Thomas Hoffmann

Gorloin


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hielt eine Tonschale unter die blutende Wunde. Das Kälbchen verlor rasch seine Lebenskraft. Es brach unter meiner Hand zusammen. Mit leuchtenden, schwarzen Augen hielt Ligeia mir die blutgefüllte Schale entgegen. Ich ließ den Kalbskadaver ins Feuer sinken. Wir tranken abwechselnd von dem jungen, lebensgesättigten Blut, küssten uns lachend mit blutgefüllten Mündern. Ligeias Lippen hingen an meinen und das junge Leben, das wir mit einander teilten, machte uns zu einem einzigen, fühlenden Wesen, eingetaucht in den grenzenlosen Strom des Lebens.

      Die rostige Klinge verursachte einen unendlich süßen Schmerz in meinem Arm. Ohne jeden Schrecken beobachtete ich die Verwandlung, die mit Ligeia geschah, während sie die Lippen gegen meine Armwunde presste. Ihr dichtes schwarzes Lockenhaar verlor seinen Glanz, wurde grau und strähnig, endlich weiß und dünn wie Spinnweben. Die Hände, die fest meinen Arm umklammerten, wurden gelblich und trocken, schrumpelnde Haut spannte sich über den Fingerknochen. Wie krumm ihr Rücken unter den weiten dunklen Gewändern war! Die Veränderung hielt nur wenige Atemzüge an. Als sie seufzend und mit geschlossenen Augen meinen blutenden Arm fahren ließ und tief durchatmend vor mir in die Knie sank, strahlte sie vor blasser, junger Schönheit.

      Wir liebten uns neben dem Opferfeuer in der klaren Nachtluft. Das verbrannte Fell und das Fleisch des Kalbskadavers schwelte in der Glut. Wir spürten die Kälte der Winternacht nicht. In drängendem, dunklem Rausch schlangen unsere Körper sich ineinander.

      ***

      In beißender frühmorgendlicher Kälte wusch ich mir am Ufer des kleinen Schilfhügels im eisigen Wasser das Blut von Gesicht und Oberkörper. Ligeia strich noch einmal mit ihrer Hand über die frische Narbe an meinem Unterarm, einen Heilzauber auf den Lippen, bevor ich mein blutbeflecktes Hemd und die blutverkrustete Wolljacke überstreifte. Wie schön meine Meisterin war - trotz der Spuren verkrusteten Bluts an Mund und Händen! Ich küsste sie auf die Lippen.

      Frühnebel trieben von der schilfbedeckten Eisfläche her über das dunkle Wasser. Hinter den Silhouetten der Berggipfel im Osten wurde der Himmel hell. Im Dorf würden die Elben jetzt den Morgengesang anstimmen.

      Ligeias sanfte Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Hat der greise Alte euch schon gesagt, was ihr tun müsst?“

      „Tamelund? Nein, er hat noch nicht entschieden, was mit uns geschehen soll.“

      „Er wird euch erklären, was vor euch liegt, und warum es unvermeidlich ist,“ raunte sie.

      „Er ist dein Feind, nicht wahr?“

      Sie blickte nachdenklich über das Wasser. „Er und ich halten respektvollen Abstand von einander. Sehr selten einmal kommt er, um mich nach meinem Rat zu fragen.“

      Ich sah sie erstaunt an. „Ich dachte, ihr seid Todfeinde. Hat er nicht mit dir um diesen Elbenkrieger, Lohan, gekämpft?“

      Ein böses Lächeln glitt über ihre Lippen. „Er kam und bat mich um die Herausgabe des Jungen. Tamelund respektiert meine Gesetze auf meinem Gebiet, ich die Regeln im Land seines Volks. Ich war mit dem Jungen fertig. Sein Herz schlug noch, als der Alte kam und mich bat, ihn mitnehmen zu dürfen.“

      Sie sah mich mit schwarzen Augen an. „Ich dachte, er würde es nicht überleben.“

      Sie verabschiedete sich von mir am Ufer des Schilfhügels.

      „Viel Glück, Leif,“ hauchte sie mir zu, mich fest in die Arme schließend. „Ich will die Kräfte der Erde um Gelingen anrufen für deine Fahrt.“

      Während der Nachen mit mir zwischen verschneiten Schilfgürteln den fernen Waldhügeln entgegentrieb, stand sie am Ufer und sah mir nach, ein blasses Mädchen im lautlos wehenden, braunen Gewand. Die schwarzen Locken spielten ihr ums Gesicht.

