Thomas Hoffmann

Gorloin


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stockte. Unbemerkt von uns war Aeolin an die Bank getreten und hörte schweigend unsere Unterredung an.

      Lyana seufzte noch einmal. „Ich glaube, du willst es nicht verstehen, Leif. Ich habe dir ein Versprechen gegeben!“

      Sie sah mich mit Tränen in den Augen an. „Du hast immer gesagt - jedenfalls gedacht hast du es - dass ich eine Elbin bin. Du weißt doch, was das Wort einer Kriegerin bei den Elben bedeutet!“

      „Ich...“ Ich musste schlucken, bevor ich weiterreden konnte. „Lyana, bei meiner Bruderliebe zu dir - ich entbinde dich von dem Wort, das du mir gegeben hast. Bleib hier. Bitte. Ich will, dass du glücklich bist!“

      „Meine Schwester hat recht,“ mischte Aeolin sich in das Gespräch ein. „Eine Kriegerin steht zu ihrem Wort.“

      Lyana antwortete nicht darauf. Ich sah, wie sie mit den Tränen kämpfte.

      Aeolin wandte sich an Lyana. „Wir werden mit deinem Blutsbruder gehen, bis er den schwarzen Fluch überwunden hat.“

      Mit offenem Mund starrte Lyana sie an. „Wir? - Du...“

      Aeolin nickte. „Ich habe Tamelund um Erlaubnis gebeten, den Clan zu verlassen und mit dir zu gehen. Er hat sie mir gegeben.“

      ***

      An diesem Abend wurden am Feuer viele Reden gehalten. Zwei oder drei Älteste kamen ans Feuer und hielten lange Ansprachen. Lyana übersetzte die Reden für uns. Es ging um unseren Aufbruch und die Mission, die Tamelund uns zugedacht hatte. Mehr als einmal wurden die Ereignisse erzählt, die sich zugetragen hatten, seit Tamelund unser Kommen vorausgesagt hatte. Lyanas Pumajagd nahm einen großen Raum in den Erzählungen ein. Häufig gipfelten sie in der Vergabe der elbischen Namen an Kat und mich. Viele der Krieger gaben uns ihren Segen für die bevorstehende Fahrt. Die Ältesten schlugen in ihren Reden den Bogen von der fernen Vergangenheit bis zur jetzigen Zeit und der Bedeutung der Ereignisse an der Küste für den Clan. Wieder und wieder zitierten sie Tamelunds Weissagung, gemäß der nur die Wiederentdeckung der Zwergensprüche in Kurmuk Dakar und der Einsatz der Gralsmagie den Untergang des gesamten Landes von der Küste bis weit in die Berge verhindern könne.

      Spät in der Nacht verließen Kat, Sven und ich das heruntergebrannte Siedlungsfeuer, um in unser Schlafquartier zu gehen. Wir konnten lange nicht einschlafen. In der warmen Kohlenglut lagen wir ohne Decke beieinander. Der rotglühende Schein des Kohlenhaufens glänzte auf unserer nackten Haut. Wir redeten lange über die bevorstehende Fahrt und unser mysteriöses Ziel Kurmuk Dakar.

      ***

      In der frühen Morgendämmerung standen wir auf.

      „Schade,“ gähnte Kat, während sie sich anzog. „An das Leben in der Elbensiedlung hätt' ich mich gewöhnen können.“

      Ich streifte meine von den Frauen der Siedlung gewaschene und geflickte Wolljacke über. „Wir haben ein Zelt, wir haben warme Decken und wir haben einen Packesel,“ meinte ich. „Und wir haben zwei Jägerinnen in der Gruppe, die uns mit Fleisch versorgen können. Solange wir Wild und Feuerholz finden, wird es eine ziemlich komfortable Reise durch die Gebirgstäler nach Greifenhorst. Und im Grenzfürstentum gibt es Wirtshäuser zum Einkehren. Geld haben wir jede Menge.“

      Die toten Berge jenseits des abgelegenen Grenzfürstentums mochte ich nicht erwähnen.

      Kat sah Sven und mich verliebt an. „Und ich hab meine zwei Jungs an meiner Seite!“

      „Na, dann ist ja alles prima,“ sagte Sven. „Wenn ich jetzt noch Herodin wiederhabe, fühl' ich mich auch komplett.“

      Als wir ans Siedlungsfeuer kamen, waren Lyana und Aeolin bereits beim Frühstück. Lyana sprang auf und lief uns entgegen.

      Sie fiel mir um den Hals und umarmte mich. „Leif, ich bin so glücklich!“

      Zusammen gingen wir an die Feuerstelle, wo Aeolin aufgestanden war und uns entgegen blickte.

