Thomas Hoffmann

Gorloin


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den Mantel zurück und zog meinen magischen Dolch. Lohan sog scharf Luft ein, als er das Blut auf meiner Jacke sah.

      „Dein Herzblut soll sich mit dem Blut der Opfer mischen, die du gemordet hast,“ schrie er. „Stirb!“

      Ich riss den Dolch hoch, aber er war schneller. Noch bevor ich das vorschnellende Messer wahrnahm, spürte ich den scharfen Stoß in der Brust. Ich taumelte. Ich spürte einen zweiten Stoß. Mein Atem setzte aus, Schwindel ergriff mich. Ich spürte, wie der getroffene, zuckende Herzmuskel das Blut schwallweise aus der klaffenden Wunde pumpte. Ich hatte plötzlich Blutgeschmack im Mund.

       Keine Schmerzen - der Schmerz allein müsste mich umbringen. Weshalb spüre ich nichts?

      Meine Knie wurden weich. Dann fühlte ich die Hitze im rechten Arm. Eine Welle heftiger Magie flutete durch meinen Körper. Ich konnte spüren, wie mein Herz wieder zu schlagen begann. Blut strömte mir in den Kopf. Ich konnte wieder klar sehen. Ich richtete mich auf. Lohan starrte mich fassungslos an. Er schnappte nach Luft, wich einen Schritt zurück. Von seinem Messer troff mein Herzblut.

       Jetzt!

      Ich rammte ihm den rotglühenden Dolch in den Leib. Er war so verblüfft, dass er nicht versuchte, sich zu wehren. Die Dolchklinge in seinem Leib hochreißen bis zum Widerstand des Brustbeins! Und nachstoßen, noch einmal, tief in seine Lungen! Lohan starrte mich noch immer an. Kurz bevor seine Augen glasig wurden, rannen Tränen über seine Wangen. Er sank langsam in die Knie. Mit beiden Händen umklammerte ich den Dolch, sägte ihn unterhalb von Lohans Rippen durch das Zwerchfell in die Lungen. Blut floss Lohan aus dem Mund. Sein Blick brach. Er sank zur Seite in den rot gefleckten Schnee. Ich hörte den gellenden Schrei einer Frauenstimme.

      Ich brauchte meine ganze Kraft, um den zwischen Brustbein und Rippen verklemmten Dolch aus Lohans Brust zu reißen. Beinahe wäre mir die magische Waffe aus den Händen geglitten. Ich hielt den Dolch mit beiden Händen umklammert.

       Nicht loslassen, dein Leben hängt an der Klinge!

      Keuchend rang ich nach Atem. Der Wald schlingerte um mich her. Manlaina stürzte schreiend zu ihrem Bruder. Weinend und die Haare raufend beugte sie sich über ihn. Sie stieß Klageschreie in der Elbensprache aus, während sie auf den in seinem Blut liegenden Leichnam blickte.

      Langsam drehte ich mich um und taumelte den Pfad am Flussufer hinauf. Die weißglühende Klinge meines Dolchs dampfte vor Hitze. Rotes Blut tropfte aus meiner Jacke in den Schnee, während ich mich langsam, Schritt für Schritt den Pfad entlang schleppte, bei jedem Schritt gegen die drohende Ohnmacht ankämpfend. Die Knöchel meiner um den Dolch gekrampften Finger waren weiß vor Anstrengung.

      5.

      An meine Ankunft in der Siedlung kann ich mich nur schemenhaft erinnern: meine schmerzhaft um den glühenden Dolch geklammerten Hände, jeder Schritt eine Überwindung, das warme Blut, das aus der Brustwunde unter dem Hemd herabsickerte, mein rasselnder Atem, Schlieren vor meinen Augen, dahinter verschwommen aus allen Richtungen herbeirennende Elben. Sie riefen durcheinander in ihrer fremden Sprache.

      „Kat!“ lallte ich keuchend, „wo ist Kat?“

      Sie drängte sich zwischen den Elben hindurch, schrie etwas, zwang mich, mich hinzulegen, obwohl ich nicht wollte. Tränen rannen über ihr Gesicht, tropften auf meine blutgetränkte Jacke, die sie hochschob, die Hände auf die blutende Wunde pressend, Heilsprüche schluchzend.

      „Fragt Manlaina,“ röchelte ich. „Manlaina weiß, was passiert ist!“

      „Halt deinen Dolch fest!“ weinte Kat.

      Dann schrie sie die Elben an: „Meine Arzttasche! Bringt mir die Arzttasche!“

      Ich hörte es wie aus weiter Ferne. Um mich wurde es schwarz.

