Thomas Hoffmann

Gorloin


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er schleppend, als sage er eine auswendig gelernte Litanei auf. „Ihr seid nicht die ersten, die hier vorbeikommen. Ich hätte euch gerne mit allem versorgt, was ihr begehrt. Wir geben euch, was wir haben, aber es ist nicht mehr viel da.“

      „Du siehst aus, als wenn du selber nicht genug zum Leben hast,“ sagte Kat. „Was willst du da noch teilen?“

      „Die Sterne mögen meine Zeugen sein, was du sagst, ist wahr, edle Frau,“ murmelte der Mann.

      Schicksalsergeben blickte er uns einen nach dem anderen an. „Und wenn ihr die gesamte Hütte durchwühlt und den Boden zwei Manneslängen tief umgrabt, selbst wenn ihr mir die Haut vom Rücken zieht, ihr werdet nichts finden. Es ist alles geplündert und gestohlen. Aber wir geben euch, was wir an Essen haben, weil ihr Hunger habt von eurer Fahrt.“

      Angewidert sahen wir uns an. Der Mann betrachtete uns unruhig. Die Angst in seinen Augen war nicht zu übersehen.

      Kat seufzte. „Wir suchen nur einen Unterschlupf für die Nacht, um nicht auf freiem Feld übernachten zu müssen. Sonst brauchen wir nichts, guter Mann.“

      Der ausgeplünderte Bauer zeigte auf einen Schuppen mit unzerstörtem Dach. „Dort im Heu haben öfters Soldaten, Freischärler oder Rebellen übernachtet. Das Heu ist nicht mehr frisch, aber es ist Platz für euch alle, ihr edlen Herrschaften.“

      „Danke, das wird uns genügen,“ sagte Lyana.

      Kat betrachtete den Mann. Sie wollte ihn etwas fragen, aber bevor sie dazu kam, kam ein in Lumpen gehüllter Junge aus der Hausruine. In der Hand hielt er eine flache Tonschale mit ein paar Brotkanten.

      „Das ist alles, was meine Speisekammer hergibt,“ murmelte der Bauer. „Ihr sollt nicht glauben, ich verstecke etwas vor euch.“

      Kat stöhnte auf.

      „Kochen tun wir erst, wenn es dunkel wird,“ sagte der Mann hastig. „Wir wollen keine ungebetenen Gäste durch den Rauch anlocken. Es gibt Brennnesselsuppe. Aber ich kann meiner Frau sagen, dass sie gleich kochen soll, wenn ihr es wünscht.“

      Der Junge hielt uns die harten Kanten hin. In seinen Augen stand Angst. Sven holte tief Luft. Er trat einen Schritt auf den ausgeplünderten Bauern zu.

      Der Dörfler zuckte zusammen. „Erbarmen, Herr, meine Frau ist krank, es geht ihr nicht gut,“ schrie er in plötzlicher Panik. Er wand sich Hände ringend vor Sven. „Schlagt mich tot, macht mit mir, was ihr wollt, alles, was ich habe, gebe ich euch, aber, bitte, lasst meine Frau! Sie hat zu viel erlitten, sie ist ganz krank!“

      Kat sog scharf Luft ein. Wuttränen traten ihr in die Augen.

      „Halt den Mund, Mann, du beleidigst uns!“ donnerte Sven.

      „Erbarmen, hoher Herr!“ kreischte der Bauer.

      Er fiel vor Sven auf die Knie.

      „Du beleidigst uns, wenn du uns für Plünderer und Frauenschänder hältst!“ brüllte Sven.

      Kat trat neben ihn und legte ihm die Hand auf den Arm. Voller Entsetzen sah der Bauer zwischen den beiden hin und her. Er schien verzweifelt zu versuchen, herauszufinden, was von ihm erwartet wurde.

      „Du sagst, deine Frau ist krank?“ fragte Kat den Bauern.

      Währenddessen redete Lyana zu dem mageren Jungen. Aeolin suchte irgendetwas in den Gepäcktaschen.

      „Es ist, wie der edle Herr sagt,“ krächzte der Dörfler. „Sie ist geschändet worden, mehrmals!“

      „Ich bin Feldscherin,“ sagte Kat. „Bring mich zu ihr. Ich will sehen, ob ich ihr helfen kann.“

      Der Bauer sah sie und Sven an, als müsse er den Verstand verlieren.

      „Ja, edle Frau,“ stotterte er.

      Während Kat ihre Arzttasche aus den Gepäck holte, legte Aeolin dem Jungen einen schmalen Streifen Dörrfleisch in die Schale, wo auch immer sie das Fleisch hergezaubert hatte.

      „Bring das deiner Mutter,“ sagte sie.

