf erschlagenen Geisterkriegern konnten uns töten.

      Lyana ließ ihr Schwert fallen und setzte ihre Flöte an den Mund. Ich sprang zu ihr und hielt meinen Schild vor sie.

      „Kannst du sie bannen?“ keuchte ich.

      Sie schüttelte den Kopf. „Die Flöte wirkt nicht auf Untote. Eigentlich kann ich gar nichts.“

      Sie begann zu spielen. Die Krieger drangen auf uns ein. Ich drückte Speerspitzen mit dem Schild zur Seite. Wenn wir nicht zwischen ihre Waffen geraten wollten, mussten wir uns gegen die schwarze Pyramidenöffnung zurückziehen. Sven führte krachende Streiche nach allen Richtungen. Es schien die Schattenkrieger nicht zu beeindrucken. Immer neue drangen heran. Die Töne drangen zaghaft und stockend aus Lyanas Flöte.

      Verzweifelt setzte sie die Flöte ab. „Es geht nicht, ich kann nicht!“

      Kat hieb mit dem Schwert nach einem Schattenkrieger, der ihren Schlag mit dem Schild auffing. Mit einem zweiten, schnellen Hieb fuhr ihr Schwert mitten durch sein Gesicht. Er verging in einem krachenden Blitz. Kat krümmte sich vor Schmerz zusammen. Ich ließ mein Schwert fallen und riss den magischen Dolch aus der Scheide. Mit dem Dolcharm umarmte ich Lyana fest, während wir vor den vorstoßenden Speeren rückwärts stolperten. Ich bot all meine Konzentration auf, um einen Schutzzauber um Lyanas Bewusstsein zu legen. Der Dolch begann rot zu glühen. Sven schlug die Speere vor meinem Schild und vor der am Boden kauernden Kat weg. Er hieb mitten in die Angreifer hinein. Blaue Blitze zuckten. Durch das Krachen klang Lyanas Melodie, wurde lauter und eindringlicher.

      Weitere Schattenkrieger rückten heran. Kat raffte sich auf, stellte sich an der anderen Seite vor Lyana, parierte Schwertstreiche. Sven stand vor mir. Er keuchte vor Anstrengung, während er die Krieger auf Distanz hielt. Schritt für Schritt wichen wir gegen das dunkle Tor zurück. Lyanas Melodie hallte klagend, trauernd im Nebel.

      Es war umsonst. Die Schatten drängten uns gegen die Pyramide.

      Lyana sah mich tränenüberströmt an. „Es hilft nicht, Leif!“

      Ich biss die Zähne zusammen. Nur den Dolch und den Schild hatte ich noch. Dennoch würden wir unser Leben teuer verkaufen.

      „Also gut - in aller Teufel Namen!“

      Ich holte mit dem Dolch aus. Er prallte gegen einen Schild.

      „Landorlin und Vendona erbarmt euch!“ schrie Lyana. „Zu Hilfe!“

      „Hör doch auf mit dem Scheiß!“ heulte Kat mit Verzweiflung in der Stimme.

      Sie wehte Speere und Schwerter ab. Pfeile zitterten in ihrem Schild.

      Eine Stimme dröhnte durch den Nebel. „Landorlin vehaneor vaht!“

      Über den Pyramidenspitzen rollte Gewitterdonner. Eine Sturmbö raste zwischen den Pyramiden dahin, zerteilte die Nebel und brachte die Schattenkrieger um uns her zum Torkeln. Kat gaffte mit offenem Mund erst mich an, dann Lyana. Lyana achtete nicht darauf. Sie starrte zu der gegenüberliegenden Pyramidenspitze hinüber. Eine Gestalt stand dort oben im wehenden Umhang, einen langen Stab in der Hand. Die andere Hand streckte sie zu einer gebieterischen Geste aus. Die Worte, die sie rief, hallten zwischen den Pyramiden - oder waren es Hügelketten? Der Dunst über den Hügeln riss auf und Sonnenstrahlen fielen auf die verschneite Hügellandschaft. Das Schattenheer verblasste im Licht, löste sich auf.

      2.