      ***

      Meinen eigenen Fußspuren im Schnee folgend, stieg ich durch den Wald flussaufwärts. Den schwarzen Umhang hatte ich fest um mich geschlungen. Auf keinen Fall durften die Elben meine blutverkrustete Wolljacke sehen. Ich war froh, dass Lyana und Kat vor unserem Aufbruch aus Dwarfencast ein zweites, gebrauchtes Hemd und ein Wams für mich organisiert hatten. Ich würde Kat um Seife bitten müssen, um das Blut aus meinen Kleidern zu waschen.

      Wie Kat und Sven mein Verschwinden wohl aufgenommen hatten? Sicher konnten sie sich denken, was ich vorgehabt hatte. Ich redete mir ein, Kat würde sich nicht allzu große Sorgen machen. Ich war nicht mehr der ahnungslose, hilflose Anfänger, der im letzten Herbst an Ligeias Vollmondopfer beinahe gestorben wäre. Ich sah mich zwischen den Uferweiden um. In einer halben Stunde würde ich zurück in der Siedlung sein. Dann konnten wir alles klären...

      Eine Bewegung zwischen den Bäumen schreckte mich aus den nagenden Gedanken auf. Eine hohe Gestalt trat aus dem Schatten. Der breitschultrige Elb kam mir mit gemessenen Schritten entgegen. Er trug keinen Bogen. Seine große Faust umschloss den Griff des Messers in seinem Gürtel. Mit ungerührter Miene sah er mir entgegen. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Es war Lohan.

      Ich erstarrte. Panik kroch mir den Rücken herauf, schnürte meine Kehle zu.

       Flieh, weg hier, er bringt dich um!

      Mein Körper war wie gelähmt. Wohin hätte ich vor Lohan fliehen können?

      Lohan kam bis auf zwei Schritt an mich heran. Sehr aufrecht stand er vor mir und musterte mich mit unbewegtem Gesicht. Die Schlagadern an seinem Hals pulsierten. Ich richtete mich auf. Das Blut hämmerte wie wild in meinem Schädel. Angst presste mir die Lungen zusammen. Dennoch sah ich ihm in die Augen.

      „Du kannst mich mit deinen schwarzen Zaubern umbringen,“ schleuderte er mir entgegen. „Dann werden meine Brüder dich mit dem Tod strafen, den du verdienst.“

      „Warum sollte ich dich umbringen wollen?“ Meine Stimme war trocken und heiser.

      Lohans Augen blitzten auf. „Du hast dich der schwarzen Magie schuldig gemacht! Heute Nacht! Ich schwor, dich zu töten.“

      „Ich habe eure Gesetze respektiert,“ stieß ich hervor. „Ich habe keine Magie in euren Grenzen ausgeübt!“

      Lohan verzog verächtlich das Gesicht. „Mein Schwur gilt!“

       Stern meiner Geburt, gibt es denn gar keine Rettung?

      Eine Frau kam das Flussufer herab uns entgegen. Zehn Schritt von Lohan und mir entfernt blieb sie schweigend stehen. Es war eine junge Elbenfrau. Lohan nickte ihr langsam zu.

      Triumphierend sah er mich an. „Manlaina, meine Schwester. Sie wird meine Zeugin sein im Dorf, dass ich dich rechtens, im edlen Zweikampf tötete, nicht hinterrücks wie ein Feigling.“

      Entsetzt sah ich die Elbin an. Aber sie wich meinem Blick aus.

      „Ich habe keines eurer Gesetze gebrochen,“ versuchte ich noch einmal, mich zu verteidigen. „Ich habe nichts Unrechtes getan, wofür du mich töten könntest!“

      Überlegen blickte er auf mich herab. „Alle in der Ratsversammlung haben meinen Schwur gehört, ich würde dich töten, sobald du deine schwarze Zauberei wirkst. Leugnest du etwa, es getan zu haben?“

       Aus. Es ist alles vorbei.

      Mit einem Mal fielen sämtliche Empfindungen von mir ab. Plötzlich nahm ich die Umgebung, Lohans geballte Faust am Messergriff, sein unerbittliches Gesicht, die rötliche Narbe an seinem Hals schärfer und deutlicher wahr, als zuvor.

       Ich hätte zu Tamelund gehen sollen, wie Kat es gesagt hat. Er wartete darauf. Er wusste, was geschehen würde. Sie haben mich zum Tod verdammt - alle!

      Ich holte tief Luft. „Nein, ich leugne es nicht.“

      Meine Stimme war fest, obwohl mir das Herz in der Brust hämmerte.

      Die Mundwinkel in Lohans bleiernem Gesicht zuckten. „Zieh dein Messer, Leif, Sohn des Brog, damit ich dich mit der Waffe in der Hand töte. Du bist im Kampf mit dem Messer nicht geübt. Oder wende deine Zauber an. Dann verhängst du dein Todesurteil