sah mich verzweifelt an. Tränen standen in ihren Augen. „Ich gehe mit dir, Leif!“
Bevor ich ihr antworten konnte, sprang sie auf und lief vom Platz weg in die Siedlung.
„Sei nicht so bescheuert!“ schrie ich ihr nach. „Hör doch bloß mit dem Getue auf!“
Sie drehte sich um und rief zurück: „Ich halte mein Versprechen, das ich dir gegeben habe, Leif!“
Dann rannte sie zwischen den Langhütten davon.
***
Langsam ging ich zum Feuer hinüber. Kat und Sven hatten aufgehört, zu streiten. Sie standen mit einer Gruppe junger Krieger zusammen. Sven sprach zu den unbewegt lauschenden Elben. Er hatte die Rechte am Messergriff und untermalte seine Rede mit ausladenden Gesten der linken Hand in der perfekten Pose eines Elbenkriegers. Als Kat mich kommen sah, ließ sie Sven bei den Elben stehen und kam mir entgegen. Sie machte ein Gesicht, als hätte sie saure Weintrauben gegessen, und ich wäre schuld, dass die Trauben sauer waren. Aber dann zuckte doch ein Schmunzeln um ihre Lippen. Sie nahm mich an der Hand und wir setzten uns auf eine Bank am Feuer. Eine alte Frau brachte uns Schalen mit gekochten und gestampften Kastanien.
„Versprich mir, dass wir beim kleinsten Anzeichen einer Gefahr umkehren,“ sagte Kat, während wir heißes Kastanienmus löffelten. „Und versprich mir, dass du Sven davon überzeugen wirst, mitzukommen, wenn wir umkehren! Er will schon wieder den Helden spielen.“
Ich nickte. „Sobald wir feststellen, dass wir Gefahr laufen, in eine richtige Scheiße zu geraten, ziehen wir ab. So ein Ding wie in den Ruinen von Halbaru machen wir nicht nochmal. Die Geisterklippen haben wir ja auch nur durchgezogen, weil Ligeia dabei war.“
Zwischen den Langhütten tauchten Aeolin und Lyana auf. Sie hatten ihre Bögen dabei. Als sie uns erblickten, kamen die beiden ans Feuer und setzten sich zu uns. Lyana blickte mich nicht an und sagte kein Wort, aber sie rückte dicht an mich heran, bis unsere Schultern einander berührten.
Es ist gut, Lyana, ich bin dir ehrlich dankbar! Aber du solltest hier bleiben.
Kaum merklich schüttelte sie den Kopf.
Bevor wir ein Gespräch beginnen konnten, kam Thweronund um das Feuer herum zu uns. Sven stand noch immer bei den Elbenkriegern. Wir neigten ehrerbietig die Köpfe vor dem Ältesten. Er lächelte sein gefährlich anmutendes Lächeln, während er sich neben Kat setzte.
„Nun, Thwaendeyin, meine Tochter, wie hast du dich mit deinen Gefährten entschieden?“
Kat starrte ihn an. „Meinst du mich?“
Der Älteste nickte lächelnd.
„Wie - was ist das für ein Name?“
Thweronund blickte uns milde an. „Tamelund, unser Vater, hat heute morgen zu dir gesprochen wie zu einer von meinem Volk. Deshalb haben meine Brüder dir einen Namen gegeben, der zeigt, dass du Aufnahme im Clan der Munawhin gefunden hast. Nicht länger bist du uns eine fremde Kriegerin, Thwaendeyin.“
„Ich kann das nicht mal aussprechen, ohne einen Knoten in der Zunge zu kriegen,“ murmelte Kat.
Laut sagte sie zu dem Ältesten: „Dann müsste Leif auch einen Elbennamen bekommen haben! Zu ihm hat Tamelund auch gesprochen.“
„Das ist so,“ lächelte Thweronund. „Mein junger Bruder, dein Freund, ist Whoanneran.“
Kat verbiss sich ein Grinsen, während sie mich ansah.
„Ich bleib bei „Leif“,“ raunte sie mir zu.
Dann sagte sie: „Wir werden in die toten Berge gehen und sehen, was wir machen können. Aber ob es uns gelingt, das können wir nicht versprechen.“
„Landorlin und Vendona mögen euch ihren Segen geben,“ antwortete der weißhaarige Älteste.
Er blieb noch eine Weile neben uns sitzen, während wir unser Kastanienmus aßen. Dann stand er schweigend auf und ging davon.
