Thomas Hoffmann

Gorloin


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wie seine Erzählung wirkte. Seine Zuhörer blickten auf ihre Essschalen. Niemand sah ihm in die Augen. Kat, Lyana und ich sahen uns heimlich verwundert an.

      „Passt das mit seiner Ritterehre zusammen?“ flüsterte Kat mir zu.

      „Ich glaub', ein Ritter käm' hier nicht gut an,“ flüsterte ich zurück. „Diese Sprache können Sven und ich auch besser - in Brögesand hätte die jeder verstanden!“

      „In den Bergen trafen wir auf Höhlenmenschen, die uns mit Speeren und kopfgroßen Wurfsteinen angegriffen haben,“ fuhr Sven fort. „Sind jetzt alle tot. Schade drum, hätte nicht sein müssen. Ich bin ein friedlicher Mensch,“ beteuerte er. „Kann keiner Fliege was zuleide tun. Aber wenn einer mich anfasst oder meine Freunde, das kann ich nicht haben, da seh' ich rot.“

      „Da braucht ihr bei uns keine Sorgen zu haben,“ sagte ein stämmiger Alter mit weißem Haar und stoppeligem Bart. „Bei uns will sich niemand bereichern. Wir teilen alles, was wir haben miteinander und mit allen Gleichgesinnten. Nur die Reichen, die Adeligen und Könige, die dem einfachen Volk die letzten Erntevorräte und das letzte Vieh aus den Ställen stehlen, die unsere Söhne zur Fronarbeit zwingen, sie unter die Soldaten stecken und unsere Töchter rauben, um sie als Mägde gewaltsam in ihre Dienste zu nehmen, die bekämpfen wir bis aufs Blut und wir werden nicht ruhen, bis die letzte Burg geschleift, der letzte Adlige aufgehängt ist!“

      Kat betrachtete die zerlumpten Gestalten mit unverhohlenem Abscheu.

      „Allzu viel habt ihr den Feldschlangen des Kaisers, seinen Hellebardieren und Musketieren ja nicht entgegenzusetzen,“ sagte sie mit kaum verbrämtem Spott.

      „Es ist nur eine Frage der Zeit,“ rief ein rothaariger Recke in einem Lederbrustpanzer. „In ganz Greifenhorst haben die Bauern sich erhoben. Dem Widerstand des einfachen Mannes müssen die Heere der Mächtigen weichen. Ein Feuersturm wird sich entfachen, dem kein Land der Welt sich entziehen kann!“

      „Dann kämpft das Heer des Kaisers in der Talebene gegen aufständische Bauern?“ wollte Kat wissen.

      „Das kaiserliche Heer kämpft gegen die Söldnertruppen der Stadt Nordwall,“ antwortete der weißhaarige Alte. „Was ihr gehört habt, ist die Beschießung der Stadtmauern. Seit Monaten geht die Belagerung nun schon. Die Nordwaller kämpfen gegen den Kaiser und gegen den Fürsten von Greifenhorst, dem sie nicht mehr tributpflichtig sein wollen. Der Fürst kämpft gegen die Heere der Bauern und die Bauern kämpfen gegen alle anderen, sogar gegen uns, obwohl wir das gleiche wollen wie sie, die Freiheit aller Menschen und ihr Recht auf Leben und Auskommen. Aber viele reiche Bauern wollen ihre Kornkammern nicht mit ihren armen Brüdern teilen. Wir kämpfen dafür, dass jeder genug haben soll und jeder seine Habe mit allen anderen teilt.“

      „Das sind hehre Ziele,“ sagte Kat verächtlich. „Freiheit und Recht auf Leben - gilt das auch für die Totgefolterten da hinten?“

      „Die?“ Der Rothaarige verzog mitleidlos das Gesicht. „Das sind bloß Bauernschurken, die ihre Vorräte nicht mit uns teilen wollen. Sie verraten nicht, wo sie ihre Ernte versteckt haben. Eher sterben sie, diese Teufel, schreien immerzu, sie hätten nichts!“

      Ich stellte meinen Schale ab. Mir war schlecht. Auch die Gefährten schoben ihre zur Hälfte geleerten Schalen weg.

      „Wir müssen jetzt weiter,“ sagte Kat trocken.

      Wir standen auf. Auch die Männer, die bei uns gesessen hatten, erhoben sich.

      „Wollt ihr nicht über Nacht bleiben?“ fragte der Weißhaarige. „Unten in der Ebene lauft ihr nur den Soldaten in die Arme. Die nehmen euch alles ab, was ihr habt und schlagen euch obendrein noch tot.“

      „Da braucht ihr euch keine Sorgen zu machen,“ lächelte Sven mit blitzenden Zähnen. „Wir sind so schnell nicht tot zu kriegen.“

      Männer sammelten sich um uns. Ich sah Schwerter, Spieße und Dolche, hier und da auch einen bereitgehaltenen Bogen.

