Thomas Hoffmann

Gorloin


Скачать книгу

lag in vollkommener Schwärze. Wir schlichen hinaus und stellten uns vor der Schuppenwand auf. Die noch über einen Steinwurf entfernten Männer schienen uns nicht bemerkt zu haben. In der Ruine des Bauernhauses hörte ich eine Tür knarren. Offenbar waren die Bewohner ebenfalls wach. Wenn sie klug waren, verbargen sie sich irgendwo in den Ruinen. Der Hund bellte wie rasend.

      „Gleich niedermachen, oder erst anquatschen und dann niedermachen?“ zischte Kat.

      „Erst versuchen, mit ihnen zu reden,“ flüsterte Lyana. „Vielleicht patrouillieren sie nur durchs Dorf, um Ausschau nach Plünderern oder Wegelagerern zu halten.“

      Kat fauchte: „Ich bete dafür, dass du deinen Glauben an das Gute im Menschen behältst.“

      Die Truppe blieb stehen. Der vorderste hob eine Waffe.

      „Vorsicht,“ zischte Kat.

      Wir hoben die Schilde. Der Hund japste und stürzte zuckend zu Boden. Ein Armbrustbolzen war ihm durch den Leib gefahren und stak hinter ihm im vereisten Boden.

      „Sofort angreifen!“ sagte Aeolin.

      Sie spannte ihren Bogen.

      „In Ordnung,“ murmelte ich.

      Ich konzentrierte mich. Aeolins Pfeil sirrte von der Sehne. Der Armbrustschütze taumelte. Er ließ seine Waffe fallen. Einige der Männer brüllten überrascht auf. Seitlich von ihnen flackerte eine bläuliche Lichterscheinung. Mit einem Zischen verschwand sie wieder. Aus der Gruppe war ein Angstschrei zuhören.

      Kat starrte mich an. „Was sollte das?“

      „Mist,“ murmelte ich. „Hat nicht geklappt.“

      Der Armbrustschütze wand sich am Boden. Die anderen waren vor meiner Leuchterscheinung zurückgewichen. Sie waren für den Moment abgelenkt. Lyana und Aeolin zielten mit ihren Bögen auf die Gruppe.

      „Also was jetzt?“ knurrte Kat. „Greifen wir an oder nicht?“

      „Ich versuch's noch ein letztes Mal,“ meinte ich.

      „Amreg Chtah!“

      Ein gleißender Lichtblitz fuhr mit ohrenbetäubendem Krachen in die Gruppe. Körper wurden in alle Richtungen geschleudert. Todesschreie. Zur Sicherheit schickte ich eine Feuerwand über die sich am Boden Wälzenden hinweg. Danach war nur noch vereinzeltes Röcheln zu hören. Ich jagte eine zweite Feuerwalze zwischen den Ruinen hindurch.

      Stille. Geruch von verbranntem Fleisch. Meine Gefährten sahen zur Seite. Nur Aeolin blickte mir fest ins Gesicht.

      „Sie haben den Hund getötet!“ Mir war selber nicht klar, warum ich das sagte.

      ***

      Zum Frühstück teilten wir unseren Gerstenkaffee mit dem Bauern, seiner fiebernden Frau, die Kat ein weiteres Mal behandelt hatte, und ihrem Jungen. Sven bot dem Bauern seine Pfeife an und rauchte abwechselnd mit Kat ihre Pfeife. Die Frau schob uns mit drängenden Blicken die Brotkanten zu, aber Kat meinte, sie solle ihrem Jungen und sich selbst lieber eine Brotsuppe daraus kochen. Wir hätten in den Bergen Wildbret zur Genüge gehabt und seien noch satt davon. Was nicht völlig falsch war.

      „Habt ihr Saatgut versteckt?“ fragte Kat den Bauern.

      Der grauhaarige Mann schüttelte den Kopf. „Sie hätten uns totgefoltert, wenn ich's nicht rausgerückt hätte.“

      Kat blickte grimmig in die Herdglut. „Andere sind totgefoltert worden, obwohl sie es hergegeben haben.“

      Dann sah sie dem Bauern ins Gesicht. „Du wirst in die Schuldknechtschaft gehen müssen, um neues Saatgut zu bekommen, wenn der Krieg vorbei ist.“

      Er zuckte hoffnungslos die Achseln. „Besser Sklave als tot. Wenn nur mein Junge überlebt - und meine Frau.“

      Kat schenkte der Bauersfrau ihr dunkelgrünes Kleid, als wir aufbrachen. Die hagere Frau weinte, als sie es in den Händen hielt. Auch Kat hatte Tränen in den Augen. Die Stimme versagte ihr und sie umarmte die ältere Frau stumm.

