Thomas Hoffmann

Gorloin


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Dorf. Kat hatte sich die silbernen Ohrringe angesteckt, die ich ihr auf dem Markt von Grobenfelde geschenkt hatte. Leise summend ging sie mit beschwingtem Schritt zwischen Sven und mir.

      Bei der Pferdekoppel blieb Kat stehen und schaute zu den etwa drei Dutzend Ponys hinüber. Es waren auch einige Fohlen dabei. Zwischen den Tieren ging ein Krieger umher, klopfte den Ponys auf den Hals, sprach ihnen ins Ohr. Als er uns sah, kam er an den Koppelzaun. Er stieg über den Zaun und stand eine Weile neben uns, während wir die großen, langfelligen Ponys betrachteten.

      „Wozu haltet ihr die Tiere hier in den Wäldern?“ sprach ich den jungen Elb an.

      „Oben in den Bergen erstrecken sich weite Täler, die man auf Pferden schneller durchquert als zu Fuß.“

      Der Elbenkrieger hob mit einer ausladenden Geste die Hand, wie die Elben es immer machten, wenn sie eine Rede halten wollten. Wir sahen ihn mit höflicher Aufmerksamkeit an.

      Feierlich erklärte er: „Früher, zu den Zeiten unserer Vorväter, breiteten sich die Wälder von hier bis zur Küste. Damals war die Zahl der Krieger meines Volkes nicht zu ermessen. Wenn sie auf dem Rücken ihrer Pferde in den Krieg zogen, füllten sie die Gebirgstäler wie eine heraufsteigende Flut und vom Stampfen der Hufe erzitterten die Berge. Damals trieben wir die Zwerge weit zurück in ihre Höhlen hoch oben im Gebirge. Der Gesang der Ruhmestaten unserer Väter an den Feuern hatte kein Ende.“

      Sven und ich nickten. Ich hoffte, es sah hinreichend respektvoll aus. Gleichzeitig knuffte ich Kat in die Seite, damit sie nicht zu grinsen anfing.

      Nachdem der junge Krieger zwischen den Hütten fortgegangen war, meinte Kat: „Auf einen Ausritt auf dem Ponyrücken hätt' ich jetzt Lust. Durch weite Täler galoppieren, Wind um die Nase spüren...“

      Sie sah uns fröhlich an.

      „Nee danke,“ brummte Sven. „Das könnt ihr beide machen, wenn ihr wollt. Da bin ich nicht dabei!“

      Kat seufzte. „Dann eben nicht. Lasst uns einfach ein bisschen den Fluss hinunter wandern, ja? Ich will mit euch beiden zusammen sein.“

      Als wir die Siedlung zum Fluss hin verließen, stand Lohan einen Steinwurf weit ab zwischen den Hütten und dem Waldrand. Hoch aufgerichtet, die Hand am Messergriff schaute er zu uns herüber. Wie ein Schatten verschwand er zwischen den Bäumen.

      Am Fluss fanden wir einen schmalen Pfad, dem wir zwischen dichtem Strauchwerk hindurch flussabwärts folgten. Das Gewirr der Zweige lichtete sich bald und wir fanden uns auf demselben Weg wieder, auf dem wir drei Tage zuvor durch die Dunkelheit dem Dorf entgegengestolpert waren. Jetzt, am hellen Nachmittag, blinkte die verschneite, von Weiden und Buchen bestandene Flussaue im Sonnenlicht. Kat ging mal voraus, mal neben Sven oder mir. Sie reckte sich im Gehen mit erhobenen Armen, schloss die Augen und atmete seufzend durch. So lange ich sie kannte, hatte ich sie noch nie so glücklich gesehen.

      „Die Zwerge in die Höhlen oben in den Bergen zurückgejagt!“ spottete sie. „Die Ruinen einer der heiligen Tempelstädte der Zwerge liegen südlich von hier unterhalb der Ahnenhügel! Eher glaube ich, die Zwerge mit ihrem magischen Gral haben diese Wilden tief in den Wald zurückgejagt, wenn sie sich wirklich mal in den Bergen blicken ließen!“

      „Genau das ist auf einem der Wandreliefs in der Eingangshalle von Dwarfencast abgebildet!“ rief Sven. „Zwergenkrieger, die mit dem Gral ein Elbenheer besiegen!“

      Er hatte recht. Als wir im vergangenen Herbst in Dwarfencast angekommen waren, hatte ich mich über die in Stein gemeißelte Wanddarstellung gewundert und gerätselt, was sie darstellte.