      Der Junge starrte sie verständnislos an. Er schien nicht begreifen zu können, was geschah. Dann rannte er in die Hausruine. Kat ging ihm mit dem Bauern nach.

      „Wartet hier!“ rief sie uns zu.

      ***

      Im schütteren Licht eines Kienspans hockten wir mit dem Bauern, seiner Frau und dem Jungen im einzigen unversehrten Raum des Hauses um die Herdstelle und löffelten Brennnesselsuppe mit gerösteten Kastanien, gewürzt mit Salz aus Lyanas Vorrat. Die Bauersfrau war hager und sehr blass. Von den dreien konnten ihre Lumpen noch am ehesten als Kleider bezeichnet werden. Sie sagte den ganzen Abend über kein Wort und blickte nur stumm vor sich hin. Kat saß neben ihr. Mordlust flackerte in ihren Augen.

      „Warum seid ihr nicht geflohen, wie die anderen aus dem Dorf auch?“ fragte Sven den Bauern.

      „Alle, die geflohen sind, sind auf offenem Feld ausgeplündert worden, erfroren oder erschlagen worden,“ meinte der Bauer müde. „Ich glaube nicht, dass auch nur ein einziger die Straße ins Reich hinunter erreicht hat. Die in den Wald geflohen sind, wurden dort ausgeraubt und erschlagen. Und die, die sich dem Kriegsvolk oder den Bauernhaufen angeschlossen haben, um selber andere auszuplündern und zu erschlagen, können dort genauso gut ihr Leben verlieren oder verhungern. Warum sollen wir nicht hier bleiben? Der Tod kann uns ebenso hier erwischen oder an uns vorübergehen wie anderswo.“

      Nach dem kargen Essen zogen wir uns in den Schuppen zurück, wo Fedurin bereits untergebracht war. Er hatte beleidigt und angewidert den Kopf geschüttelt, als er das muffige Heu zu Gesicht bekam, aber Kat hatte ihm nicht ganz so verbrauchte Schichten aus den Ecken zusammengerauft und gemeint: „Was besseres gibt's hier nicht, alter Junge, wir sind in Kriegsgebiet. Wir haben selber nichts Ordentliches zu essen.“

      Fedurin guckte beleidigt zur Seite. Er ahnte wohl, dass wir vorhatten, die Kastanien zu essen, die sonst sein Futter gewesen wären.

      Wir legten Filzdecken übers Heu und breiteten unsere Wolldecken darüber. Kat leuchtete uns mit magischem Licht. Anschließend leuchtete ich uns, während sie ihre Pfeilwunde reinigte und mit einem Heilzauber behandelte.

      Immer noch fassungslos meinte sie: „Denen fehlt alles hier, selbst das Allernötigste - Decken, Kleidung, Essen, Medikamente - nur Feuerholz haben sie. Das können sie sich zur Genüge aus den Ruinen rings umher beschaffen. Aber tagsüber können sie nicht heizen, weil der Rauch sie verraten würde und sie erneut ausgeplündert, geprügelt und vergewaltigt würden.“

      Während wir anderen unter die Decken krochen, holte Kat die zwei verbliebenen Filzdecken aus dem Gepäck. „Ich bringe ihnen die beiden Decken. Für uns fünf reichen zwei Filzdecken aus.“

      Fedurin hatte sich sofort aufs Heu niedergelassen, als wir den Schuppen betreten hatten. Als Kat zurückkam und zwischen Sven und mir unter die Wolldecken kroch, stand der Esel mühsam wieder auf. Er schnaubte beleidigt.

      Ich starrte in der Dunkelheit nach dem eigenwilligen Tier. „Was hat er denn?“

      „Du bist ein kluges Tier, Fedurin,“ meinte Kat, „aber von uns braucht keiner Wache zu halten. Der Hund des Bauern wacht draußen.“

      Fedurin blieb störrisch stehen. Hunden traute er anscheinend nicht.

      ***

      Mitten in der Nacht weckte mich Hundegebell. Fedurin gab ein leises, knurrendes Eselwiehern von sich.

      „Schon gut, wir sind schon wach,“ flüsterte Kat.

      Vorsichtig ließ ich einen blassen magischen Lichtschimmer aufleuchten. Die besorgten Gesichter der Gefährten traten aus der Dunkelheit. Vor dem Schuppen bellte der Hund. Wir nahmen hastig Waffen, Helme und Schilde auf. Mein Schwert glühte blau, bevor ich es in die Gürtelschlaufe schob. Entschlossen blickten wir uns an. Dann schob ich vorsichtig die Schuppentür auf.

      Im fahlen Licht der dünnen Mondsichel kam eine Gruppe Bewaffneter zwischen