      Lyana gab dem Bauern einen Beutel mit Kupfermünzen. „Verstecke es gut und kauf dir im Frühjahr Saatgut davon sobald der Krieg vorbei ist.“

      „Ihr müsst von den Göttern gesandt sein!“ brachte der Bauer hervor.

      „Wir sind den Dämonen der Hölle entkommen,“ antwortete Kat. „Von den Göttern wissen wir nichts.“

      Mit einem Blick auf Aeolin und Lyana fügte sie hinzu: „Jedenfalls ich nicht...“

      ***

      Wir verließen das Ruinendorf in nordöstlicher Richtung. Wir schlugen einen Umweg zwischen den zerstörten Gehöften hindurch ein, um nicht an den verbrannten Leichnamen vorbeigehen zu müssen. Seit dem frühen Morgengrauen wummerte in der Ferne der Donner der Belagerungsgeschütze.

      Kat starrte bitter vor sich hin. Sie achtete nicht darauf, dass Fedurin immer wieder versuchte, in ihren Jackensaum zu beißen.

      „Die Bäuerin hat Syphilis,“ sagte sie dumpf. „Wahrscheinlich wird sie daran sterben.“

      Sie sah mich herausfordernd an. „Kennt Ligeia keine Arznei gegen die Syphilis? Sie wollte mir doch das Rezept für die Schimmelpilz-Arznei gegen Schwindsucht geben, wenn wir ihr die verfluchten Zwergensprüche gebracht haben.“

      Ich war mir nicht sicher, ob sie im Ernst redete und antwortete lieber nichts.

      Vor uns erstreckten sich schneebedeckte Äcker bis an den Fluss. Die Hecken zwischen den Ackerfeldern waren an vielen Stellen niedergetreten. In der Ferne verschwanden die Mauern Nordwalls hinter Wolken von Pulverrauch.

      „Wie lange kann eine Stadt einer solchen Belagerung standhalten?“ überlegte ich.

      „Monate, wenn die Mauern halten,“ meinte Kat. „Sogar Jahre, wenn sie genug Vorräte und Munition in der Stadt haben. Häufig werden die Belagerungstruppen von Sumpffieber und Ruhr aufgerieben, bevor die Belagerten drinnen verhungern.“

      Lyana kam auf praktischere Probleme zu sprechen. „Wir müssen über den Fluss nach Norden. Wenn er nicht komplett zugefroren ist, ist die Brücke dort eine Tagereise entfernt die einzige Möglichkeit, hinüberzukommen.“

      „Das große Haus auf der anderen Seite der Brücke, was kann das sein?“ fragte Aeolin.

      „Eine Mühle vielleicht,“ meinte Kat.

      „Ein Gasthof!“ seufzte Sven.

      Aber Kat meinte nur: „Mach dir keine Hoffnungen. Wenn es wirklich einer ist, ist er mit Sicherheit von Soldaten oder Freischärlern gleich welcher Seite in Beschlag genommen. Da wirst du keine Krume Brot und keinen Tropfen Bier bekommen!“

      „Die Brücke wird auch bewacht sein,“ vermutete ich.

      Wir folgten einem Ackerweg zwischen Feldern hindurch dem Fluss entgegen. Lyana und Aeolin schwärmten aus, um nach Feldhasen zu spähen, aber es gab keine. Felder und Hecken waren von Hufen und Stiefeln zertrampelt. Zerbrochene Wagenräder lagen im Schnee, hier und da auch die Holztrümmer einer Geschützlafette. Unter dem Schnee lagen Lumpen und Haufen von Feldsteinen. Ich sah genauer hin. Es waren keine Steine. Es waren vom Schnee zugedeckte Tote.

      „Jetzt im Winter mag es noch angehen,“ bemerkte Kat. „Aber der Schnee wird schmelzen, es wird warm werden - im Frühjahr muss der Leichengestank hier herum grauenhaft sein.“

      Drei oder vier Marschstunden später legten wir eine kurze Rast ein. Wir teilten den letzten Rest Tabak unter uns auf und rauchten unsere Pfeifen. Zu essen hatten wir nichts.

      „Spätestens oben in den Bergen finden wir wieder Jagdwild,“ meinte Lyana.

      „Das ist übermorgen!“ stöhnte Sven.

      Aeolin sah ihn mit Kriegermiene an. „Zwei oder drei Tage nicht essen ist normal, wenn man auf der Jagd ist. Wenn das Jagdwild erlegt ist, dann isst man.“

      Sven