Als wir aufgegessen hatten, ging Kat nach Fedurin sehen.
Ich wandte mich an Lyana. „Diese Elbennamen - was haben die zu bedeuten?“
„Wie der Älteste sagte,“ meinte sie. „Seit Tamelunds Schiedsspruch heute früh werden wir nicht mehr als Fremde angesehen. Durch den Namen wird bei den Herren des Waldes die Zugehörigkeit ausgedrückt, deshalb haben sie euch Namen in ihrer Sprache gegeben. Dein Name bedeutet: „Der dem Tod ins Auge blickt“.“
Ich dachte einen Moment darüber nach.
„Und der Name, den sie Kat gegeben haben?“
Lyana blickte verlegen zur Feuerstelle. „Thwaendeyin bedeutet: „Gieriger Rabe“.“
Ich schwieg betroffen.
Nach einer Weile meinte ich: „Bitte sag Kat das nicht. Ich glaub' nicht, dass sie damit gut umgehen könnte.“
***
Die verbleibenden Tage vor dem Aufbruch verbrachten wir wie die vorherigen. Lyana und Aeolin gingen jeden Tag auf die Jagd. Abends am Siedlungsfeuer saßen sie beieinander und rauchten Lyanas Pfeife. Lyana spielte ihre Flöte und häufig stimmte eine der Frauen oder ein Krieger einen Gesang zu ihrem Flötenspiel an. Aber Lyanas Melodien klangen traurig und sehnsüchtig, nicht mehr voller Freude wie in den Tagen vor Tamelunds Entscheidung.
Kat, Sven und ich verbummelten die Tage im Dorf und auf gemeinsamen Spaziergängen entlang der verschneiten Flussauen. Kat machte keinen Hehl daraus, wie glücklich sie war. Sie gab darauf acht, weder Sven noch mir in irgend einer Weise einen Vorzug zu geben. Sie war verliebt und fröhlich und wäre nicht der nahe Aufbruch gewesen, über den zu sprechen wir vermieden, sie hätte sich vielleicht noch zu der Äußerung hinreißen lassen, dass die Götter es doch gut mit ihr meinten.
In den Nächten in unserer Schlafkammer erfand Kat immer neue Spiele, bei denen keiner von uns beiden leer ausging oder sich hätte benachteiligt fühlen müssen. Ich war überrascht, wie heftig, geradezu grob, Sven mit ihr war. Aber ganz offensichtlich mochte sie es. Am meisten genoss sie es, wenn wir sie gleichzeitig berührten. Ein oder zweimal wurde sie fast ohnmächtig vor Ekstase.
Wenn wir gemeinsam durch die Siedlung bummelten, schäkerte Kat mit Sven und mir. Sie und Sven alberten herum, stritten sich scherzhaft.
Den einen Vormittag während dem späten Frühstück am Siedlungsfeuer sagte sie mit gespieltem Vorwurf zu Sven: „Leif weiß, wie man zärtlich zu einem Mädchen ist, hörst du, Sven?“
Er zuckte mit den Schultern. „Wusste gar nicht, dass du darauf stehst. Ich dachte, du magst es, wenn's erst richtig heftig wird.“
„Mag ich auch!“ lachte sie. „Ich brauch' euch eben einfach beide!“
***
Am letzten Abend in der Elbensiedlung ging Lyana nicht mit Aeolin das gemeinsam erjagte Wild abhäuten. Allein ging sie zur Feuerstelle, setzte sich auf eine Bank und starrte in die Flammen. Kat, Sven und ich hatten dabeigestanden, als die Jäger den Frauen die Jagdbeute zeigten und von der Jagd erzählten. Ich verließ den Kreis der Jäger, ging hinüber zu Lyana und setzte mich neben sie.
Eine Weile saßen wir stumm nebeneinander.
Schließlich sagte sie tonlos: „Du brauchst gar nicht erst zu versuchen, mit mir zu diskutieren. Ich komme doch mit dir mit.“
„Lyana,“ fing ich trotzdem an. „Ich weiß, das wir beide Blutgeschwister sind, dass - dass du mich liebst. Aber schau...“
„Leif, lass es einfach, ja?“
„Nein, das meine ich nicht...“
„Ich weiß, was du sagen willst!“
„Aber lass mich doch wenigstens in Worten sagen, was ich meine, das ist immer noch anders, als so unfertige Gedanken!“
Sie seufzte.