Thomas Hoffmann

Gorloin


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oder dreien der Lagerfeuer hingen Kessel.

      „Ein Flüchtlingslager!“ flüsterte ich.

      Kat schüttelte den Kopf. „Für Flüchtlinge sind sie zu gut bewaffnet.“

      „Freischärler?“ überlegte Lyana.

      „Wenn sie Freischärler wären, würden sie sich nicht im Wald verstecken,“ meinte Kat leise. „Und für Kriegsvolk sind sie wiederum zu schlecht bewaffnet. Nein, ich glaub', das ist Räubergesindel - Plünderer, Wegelagerer der schlimmsten Sorte!“

      „Wie geübte Krieger sehen die wirklich nicht aus,“ fand ich. „Aber es sind ziemlich viele. Kommen wir ungesehen an denen vorbei?“

      Lyana und Aeolin spähten die Felswand entlang.

      Die beiden wechselten einen Blick, dann meinte Lyana: „Kaum möglich. Hinter den Felsen wird es zu eng. Und davor haben wir keine Deckung zum Lager hin. Vielleicht in der Nacht - aber ohne aufzufallen mit dem Esel am Lager vorbei? Wahrscheinlich stellen sie Wachen auf.“

      Wir schlichen zurück hinter den Felsen und besprachen die Lage mit Sven.

      „Das Flusstal hinauf in die Berge zurück und einen anderen Abstieg suchen?“ überlegte Kat.

      Sven runzelte die Stirn. „Schlecht bewaffnetes Räuberpack, sagt ihr? Lassen wir uns von denen einschüchtern? Wir gehen einfach durchs Lager hindurch! Vermutlich werden sie uns in Ruhe lassen, wenn sie unsere Waffen sehen.“

      „Sie haben auch Bögen,“ gab ich zu bedenken.

      Sven zuckte mit den Achseln. „Wir müssen halt die Augen offen halten.“

      Einen Moment lang dachten wir nach.

      Dann sagte Aeolin: „Gehen wir!“

      „Also gut,“ meinte ich zögernd. „Aber wenn irgend möglich, lasst uns einen Kampf vermeiden. Es sind Frauen und Kinder im Lager.“

      ***

      Männer und Frauen im Lager blickten uns überrascht entgegen, als wir mit dem Packesel zwischen den Felsen hervorkamen. Ein paar Kinder rannten schreiend davon. Wir trugen unsere Helme und Kat und ich hatten die Schilde bereit. Lyana und Aeolin trugen die aufgespannten Bögen in der Hand. Ein paar Männer griffen nach Speeren und kamen uns zögerlich entgegen.

      „Den Sternen zum Gruß,“ rief Kat den Männern entgegen, während wir auf sie zumarschierten.

      Die Männer blieben stehen. Sie hatten ungepflegte Haare und Bärte. Ihre Hosen und Jacken starrten vor Dreck. Die Füße hatten sie mit dicken Lappen umwickelt.

      „Die Sterne grüßen wir nicht,“ rief einer von ihnen. „Wir glauben nicht an sie.“

      „Die glauben bloß an die Hölle!“ flüsterte Kat mir zu.

      Als wir bei den Männern ankamen, hielten wir an.

      „Wir wollen hinunter in die Talebene nach Greifenhorst,“ sagte Kat. „Unterwegs haben wir Geschützdonner gehört. Herrscht noch immer Krieg im Tal?“

      Die Männer beäugten uns misstrauisch.

      „Was wollt ihr in Greifenhorst?“ knurrte der, der zuerst gesprochen hatte.

      Auf seiner Stirn und in seinem dreckigen Haar klebte verschorftes Blut. Die Verwundung konnte noch nicht lange zurück liegen. Kat musterte ihn geringschätzig.

      „Das geht euch nichts an,“ schnappte sie zurück. „Wir fragen euch auch nicht, was ihr hier in der Wildnis zu schaffen habt.“

      „Wollt ihr Nachschub bringen für die kaiserlichen Truppen?“ rief ein rothaariger Riese drohend aus dem Hintergrund. „Oder für die Truppen von Nordwall?“

      „Wir haben mit keiner Truppe der Welt zu schaffen,“ sagte ich. „Wir sind niemandem verpflichtet und gehen unseren eigenen Zielen nach, über die wir niemandem Rechenschaft schuldig sind.“

      Die Männer sahen sich an.