      „Achtung,“ murmelte Kat trocken.

      Kat und ich zogen blank. Mein Schwert glühte blau auf. Ich war nicht überrascht. Lyana und Aeolin spannten mit raschen Bewegungen ihre Bögen. Der Rothaarige trat mit gezogenem Dolch auf uns zu. Hinter ihm drängten die Männer heran.

      „Wir wollen euch nichts tun,“ sagte der Rothaarige heiser. „Obwohl wir in der Überzahl sind. Nehmt eure Waffen runter. Wir achten eure Freiheit. Ihr könnt gehen, wohin ihr wollt. Nur die Sachen, die ihr mitschleppt, die müsst ihr hier lassen. Wir benötigen sie dringender als die Soldaten des Kaisers. Wenn ihr vernünftig seid, geschieht euch nichts.“

      Er trat noch einen Schritt näher.

      „Und die Stiefel!“ schrie jemand. „Die Stiefel ausziehen!“

      Sven ging mit einem schnellen Schritt auf den Rothaarigen zu.

      „Was?“ fragte er lächelnd.

      „Du hast mich schon verstanden,“ knurrte der Recke.

      „Was?“ Diesmal klang es drohend.

      Der Rothaarige hob zögernd den Dolch. Er kam nicht dazu, noch etwas zu sagen. Ein Fausthieb schleuderte ihn zwischen die hinter ihm Stehenden. Er brach blutüberströmt zusammen. Wütendes Gebrüll hob an. Zwei junge Männer, die mit Schwertern fuchtelnd auf uns zu stürzten, hieb Kat mit schnellen Schwertschlägen nieder. Ein Bogenschütze brach aufheulend zusammen. Aeolins Pfeil stak in seinem Auge.

      „Macht, dass ihr wegkommt, schert euch zum Teufel, Bettelpack!“ donnerte Svens Stimme über den Platz.

      Mit schwingenden Fäusten streckte er zwei weitere Männer nieder. Die anderen stolperten davon.

      „Pfui!“ Kat spuckte auf den Boden aus. „Der letzte Abschaum! So was hab ich noch nicht erlebt!“

      Die Niedergeschlagenen wälzten sich mit zerschmetterten Kiefern und klaffenden Schwertwunden am Boden. Ein von Kats Schwert Getroffener spuckte röchelnd Blut, bevor er in zuckenden Krämpfen starb. Wachsam sahen wir uns um. Die Lagerbewohner hatten sich in die Baracken und zwischen das Unterholz am Rand des Lagers zurückgezogen. Der Platz unter den Fichten war leer. Nur ein paar Hühner liefen zwischen den Lagerfeuern umher.

      Wir nahmen Fedurin in die Mitte und gingen nach allen Seiten Ausschau haltend langsam dem Hang zu.

      „Passt auf, dass wir nicht noch in einen Hinterhalt geraten,“ meinte ich.

      „Wenn sie wenigsten offen ihre Räuberei zugeben würden,“ schimpfte Kat. „Aber das ganze noch mit edlen Worten zu verbrämen...“

      Sie blieb abrupt stehen und hielt die Luft an. Warum sah sie mich so glasig an? Ich hörte die Bogensehnen der Elbenmädchen sirren. Irgendwo schrie jemand erstickt auf. Kat tastete mit schmerzverzerrtem Gesicht nach einem Pfeil in ihrem Rücken.

      „Ihr Götter!“ keuchte sie.

      Ich fuhr herum. Plötzlich waren da rote Schlieren in meinem Gesichtsfeld. Rasende Wut packte mich. Im Augenwinkel sah ich Aeolin in rascher Abfolge Pfeile schießen. Kat ging in die Knie. Lyana hockte sich neben sie.

      „Gebt uns Deckung!“ rief sie.

      „Voris! Ihr elenden Arschlöcher! Voris! Scheiße nochmal!“

      Es war meine eigene Stimme, die ich schreien hörte. Flammenwände schossen zwischen den Büschen empor. Gellende Entsetzensschreie von Männern, Frauen und Kindern drangen wie von fern an mein Ohr. Ich achtete nicht darauf. Sie hatten Kat angeschossen!

      „Voris!“

      Die Baracken gingen in Flammen auf. Panik- und Todesschreie. Zwischen den Bäumen rannte eine Gruppe von Männern, Frauen und Kindern.

      „Amreg Chtah!“

      Ein Blitzschlag krachte mitten unter sie. Menschliche Körper flogen nach allen Seiten, lagen zuckend am Boden. Ihre Kleider schwelten. Irgendwo schrie ein Kind im Todeskampf.

      ***

      Brandgeruch