      Sven kniete keuchend am Boden. Noch immer umklammerte er mit beiden Fäusten seinen Zweihänder. Er flammte nicht mehr. Lyana hatte sich ebenfalls hingehockt. Sie stützte den Kopf in die Hände und blickte mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin. Fedurin ließ Eselmist fallen und schrie seinen röchelnden Eselsschrei. Kat kam mir mit einem an Wahnsinn grenzenden Ausdruck im Gesicht entgegen.

      „Was war das?“ schnappte sie. „Was war das - jetzt eben?“

      Ich schaute zu der gegenüberliegenden Hügelkuppe hinauf. Die Gestalt dort oben war verschwunden.

      Fünf Schritte vor mir lag mein Schwert. Ich sammelte es auf. Dann hob ich Lyanas Schwert auf und reichte es ihr.

      „Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen,“ meinte ich mit trockenem Mund. „Bevor der Spuk von neuem beginnt.“

      „Ich will wissen, wer uns da geholfen hat!“ kreischte Kat. Ihre Stimme überschlug sich.

      Ich packte sie bei den Schultern. „Reiß dich zusammen!“

      Kat biss sich auf die Lippen. Stumm hob sie ihren Bogen aus dem Schnee auf. Lyana richtete sich auf und steckte ihr Schwert in die Gürtelschlaufe. Mit blassem Gesicht sah sie mich an.

      „Kat hat recht, Leif,“ flüsterte sie. „Ich glaub' auch, ich werd' gleich wahnsinnig.“

      „Habt ihr denn nie davon gehört?“ rief Sven.

      Er nahm Fedurin am Halfterstrick und gab uns einen energischen Wink, die nördliche Hügelkette heraufzusteigen.

      „Die Soldaten, die manchmal nach Brögesand kamen, haben's auch erzählt. Manchmal, mitten im schlimmsten Schlachtgetümmel, erscheint eine mächtige Gestalt und haut die verloren Geglaubten heraus - sie nennen ihn den „schwarzen Krieger“. Auch ein paar von den Alten in unserem Dorf haben's erzählt - von der Gestalt über den Wellen, die sie in höchster Seenot, als sie ihre Seelen schon den Sternen befohlen hatten, gerettet hat. Das war der „schwarze Retter“!“

      „Unsinn!“ murmelte Kat so leise, dass nur ich es hören konnte. „Götter, rettende Geister, das sind doch alles Volksmärchen!“

      ***

      Die Gebirgshänge zu beiden Seiten glühten in der Abendsonne. Wir saßen in einem Talausgang der Nordberge um ein Lagerfeuer und verzehrten die Reste des Kaninchens, das Lyana geschossen hatte. Es war dasselbe Tal, durch das wir im Herbst aus den Bergen herabgestiegen waren. Das Lager hatten wir unter einem schützenden Felsvorsprung aufgeschlagen. Das Zelt stand ein paar Manneslängen talaufwärts auf ebenem Grund. Fedurin scharrte den Schnee mit den Hufen beiseite und rupfte, was er an Essbarem fand. Offenbar war er der Meinung, er bräuchte eine Abwechslung vom Hafer und den Rüben, die Kat ihm reichlich hingelegt hatte.

      Wir schauten in die verschneite Ebene, die sich in mehreren Wellen zum See hinunter erstreckte. Das Licht der tiefstehenden Sonne spiegelte sich auf schneefreien Stellen im Eis.

      Als ich den letzten Rest meines Kaninchenfleischs aufgegessen hatte, legte ich meinen Arm um Kat. „Wieder mal mit dem Leben davongekommen.“

      „Aber mal ehrlich,“ rätselte Kat. „Wer hat uns da geholfen? Soll ich jetzt als Betschwester in irgendein Kloster gehen zum Dank, dass ein Elbengott mich gerettet hat?“

      Lyana fuhr auf. „Jetzt hör aber mal auf mit deinem Geseier!“ schrie sie mit Tränen in den Augen. „Kannst du wenigstens einmal deine dämliche, große Schnauze halten?“

      Kat starrte sie entgeistert an. Lyana sprang schluchzend