      „Wenn das so ist,“ sagte der mit der Kopfwunde, „dann seid ihr bei uns willkommen. Wir kämpfen für Freiheit von aller Knechtschaft - gegen die, die sich Herren über andere nennen.“

      Kat sah ihm fest in die Augen. „Und gegen die Unterdrückung von Frauen und Mädchen, hoffe ich? Dafür, dass jede Frau über ihr Leben frei bestimmen kann wie ein Mann?“

      Verdutzt trat der Angesprochene zurück. Die anderen wechselten fragende Blicke miteinander. Kats Selbstsicherheit schien sie zu verwirren.

      „Sicher, dafür auch,“ brummte der Rebell. „Wir kämpfen für die Freiheit aller Menschen.“

      Eine unangenehme Pause entstand.

      Schließlich meinte einer der Umstehenden: „Warum rastet ihr nicht bei uns? In die Talebene kommt ihr noch früh genug. So gut wie bei uns werdet ihr es unten nicht finden. Der Krieg hat das Tal verwüstet.“

      „Gegen eine kräftige Mahlzeit hätten wir nichts einzuwenden,“ meinte Sven.

      Ich sah die Blicke, mit denen die Lagerleute unsere Ausrüstung und das Gepäck, ja sogar unsere Stiefel betrachteten, und fühlte mich nicht wohl bei der Vorstellung, länger als unbedingt notwendig im Lager zu bleiben. Während die Männer uns an ein Feuer brachten, tauschten Kat und ich warnende Blicke miteinander. Sie tippte unauffällig an ihr Schwert. Ich nickte. Lyana stieß mich an und deutete seitwärts zwischen die Bäume. An über Kreuz in die Erde gerammten Pfählen sah ich zerschundene, menschliche Körper angebunden. Sie regten sich nicht. Anscheinend waren sie tot oder so gut wie tot. Auch Kat hatte die Körper der Gefolterten bemerkt. Sie biss die Zähne zusammen, aber unseren Begleitern gegenüber ließ sie sich nichts anmerken.

      Am Feuer teilten Frauen aus einem Kessel Essen aus. Die Blicke, die uns von den um das Feuer hockenden, mit Fingern und Holzlöffeln essenden Männern zugeworfen wurden, waren nicht freundlich. Alle schienen mehr Augen für unser Gepäck, unsere Waffen und Rüstungen zu haben als für uns. Zwei große Kerle stellten sich neben Fedurin. Einer griff nach der Halfterleine.

      „Wir geben eurem Esel Wasser und Heu, setzt euch nur und esst,“ brummte er.

      Kat hielt die Leine fest. Sie baute sich vor dem Kerl auf und schleuderte ihm einen drohenden Blick zu. Mit einem Satz war Aeolin an ihrer Seite. Die Hand am Dolchgriff fixierte sie den Mann aus dem Lager. Er ließ die Leine los und die beiden Kerle gingen unsicher einen Schritt zurück. Sven ging auf die beiden zu und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen, was sie veranlasste, noch zwei Schritt zurückzuweichen. Lyana und ich sahen uns nach den Seiten und nach hinten um. Männer und Frauen in der Nähe beobachteten, was geschah. Es sah jedoch nicht nach einem unmittelbar bevorstehenden Angriff aus.

      „Dieser Esel bleibt bei uns,“ knurrte Sven drohend. „Und ihr alle lasst die Finger von unseren Sachen, sonst gibt's Dresche, verstanden?“

      „Ist ja gut, wir wollen euch nichts tun,“ antwortete einer der beiden heiser.

      „Da bin ich froh drüber,“ grollte Sven.

      Er wandte sich um ging und zum Suppenkessel. „Es tut mir immer leid, wenn ich Leute zusammenschlagen muss.“

      Die Frauen am Feuer waren in Lumpen gehüllt und sahen müde und abgezehrt aus. Schweigend füllten sie Holzteller aus dem Kessel und gaben sie uns. Es war ein einfaches Gericht aus Rüben und Linsen. Kat schlang sich Fedurins Leine um den Arm und wir setzten uns so, dass wir den Esel im Auge hatten und uns nach allen Seiten umblicken konnten. Einige Männer setzten sich in unsere Nähe.

      „Hat jemand mal einen Löffel?“ brummte Sven.

      Stumm bekamen wir Holzlöffel gereicht.

      Während er schmatzend seinen Eintopf aß, redete Sven laut drauflos. „Wir kommen von der Küste her durch die Berge. Unterwegs wurden wir von einem Wolfsrudel angefallen. Die Kleine da,“ er deutete auf Lyana, „hat allein ein halbes Dutzend von denen mit dem Messer erledigt. Ein andermal waren wir in einem