      Während Kat und Sven miteinander plauderten, wurde ich den Gedanken an Lohan nicht los. Ich war sicher, dass er uns folgte. Er würde mich in den nächsten Tagen nicht aus den Augen lassen, davon war ich überzeugt. Lohan wusste, welche Bedeutung der Vollmond für die Rituale der Schwarzmagier hatte. Wenn ich die Andeutungen über das, was ihm widerfahren war - von Ligeias Hand, dachte ich bitter - recht verstand, dann hatte er das Vollmondopfer am eigenen Leib erlebt. Ich würde keinerlei Möglichkeit haben, das schwarze Ritual unentdeckt durchzuführen. Andererseits graute mir vor dem Gedanken, was mit mir geschehen würde, wenn ich es nicht durchführte. Die Vorstellung war kaum zu ertragen. Ich wollte das Opferritual, jede Faser meines Leibes verlangte danach.

       Ich muss hier weg, raus aus dem verfluchten Elbenwald, bevor es zu spät ist!

      Aber Tamelund hatte uns die Abreise verboten. Sie würden mich nicht ziehen lassen.

      „Du bist so still - alles in Ordnung?“ fragte Kat.

      Ich schreckte auf. „Was? Ja - alles gut,“ log ich.

      Sie sah mich forschend an. „Wirklich?“

      „Ja, Kat. Es ist nichts. Ich hab nur über was nachgedacht.“

      Wir wandten uns vom Flussufer ab und stiegen einen bewaldeten Hang hinauf. Oben auf der Hügelkuppe setzten wir uns zwischen den Bäumen in den Schnee und schauten den gewundenen Flusslauf entlang talabwärts. Eine Wegstunde weiter verschwand der Fluss im Westen hinter den Hügeln. Nebel stieg dort zwischen den Hügeln auf. Das Waldland an der Flussmündung gehöre nicht zu ihrem Gebiet, hatten die Elbenkrieger gesagt. Dort hinab würden sie nicht gehen. Tamelund hatte mir lediglich verboten, schwarze Magie auf dem Gebiet der Elben auszuüben... Ein Gedanke begann sich in meinem Kopf zu formen.

      Kat blickte über die verschneite, im Sonnenlicht glänzende Waldlandschaft und seufzte wohlig. Sven hatte den Arm um sie gelegt. Ihre Hand lag auf meinem Oberschenkel.

      „Wenn ich es recht bedenke, ist es bei diesen Wilden gar nicht so schlecht,“ meinte sie. „Dieser Tamelund kann sich mit seiner Entscheidung ruhig noch eine Weile Zeit lassen.“

      ***

      Wir lauschten den Gesängen der Elben und den Klängen von Lyanas Flöte am Siedlungsfeuer unter dem fast vollen Mond bis spät in die Nacht. Zurück in unserer von der Kohlenglut geheizten Schlafkammer streiften wir wie selbstverständlich unsere Sachen ab, um uns zu dritt zu lieben, als hätte es nie einen Zweifel daran gegeben, dass das möglich war, als gehörten wir alle drei schon lange zusammen.

      Mitten in der Nacht wachte ich auf. Die Kohlenglut war fast erloschen und ich hoffte, dass der Arm, der quer über meiner Brust lag, Kat gehörte und nicht Sven - aber es war ihrer, ich erkannte den Geruch ihrer Haut sofort. Ich spürte Kats Atem leise an meinem Ohr. Ihr Haar lag über meinem Gesicht. Sven schnarchte neben ihr. Mondlicht sickerte unter dem Türvorhang hindurch in die Kammer. Ich konnte das Licht kaum ausmachen, aber ich wusste, dass es da war.

       Ich will nicht daran denken!

      Es nützte nichts. Mein Herz klopfte wild. So sehr ich auch versuchte, den Gedanken an Blut wegzudrängen, er kam immer wieder...

      Ramonas große, rätselhafte Augen, als sie mir in der Sturmnacht auf dem Opferhügel die Schale mit dem Blut des Wisentbullen reichte - „mögest du leben, Liebster,“ hatte sie geflüstert. - Das Blut des kreischenden Ferkels in Kingerhag, wie es warm über meine Hand floss, die den Ritualdolch hielt - der Geruch des Bluts aus der Pulsader Wedekinds in jener Nacht, in der der Hexer sie angefallen hatte, Geruch menschlichen Bluts vermischt mit schwarzmagischen Kräuterdämpfen - das jagende Verlangen, das mich nach diesem Blut ergriffen hatte - Ligeias schlanke Hände, mit denen sie mir die Schale mit dem Opferblut der Ziege reichte, der ich eigenhändig die Halsschlagader aufgeschnitten hatte - der dunkle Blick Ligeias, voller Verlangen nach Leben, nach Liebe und Extase...

      Dabei hatte ich es alles hier und jetzt - Leben, Liebe - und waren wir nicht frei zu leben, uns zu lieben, Kat, Sven und ich? Was sollte mir die schwarze Magie?

       Glaub mir, Leif, Katrina hat ein unstetes, zerrissenes Wesen.

      Es waren Ligeias Worte in jener Vollmondnacht.

      Sie wird nicht bei dir bleiben. Sie bleibt bei keinem Mann für lange Zeit. Jetzt willst du davon nichts wissen, aber es ist doch so. Eines Tages lässt sie dich fallen wie eine heiße Kartoffel, als wäre nie etwas