Thomas Hoffmann

Gorloin


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hatte ein Netz aus Lügen um mich gestrickt, in dem ich mich wieder und wieder verfing. Und dennoch sehnte ich mich nach ihr. Die Sehnsucht nach Kat, nach dem Zusammensein mit ihr und Sven, die gemeinsame Erfüllung, die wir gefunden hatten, es konnte mein heftiges Verlangen nach Ligeia, nach ihrer Liebe, nach Blut nicht beiseite drängen. Ich brauchte beides - das Zusammensein mit Kat - mit ihr und Sven - und die schwarzmagischen Rituale.

       Morgen Nacht gehe ich hinunter zur Flussmündung...

      ***

      Erst spät am Vormittag kleideten wir uns an, um unsere Schlafkammer zu verlassen. Als Kat ein sauberes Leinenhemd aus ihrem Rucksack zog, fiel eine kleine Metalldose zu Boden - die Pillendose, die Kat in den Wetterbergen gefunden hatte und von der sie glaubte, dass sie Andreas Amselfeld gehört hatte. Kat fuhr zusammen. Behutsam nahm sie das Döschen auf. Sie betrachtete die Pillendose geistesabwesend, runzelte die Stirn und stopfte das Kleinod zurück in den Rucksack.

      Lyana und Aeolin nahmen sich Ponys und ritten zur Jagd aus. Kat, Sven und ich streunten den Tag über durchs Dorf, sahen den Elben bei verschiedenen Tätigkeiten zu, ließen uns von ihnen ihre Fertigkeiten beim Weben und beim Verarbeiten von Leder erklären.

      Aber obwohl ich mich den Tag über immer wieder von Kats Heiterkeit und Svens trockener Fröhlichkeit anstecken ließ, wanderten meine Gedanken doch jedes Mal wieder der Nacht entgegen, dem Vollmondopfer und dem Ritual, das ich vollziehen wollte.

      „Du bist so still,“ meinte Kat.

      Sie sah mich besorgt an. „Bist du unglücklich wegen uns dreien? Oder ist es wegen Vollmond?“

      „Es hat nichts mit dir und Sven zu tun, Kat,“ beteuerte ich. „Wirklich nicht!“

      „Der Vollmond?“ vermutete sie. „Das, was Ligeia dir gesagt hat?“

      Ich nickte stumm.

      Nach einer Weile meinte sie: „Du könntest Tamelund bitten, dir zu helfen. Er könnte dich vor Ligeia schützen - und den Zauberbann brechen, den sie über dich gelegt hat.“

      „Ja,“ murmelte ich zögernd. „Das könnte ich tun.“

      Ich wartete, bis Kat in der Abenddämmerung den Esel versorgen ging. Lyana und Aeolin waren damit beschäftigt, ihr Jagdwild auszuweiden. Ich stand dabei, während Sven sich mit einer Gruppe von Kriegern über irgendwelche Heldensagen unterhielt. Ich hörte nicht zu. Vorsichtig blickte ich mich um. Lohan konnte ich nirgendwo ausmachen. Ich nickte Sven kurz zu, der mit ausladenden Gesten den Mythos eines alten Kriegerkönigs zum besten gab, und ging zu unserer Schlafkammer. Aus meinem Rucksack holte ich den Krummdolch und den Lederbeutel mit den Ritualgegenständen und steckte sie mir unter die Wolljacke. Ich tastete unter meinem Hemd nach dem Lederpäckchen mit dem mumifizierten Ohr. Mein Puls schlug heftig. Ich schlug den schwarzen Umhang um mich und trat unter das Vordach.

      Lohan war nirgends zu sehen. Sven stand noch immer und erzählte den Elbenkriegern Heldenmärchen. Kat war vom Stall noch nicht zurück. Ohne mich zu sehr zu beeilen, strebte ich dem Rand der Siedlung zu. Ich sah mich nicht noch einmal um.

      ***

      In der Abenddämmerung wand der vereiste Fluss sich wie ein graues Band durch die Waldlandschaft. Die Silhouetten der Bäume verschmolzen zu ununterscheidbaren Schatten. Dunst stieg vom Boden auf. Der Mond war noch nicht über den Berggipfeln erschienen. Nur ein fahler Schein im Osten ließ die Gipfelgrate schwarz vor dem Nachthimmel hervortreten. Im kalten Sternenlicht krochen Dunstschwaden das Flussufer herauf wie Gespenster.

      Es war empfindlich kalt geworden, trotz der Windstille. Ich zog den Umhang fest um mich. Meine Schritte knirschten im verharschten Schnee. Mein Atem ging stoßweise. Das einzige Geräusch in der froststarren nächtlichen Flussaue außer meinen Schritten war das Pochen meines Herzens. Immer wieder blieb ich stehen und lauschte. Die Stille schmerzte in meinen Ohren. Doch selbst wenn er mir folgte - ich würde Lohan weder sehen noch hören können.