      „Willkommen in unserer Abenteurergruppe,“ lächelte ich ihr zu.

      „Es wird mir eine Ehre sein, mit meinen Brüdern und Schwestern zu reisen,“ sagte sie in der steifen Art der Waldelben, die Hand am Messergriff.

      „Hast du dir das auch gut überlegt?“ fragte Kat scherzhaft. „Wir geraten nur so alle paar Wochen in irgend 'ne dreckige Scheiße, weißt du? Die beiden Jungs hier sind Totschläger, haben nichts gelernt, als fromme Seeleute zu ersäufen. Aber meistens können sie sich zusammenreißen - außer, irgendwer will ihnen ans Leder. Dann packt sie schon mal der Blutrausch.“

      Ein winziges Lächeln spielte um Aeolins Lippen. „Lyana, eure Schwester, hat mir viel von euch erzählt.“

      Zu den Süßkartoffeln und Bratäpfeln gaben die Elbenfrauen uns heiße Fleischbrühe.

      Beim Essen erklärte Lyana: „Aeolin kennt die Wege übers Gebirge nach Greifenhorst.“

      Das Elbenmädchen nickte. „Die Pässe sind auch im Winter begehbar. Je nachdem, was für Wetter wir bekommen, werden wir sechs bis acht Tage unterwegs sein nach Greifenhorst.“

      „In Greifenhorst werden wir Erkundigungen einziehen müssen über den hohen Schneeberg und die toten Berge,“ überlegte ich. „Alles, was wir wissen ist, dass sie nördlich vom Grenzfürstentum liegen.“

      „Tote Berge und hoher Schneeberg sind Namen, die die Zwerge den Gebirgsgegenden gegeben haben,“ meinte Kat. „Ich bezweifle, dass die Greifenhorster diese Gegenden kennen.“

      „Wir müssen eben nach einem hohen, verschneiten Berg nördlich von Greifenhorst Ausschau halten,“ schlug Sven vor.

      „Klar,“ witzelte Kat. „Wir müssen nur den richtigen finden!“

      Zwei Krieger brachten uns unsere Waffen und Rüstungen. Sie waren noch in dieselbe Lederdecke eingeschlagen, auf die wir sie bei unserer Ankunft vor neun Tagen abgelegt hatten. Die Waffen waren unversehrt.

      Aeolin schüttelte den Kopf beim Betrachten der Schwerter, Helme und Schilde. „So schwerfällige Waffen und Rüstungen - wie ihr damit kämpfen könnt!“

      Außer einer zusammengeschnürten Decke und einer Bastmatte hatte sie kein Gepäck dabei.

      „Wir sind vielleicht Helden, aber wir sind normale sterbliche Menschen,“ sagte Sven, während er sein Kettenhemd überstreifte. „Wir können nicht bloß mit einem Messer bewaffnet gegen Höhlenbären, Pumas oder Horden von Wölfen angehen.“

      Herodin blitzte hell auf, als Sven den Zweihänder aufnahm.

      Kat holte Fedurin aus dem Stall. Der Esel schrie laut, während wir ihn mit Zelt und Ausrüstung bepackten. Ich war nicht sicher, ob er sich beschwerte, oder ob das Tier froh war, mit der Gruppe, der es sich zweifellos zugehörig fühlte, weiterziehen zu können. Die Elbenfrauen packten dem Esel einen Sack Esskastanien und Süßkartoffeln auf.

      „Nehmt die Matten mit, die wir euch gegeben haben,“ sagten sie. „Es ist besser, wenn ihr auf eurer Winterreise Schlafmatten dabei habt.“

      Ein gutes Dutzend Krieger sammelte sich, während wir uns marschbereit machten. Zwei oder drei murmelten einen knappen Gruß in der Elbensprache, die meisten standen schweigend und betrachteten unsere Waffen und unsere Ausrüstung. Zwei grauhaarige Krieger, beide trugen drei Federn am Stirnband, wechselten ein paar Worte mit Aeolin. Kat ging zu den im Hintergrund stehenden Frauen und bedankte sich für Aufnahme und Bewirtung in der Siedlung. Ich hörte die Elbinnen lachen.

      Als wir aufbrachen, begleiteten uns viele der umstehenden Krieger. Eine Frau begann zu singen, während wir zwischen den Langhütten hindurch dem Wald zustrebten. Ihr Lied schien vor uns herzuwandern, unter den Urwaldriesen des Bergwalds hindurch bis hinauf zu den verschneiten, noch verschatteten Hochtälern zwischen den im frühen Morgenrot leuchtenden Gipfeln.

      ***

      Unter alten Nadelbaumriesen zogen wir bergan, immer dem Flusslauf folgend, der aufgehenden Sonne hinter den Berggipfeln