Thomas Hoffmann

Gorloin


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vielleicht zwei Steinwürfe breit. Nur die Ufer waren zugefroren. In der Flussmitte strömten Eisschollen im reißenden Wasser. Die hölzerne Brücke lag eine Viertelstunde östlich von uns. Am Fuß der Brücke auf unserer Seite des Flussufers schien sich ein Soldatenlager zu befinden. Zwischen zwei Zelten stieg der Rauch eines Lagerfeuers auf. Männer mit Helmen und Lederrüstungen standen zwischen den Zelten und der Brücke beieinander.

      Misstrauisch schauten wir zu den Soldaten hinüber.

      „Die werden uns nicht durchlassen,“ vermutete ich.

      „Klar lassen die uns durch,“ brummte Sven. „Wir werden sie schon überzeugen.“

      Kat sah mich abschätzend an. „Ich würde mir wünschen, dass diesmal das Lager noch steht und die Leute da vorne noch am Leben sind, wenn wir über die Brücke sind - selbst wenn sie in unserer Gegenwart mit Schwertern fuchteln oder irgendeinen Köter totschlagen wollen.“

      Ich biss mir auf die Lippen.

      „Wir versuchen, es nicht zum Kampf kommen zu lassen,“ sagte Aeolin. „Aber über die Brücke müssen wir!“

      „Auf der anderen Seite sind auch Soldaten,“ meinte Kat grimmig. „Wenn wir uns mit denen allen anlegen, haben wir in kürzester Zeit das gesamte Heer auf den Fersen. Dann ist's ein für alle Mal Essig mit dem Rückweg in die Zivilisation.“

      „Also Verhandeln,“ entschied Sven. „Diplomatie, oder wie das heißt.“

      Kat sah Sven und mich kritisch an. „Das überlasst ihr am besten mir.“

      Einige der Soldaten blickten auf, als wir uns dem Lager vor der Bücke näherten. Es waren bärtige, vom Wetter gezeichnete Männer in schäbigen, verdreckten Lederrüstungen mit Schwertern am Gürtel. Zwischen den beiden Zelten waren Hellebarden aufgepflanzt. Mehrere Armbrüste standen gegeneinander gelehnt. In der Mitte des Lagers wehte eine Standarte.

      „Kaiserliche,“ murmelte Kat. „Es sind General Wolfarts Farben.“

      Einen Moment schloss sie die Augen, wie um eine Erinnerung loswerden. In diesem Heer war sie als Feldscherin mehrere Monate lang mit Andreas Amselfeld zusammen gewesen, bevor der Militärarzt das Heer mit einer anderen verließ. Im Anschluss war Kat nach Brögesand gekommen.

      Vier oder fünf Soldaten verließen träge die Gruppe, mit der sie zusammengestanden hatten und stellten sich uns entgegen. Es waren große Männer. Mit müden, dreckigen Gesichtern sahen sie uns entgegen.

      „Das sind Gardesoldaten, nehmt euch in Acht vor denen,“ zischte Kat zwischen den Zähnen hindurch.

      „Die verdreckten Kerle?“ wunderte sich Sven. „Woran erkennst du das?“

      „Schaut euch ihre Bewaffnung an!“ raunte Kat. „Sie liegen halt schon ziemlich lange im Feld.“

      „Ihr traut euch was!“ rief uns einer der Männer heiser zu.

      „Was seid ihr - Räuber? Wegelagerer? Diebsgesindel? Was habt ihr hier zu suchen?“

      „Heil dem Kaiser!“ rief Sven barsch, ehe Kat antworten konnte.

      Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, aber er achtete nicht auf sie. Sven ging nahe an die Männer heran, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. Dicht vor den Soldaten blieb er stehen. Sie betrachteten ihn mürrisch. Unsere Waffen schienen sie nicht zu beeindrucken.

      „Wir sind Gefolgsleute des Herrn von Dwarfencast,“ sagte Sven laut. „Unser Herr ist ein großer Forscher. In seinem Auftrag gehen wir in die toten Berge, wo die Zwerge irgendwelche Inschriften in Höhlenwände gemeißelt haben. Die gehen wir für unseren Herrn suchen.“

      „Sven!“ zischte Kat.

      Die Männer musterten ihn, den Packesel und uns. Offenbar schienen sie zu überlegen, ob sie ihm die Geschichte glauben sollten, die zugegebenermaßen bei weitem zu hanebüchen war, um wie eine plumpe Lüge zu klingen.