      Ich musste mehrere Stunden unterwegs gewesen sein, immer flussabwärts zwischen ausgedehnten Uferdickichten und Auenwäldern voller Unterholz, als ich vom bewaldeten Kamm einer Erhebung, die steil zum Fluss abfiel, auf eine weit hingestreckte Schilflandschaft blickte. In unzähligen Rinnsalen verlor der Fluss sich im Schilfmeer. Weit hinten glänzte die schneebedeckte Eisfläche des Sees hell im ersten Mondlicht, das über die Gipfel in meinem Rücken schien.

      Durch dichtes Buschwerk zwängte ich mich zum Ufer hinunter. Als meine Stiefel auf dem Eis knirschten, umgeben von Wäldern aus umgeknicktem Schilfrohr, blickte ich mich erleichtert um. Ich hatte das Gebiet der Elben verlassen. Hierher würden sie mir nicht folgen. Ich tastete unter meinem Hemd nach dem Lederpäckchen. Behutsam wickelte ich das schwarze, ledrige Menschenohr aus. Ich hielt es nahe vor meinen Mund.

      „Ligeia!“ Mein Atem flatterte, während ich ihren Namen hauchte.

      Langsam ging ich durchs Schilf. Ich ließ die kalten Nebel hinter mir und trat hinaus in helles Mondlicht zwischen bleichem Schilfrohr, Schnee und Eis. Vor mir klimperten Eisschollen. Eine breite Rinne schwarzen Wassers zog sich durch das Eis. Ich wunderte mich nicht darüber. Mein Blut pochte. Ich hatte ihr Reich betreten.

      ***

      In einem schwarzen Nachen kam sie die Wasserrinne herab. Lautlos glitt das flache Boot durchs Wasser, von einer unsichtbaren Strömung getragen. Sie stand aufrecht darin. Ihr Haar wehte in der Windstille, ihr dunkles Gewand schlug ihr um den Körper, ohne dass ein Lufthauch sich regte. Wie von einem Traum bewegt, stieß der Nachen gegen den Rand des Eises. Ligeia reichte mir die blasse, schmale Hand und ich stieg zu ihr ins Boot. Mein schwarzer Umhang bauschte im unspürbarem Wind. Der Kuss ihrer blassen Lippen war kaum mehr als ein Hauch. Ihre schwarzen Augen glänzten im Licht des Vollmonds.

      „Mein Leif!“ hauchte sie.

      Wir hielten uns an den Händen. Sie war fast einen ganzen Kopf kleiner als ich und doch hatte ich jedes Mal, wenn wir uns begegneten, den Eindruck, sie schaue auf mich herab.

      Über ihre Lippen huschte ein Lächeln. „Sie haben dir gedroht,“ flüsterte sie, „haben dir Bange machen wollen - und du bist dennoch gekommen.“

      „Ich... ich habe es versprochen, Ligeia,“ stammelte ich.

      Zärtlich fuhr sie mit ihren Fingern über meine Stirn, als wollte sie einen bösen Traum verscheuchen.

      „Mein Liebster!“

      Der Nachen glitt einer von Schilfrohr umgebenen Erhebung im schwarzen Wasser zu. Oben auf dem Hügel leuchtete rötlicher Feuerschein. Wir standen Arm in Arm beieinander in dem ruhig dahingleitenden Boot. Ligeias dunkler Blick ruhte auf mir, ihr Blick, den ich so lange vermisst hatte, in dem ich ertrinken wollte.

      Geräuschlos stieß der Nachen ans Ufer. Ligeia sprang hinaus und lief barfuß zwischen verschneitem Sumpfgras den Hügel hinauf. Ich folgte ihr. Rings um die Feuerstelle auf der Hügelkuppe war der Schnee geschmolzen. Ein junges Kalb war neben dem Feuer angepflockt. Trotz der Nähe der Glut zitterte das schmale, nur wenige Tage alte Kälbchen in der Kälte. Zur Seite standen Tonschalen und lederne Kräutersäckchen. Ich sah Ligeias rostigen Krummdolch neben dem Feuer liegen. Ich wusste, dass er für mich bestimmt war.

      Das Kälbchen starrte uns mit schreckgeweiteten Augen entgegen. Es zerrte am Strick in dem hilflosen Versuch, aus unserer Nähe zu entkommen. Ligeia streute Ritualkräuter ins Feuer. Der weiße, dichte Rauch leuchtete im Mondlicht. Ein Jubelschrei entfuhr mir, als wilde, ekstatische Empfindungen durch meinen Körper jagten. Ligeia betrachtete mich lächelnd. Sie griff das widerstrebende Kälbchen am Ohr und zerrte es über die Flammen. Die Augen des Tieres stierten in Panik. Schaum stand ihm vor Maul und Nüstern.

      Ligeia griff nach ihrem Dolch, doch ich hielt sie zurück. „Nein, lass.“

      Ich holte den Krummdolch hervor, den sie mir gegeben hatte und packte das andere Ohr des Kalbs. Ligeia lachte hell. Gemeinsam stimmten wir den Opfergesang an. Wie im Fieber durchschnitt ich das weiche Halsfell des zuckenden Kälbchens, bis ich die Schlagader fand. Helles Blut ließ die Flammen aufzischen. Der Lebensstrom