      ***

      Als ich zu mir kam, lag ich auf einer Filzdecke in einem fensterlosen Raum. Licht fiel durch die Türöffnung herein. An den Rucksäcken in der Ecke erkannte ich unsere Schlafkammer. Kat saß neben mir. Als ich mich aufrichten wollte, drückte sie mich auf die Decke zurück.

      „Bleib liegen! Streng dich nicht an.“

      Ich atmete durch. Mein Herz schlug kräftig und regelmäßig. Ich spürte keine Schmerzen. Im Hintergrund sah ich Sven, Lyana und Aeolin. Mit ernsten Gesichtern sahen sie mich an.

      „Ich glaub',“ murmelte ich mit belegter Stimme, „ich glaub', ich hab's überlebt.“

      „Ja,“ weinte Kat. „Allmählich glaube ich das auch!“

      Über ihre bebenden Lippen huschte ein Lächeln. „Oh, Leif!“

      Aeolin hockte sich neben mich und legte ihre Hand auf meine in blutige Verbände gewickelte Brust. „Der Blutsbruder meiner Schwester ist sehr mutig.“

      Ihre Augen waren voller Zuneigung. „Manlaina, Lohans Schwester, hat es bezeugt. Mein Bruder hat das Gebot unseres Vaters Tamelund beachtet, selbst im Angesicht des drohenden Todes. Die Krieger meines Clans zollen ihm dafür Achtung.“

      „Heißt das, ich bin freigesprochen? Lohan ist tot!“

      „Er hat den Tod gesucht,“ sagte Aeolin. „Den meines Bruders - oder seinen eigenen.“

      Obwohl ich mich nicht krank fühlte, bestand Kat darauf, dass ich den Tag über liegen blieb. Zu Mittag brachte sie mir Fleischbrühe und Süßkartoffeln. Zweistündlich wechselte sie meine Verbände. Die Brustwunde blutete nicht mehr nach. Am Nachmittag kamen einige Clankrieger. Sie hockten sich schweigend vor mich hin und nickten mir respektvoll zu.

      Einer von ihnen ergriff das Wort. „Möge mein Bruder leben, der von den Menschen der Ebene zu uns gekommen ist. Die Zauberei, der er sich verschworen hat, können wir nicht gutheißen, doch er beweist den Mut eines Kriegers. Im ehrenhaften Zweikampf hat er seinen Todfeind niedergerungen.“

      Am Abend ging ich zu den Gefährten ans Feuer hinaus. Unter meinem Umhang trug ich mein Ersatzhemd und das gefütterte Leinenwams, das Kat und Lyana mir in Dwarfencast organisiert hatten. Außer einem leichten Ziehen spürte ich nichts mehr von der tödlichen Wunde, die Lohan mir am frühen Vormittag zugefügt hatte. Ich fühlte mich schwach und hatte riesigen Appetit auf Fleisch. Kat, Sven, Lyana und Aeolin sahen mir entgegen, wie ich langsam über den Platz kam. Sie rückten auseinander und ich setzte mich zwischen Kat und Lyana.

      „Deine Heilmagie grenzt an Wunder,“ meinte ich zu Kat. „Vermutlich könntest du damit Tote auferwecken.“

      Sie betrachtete mich mit ihrem Feldscherblick.

      „Das ist nicht komisch,“ fand sie. „Heute hab ich praktisch einen Toten auferweckt. Du warst der reinste Zombie, als du in die Siedlung gewankt kamst.“

      Sie umarmte und küsste mich.

      Dann seufzte sie: „Dass du endlich mit dieser schwarzmagischen Scheiße aufhören würdest! Das bringt dich um, Leif!“

      „Heute hat es mich nicht umgebracht, sondern gerettet,“ behauptete ich. „Ich glaube, ohne das Lebensritual in der Nacht hätte der magische Dolch mich nicht am Leben halten können. Wo ist er eigentlich? Ich hab ihn in der Schlafkammer nicht gefunden.“

      „Den hast du aufgeraucht, Freund!“ rief Sven mir zu. „Als er dir aus den Händen glitt, ist die Klinge weggeschmolzen.“

      ***

      Am folgenden Vormittag ließ Tamelund uns zu sich rufen. Wir saßen alle vier am Siedlungsfeuer zusammen, als ein Krieger uns die Botschaft überbrachte. Aeolin war bei uns. Die Stichwunde in meiner Brust war vernarbt. Ob es nun an Kats Heilmagie lag oder am Opferritual der Vollmondnacht, ich fühlte mich gesund. Von der Verletzung merkte ich nichts mehr.

      Auf dem gewundenen Pfad durch den verschneiten Wald packte mich die Angst. Zu spät wurde mir klar, dass der Greis mit seiner Entscheidung über unser Schicksal nur den Vollmond abgewartet hatte, um zu sehen,