      „Dwarfencast? Wo soll das liegen?“ wollte einer der Soldaten wissen.

      „An der Westküste bei Lüdersdorf, eine Tagesreise weit von dem Marktflecken Grobenfelde,“ sagte Kat rasch. „Zum Besitz unseres Herrn Trismegisto von Dwarfencast gehören auch die Weingüter bei Tamolin.“

      Mit zusammengekniffenenen Augen betrachtete der Soldat Svens dreckstarrenden Wappenüberwurf.

      „Trismegisto von Dwarfencast - hab ich nie gehört,“ knurrte er.

      „Wie hoch ist das Brückengeld, um über die Brücke zu gehen?“ fragte Kat schnell.

      „Zehn Kreuzer pro Mann oder Weib,“ schnappte der breitschultrige Soldat. „Und zusätzlich zehn für den Esel!“

      „Zehn Kreuzer pro Person?“ schrie Kat. „Sechzig Kreuzer für uns alle? Das ist mehr als ein Silberling!“

      Wutentbrannt sah sie den Mann an. „Das denkst du dir aus! Nirgendwo im Reich gibt es so hohe Brückenzölle.“

      Der Soldat blickte sie überlegen an. „Es ist Krieg, weißt du?“

      Seine Kameraden grinsten. Einige spielten mit ihren Schwertgriffen. Die Unterhandlung wurde von den Männern im Lager aufmerksam verfolgt. Alle Augen sahen zu uns herüber. Vom Lagerfeuer her wehte der Duft gegrillten Fleischs heran. Trotz des Ernstes der Situation begann mir der Magen zu knurren.

      „Außerdem muss ich euer Gepäck auf Diebesgut durchsuchen,“ erklärte der verdreckte Soldat.

      „Nö,“ sagte Sven einfach. „Die Ausrüstung ist Leihgut unseres Herrn Trismegisto. Da geht keiner von euch ran.“

      Der große Kriegsmann machte einen entschlossenen Schritt auf den Esel zu. „Mir doch egal, wem ihr das Zeug geklaut habt. Jedenfalls werden wir das gleich mal feststellen.“

      Fedurin stand ruhig neben Kat. Er verfolgte die Auseinandersetzung mit den Ohren.

      „Finger weg!“ sagte Sven leise mit drohendem Unterton.

      „Sven!“ Kat versuchte, ihn am Arm zu packen, aber er stellte sich so zwischen Fedurin und den Soldaten, dass sie ihn nicht erreichen konnte.

      „Wir sind ehrbare Gefolgsleute unseres Herrn Zosimo Trismegisto und für sein Gut verantwortlich!“ schleuderte er dem unbeeindruckten Soldaten entgegen.

      Der lachte hämisch auf. Auch die andern vier, die vor uns standen, lachten. Kat, Lyana und ich wechselten nervöse Blicke. Aeolin stand gerade aufgerichtet, die Hand am Messergriff.

      „Ob du ehrbar bist, musst du uns erst mal beweisen!“ rief der Kriegsmann.

      An Sven vorbei griff er nach den Gepäcktaschen. „So, jetzt wollen wir doch mal sehen...“

      Weiter kam er nicht. Von einem Faustschlag getroffen flog er anderthalb Manneslängen zur Seite und schlug besinnungslos auf dem Boden auf. Kat stieß einen erschreckten Schrei aus. Das Gelächter der Soldaten erstarb. Sie starrten auf ihren am Boden liegenden Kameraden, dem Blut aus Mund und Nase sickerte. Er röchelte, ohne aus der Ohnmacht aufzuwachen. Sven ging einen Schritt auf die Männer zu. Sie sahen ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

      „Wollt ihr auch eins aufs Maul?“ brüllte Sven.

      Er sah aus, als wollte er sich im nächsten Moment auf sie stürzen.

      Kat schluchzte entsetzt auf. „Sven!“

      Die Soldaten gingen zwei Schritt zurück.

      „Komm, mach langsam, Junge,“ murmelte einer von ihnen.

      Sven baute sich auf. „Hat noch irgendwer in diesem Lager Zweifel an meiner Ehrbarkeit?“ donnerte er in Richtung der lagernden Männer.

      Merkwürdigerweise schienen die Soldaten im Lager das Interesse an uns verloren zu haben. Keiner der Männer sah in unsere Richtung. Ein paar der Leute tasteten wie beiläufig nach ihren Schwertern.

      Sven nickte Kat zu. „Zahl ihnen das Brückengeld!“

      Dann