Thomas Hoffmann

Gorloin


Скачать книгу

Ist Liebe ein Meer,

       sei mir ein Boot, Liebster,

       das mich trägt durch Wellen und Sturm,

       warmen Stränden entgegen;

       lass mich nicht erfrieren

       auf kahlem Fels.

       Lass die Liebe nicht zum Dickicht werden,

       uns zu verheddern, zu verfangen,

       nicht zur Mauer in unserem Weg;

       mach sie zum Faden, Liebster,

       der uns herausführt

       aus dem Labyrinth.

       Als Sturmmöwen wollen wir fliegen, Liebster,

       über karges Land unseren Träumen nach;

       vielleicht, dass die Liebe uns

       eine Strecke weit gemeinsam trägt -

       eine Zeit lang –

       ein Leben lang –

       vielleicht - “

      Wir saßen beieinander, bis die Glut erlosch und Nachtkälte durch unsere Kleidung kroch.

      Aeolin und Lyana breiteten ihre Matten im Schnee aus und rollten sich unter dem hellen Sternenhimmel in ihre Decken. Kat, Sven und ich krochen im Zelt unter den Wolldecken zueinander.

      „Abenteuerfahrten sind schön mit euch, Jungs,“ flüsterte Kat, bevor wir alle drei eng umschlungen in den Schlaf fielen.

      ***

      Lyana und Aeolin empfingen uns am Morgen mit dampfendem Kaffee und am Feuer gerösteten Kastanien, als wir aus dem Zelt krochen. Wir trödelten beim Frühstück, hörten Aeolin zu, die unglaubliche Geschichten über Jagden auf Bären und Pumas zum Besten gab und ließen uns Zeit mit dem Abbauen des Lagerplatzes. Als wir aufbrachen, stand die Sonne längst über den Gipfeln und das weiße Tal glänzte im blendend hellen Licht.

      Aeolin war den Weg durch die Hochgebirgstäler nach Greifenhorst im vergangenen Jahr schon einmal gegangen. Sie hatte das von den Menschen der Ebene bewohnte Land mit eigenen Augen sehen wollen, war aber nicht hinabgestiegen ins Grenzfürstentum. Ohne ihren Orientierungssinn hätten wir uns womöglich wieder verlaufen in den unzähligen Seitentälern der Bergwelt, aber Aeolin fand ihren Weg über Pässe, schneebedeckte Hochebenen und durch bewaldete, tief verschneite Täler ohne ein einziges Mal zu zögern. Die beiden Elbenkriegerinnen fanden reichlich Jagdwild und oft saßen wir bis spät in die Nacht am Lagerfeuer unter einem großartigen Sternenhimmel und lauschten Lyanas Flötenklängen und ab und zu einem Lied von Kat.

      Wann immer sich die Gelegenheit bot, übte ich mich in der Elementarmagie der Blitze.

      „Geh weg mit deinem Hokuspokus, du fackelst uns noch das Lager ab!“ schimpfte Kat, wenn es wieder einmal unverhofft in der Nähe krachte.

      Das Wetter blieb günstig. Am vierten Tag unserer Wanderung begann es zu schneien, aber es wurde kaum kälter und die trudelnden Schneeflocken konnten unsere Laune nicht dämpfen. Kat lief lachend durch den frischen Schnee und sie und Sven bewarfen sich übermütig mit Schneebällen.

      „Deine Schwester und dein Bruder sind wie junge Rehkitze,“ meinte Aeolin mit einem angedeutetem Lächeln zu mir.

      Auch ich musste lächeln - über die nüchtern zurückhaltende Art des Elbenmädchens, von der ich bereits wusste, dass sich hinter ihrer äußeren Gelassenheit die Wildheit und Unberechenbarkeit eines Pumas verbarg, wie über die Ausgelassenheit von Kat und Sven. Ich nahm eine Handvoll Schnee und warf Kat einen Schneeball nach.

      Unsere Fahrt über das Gebirge verlief ohne Zwischenfälle. Keine feindlichen Zwergenhorden fielen über uns her, keine Stürme hinderten unser Vorankommen. Auch von den wütenden Höhlenwesen, die uns auf der Wanderung durch das Norkarer Gebirge angefallen hatten, sahen wir keine Spur. Gegen Mittag des siebenten Marschtages stiegen wir von verschneiten Bergrücken eine breite, abwärts führende Rinne hinab, die ein Bach in den Felsen ausgehöhlt hatte. Hinter den Fichten, die sich mit ihren langen Wurzeln am Ufer des vereisten Bachs an den Fels klammerten, ragten keine Gipfel mehr auf. Wir hatten das Gebirge durchquert und stiegen in die Greifenhorster Talebene hinab.

      Langgezogener, grollender Donner hallte uns vom Talausgang her zwischen den Felswänden entgegen. Alle fünf blieben wir stehen und lauschten.

      „Ein Gewitter unten im Tal?“ wunderte sich Sven. „Bei klarem Himmel?“

      Kat schüttelte den Kopf. „Geschützdonner.“

      Wir starrten sie an. Keiner von uns hatte jemals das Krachen von Feldschlangen oder das Rumpeln von Basilisken gehört.

      „Der Krieg dauert noch immer an!“ murmelte Kat entsetzt. „Seit über einem Jahr nun schon!“

      6.

      Zwischen von jungen Fichten überwucherten Felsblöcken hindurch und über umgestürzte Stämme kämpften wir uns das Flusstal hinab. Mit unserem Lastesel kamen wir nur langsam voran. Fedurin beharrte auf seinem eigenen Weg zwischen schneebedeckten Steinen und Geröll. Irgendwann hörte Kat auf, an der Halfterleine zu zerren und ließ den Esel vorangehen.

      Wieder und wieder hallte Geschützdonner aus dem Tal herauf. Beklommen stiegen wir abwärts. Die rumpelnden Donnersalven weckten in mir die Vorstellung, in eine fremdartige, unbekannte Hölle hinabzusteigen. Sven und Lyana schien es ähnlich zu gehen. Wir wechselten unruhige Blicke. Aeolins Gesicht wirkte versteinert. Kat ging gefasst mit zusammengepressten Lippen neben Fedurin her.

      Nach einer Stunde mühseligen Abstiegs verbreiterte sich das Tal. Zwischen von den Talwänden heruntergebrochenen Felsen stand dichtes Buschwerk. An vielen Stellen war das Geäst so dicht, dass der frisch gefallene Schnee es vollkommen zudeckte. Wir blickten uns nach einem gangbaren Weg durch das überwucherte Tal um, als Aeolin und Lyana innehielten. Lyana machte Kat, Sven und mir ein Zeichen, still zu sein. Mit zusammengekniffenen Augen spähten die Elbenmädchen zwischen den verschneiten Fichten hindurch.

      „Rauch,“ erklärte Aeolin leise, „von mehreren Lagerfeuern. Keine hundert Schritt entfernt unter uns im Tal.“

      Kat zeigte auf die Felswand zur Linken. „Vielleicht können wir uns zwischen den Felsblöcken und der Talwand hindurchschleichen, bis wir sehen, worum es sich handelt.“

      Zwischen der steilen Felswand und großen Felstrümmern klaffte eine von Unterholz freie Lücke, die auf einer Strecke von mehreren Manneslängen breit genug war, um auch für den bepackten Esel noch gangbar zu sein. Aeolin lief voraus und winkte uns dann, ihr nachzukommen. Einer nach dem anderen gingen wir den Spalt entlang. Wo Aeolin auf uns wartete, verbreiterte sich der Spalt zwischen zwei großen Felsblöcken. Eine Lücke führte ins Tal hinaus. Der hintere Felsblock war etwas mehr als mannshoch.

      Aeolin deutete hinauf. „Von dort haben wir einen Blick auf die Lagerfeuer, ohne sofort gesehen zu werden.“

      Lyana und sie holten Bogensehnen hervor und spannten ihre Bögen auf. Behände stiegen sie auf den Felsen. Kat und ich wechselten einen kurzen Blick und kletterten den beiden hinterher. Sven war die Kletterei im Kettenhemd zu mühsam. Er blieb bei Fedurin.

      Die Elbenmädchen lagen vorn an der Kante flach auf dem Felsen. Vorsichtig krochen wir zu ihnen. Vom Felsen aus konnten wir zwischen Fichtenstämmen hindurch den flachen Hang überblicken, über den der Gebirgsbach in die bewaldeten Hügel vor der Ebene hinabfloss. Beim Talausgang war der Waldboden von Unterholz gelichtet worden. Männer und Frauen in schäbiger Kleidung scharten sich um ein halbes Dutzend Lagerfeuer. Es waren auch Kinder dabei. Ein paar Männer hatten lederne Brustpanzer,