S.C. Keidner

Unvergängliches Blut - Sammelband


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wo sich so viele Fremde auf der Festung einfinden werden. Versprich mir eins, Rodica: Wenn sich dir jemand ungebührlich nähert, dann sagst du mir und Emese das, verstanden?«

      »Ja, Delia.« Beklommenheit stieg in ihr auf. Emeses ständige Besorgnis kannte sie zur Genüge, aber dass Delia ins selbe Horn blies, war beunruhigend. »Aber wieso sollte jemand das tun?«

      »Ach, Kind.« Die Vampirin seufzte. »Du kennst nur die Bewohner der Festung. Wir haben strenge Regeln, wie miteinander umgegangen wird. Andere Stämme haben das nicht, ganz besonders nicht, was Sklaven angeht. Leider sind einige der Fürsten dieser Stämme im Rat vertreten, wie Aibek und Raiden Tyr, um nur zwei Namen zu nennen.«

      Den Namen Aibek sprach sie in verächtlichem Ton aus. Der Fürst aus dem Westen des Gebirges hatte vor ein paar Wintern seine Gefährtin verloren und Alaric um die Hand Delias gebeten. Als Alaric Delia beim Mitternachtsmahl von der Anfrage erzählte, war sie wütend geworden. Sie nannte Aibek ›pervertiert‹, ›krank‹ und ›anormal‹ und benutzte dann Worte, von denen Emese hinterher sagte, dass eine Dame sie niemals in den Mund nehme. Auch wenn Delia recht habe und all dies auf Aibek zutreffe. Aibeks Bote war mit einer abschlägigen Antwort fortgeschickt worden.

      »Es ist möglich, dass diesen Leuten unsere Regeln nicht klar sind«, fuhr Delia fort. »Mein Bruder wird sie natürlich darauf hinweisen, aber ... falls sie sich nicht entsprechend verhalten sollten, dann will ich das wissen.«

      »In Ordnung.«

      »Danke, Rodica. Du bist entlassen.«

      Rodica sprang auf und verließ das Gemach. Ihre Gedanken wirbelten, als sie den zugigen Gang hinunterlief. Ihr war nie klar gewesen, dass das Leben bei den anderen Stämmen so verschieden von dem bei den D’Aryun war. Sicher, ihre Eltern waren von Wajaren ermordet worden und sie hatte Geschichten über Gewalttaten gegenüber Sklaven gehört, hatte dies aber auf einzelne Vampire bezogen. Es erschien ihr ungeheuerlich, dass ganze Stämme bewusst Grausamkeiten begingen.

      So tief war sie in ihre Überlegungen versunken, dass sie nicht aufpasste, als sie um die Ecke des Flurs bog, und prompt in eine warme feste Mauer aus Leder und Eisen prallte. Verwirrt blieb sie stehen.

      »Wohin so eilig, Rodica?«

      »Oh, Maksim. Entschuldige.« Sie trat hastig einen Schritt zurück. Ihm so nahe zu sein, fühlte sich gut und zugleich sonderbar verstörend an. Sie spürte, wie sie errötete. »Ich war in Gedanken.«

      »Das habe ich bemerkt.« Er grinste, wurde jedoch ernst, als er ihren Gesichtsausdruck sah. »Was ist passiert?«

      »Es ist nichts passiert. Es ist nur ‒.« Sie sammelte sich. »Ich war bei Delia und sie hat mich vor den Fremden, den Fürsten, gewarnt, das ist alles.«

      Maksim runzelte die Stirn. »Verstehe. Hör zu, ich muss jetzt zum Kampfplatz. Kommst du nach dem Mitternachtsmahl in mein Gemach? Dann können wir darüber sprechen.«

      »Natürlich. Du musst mir auch noch von deinen Erlebnissen im Osten berichten.«

      Er lachte. »Gut, ich werde mir einige Geschichten ausdenken. Vielleicht, wie ich einen Drachen tötete. Oder eine Armee Trolle besiegte.« Er zwinkerte ihr zu und ging.

      Verdutzt sah sie ihm nach. Trolle? Drachen? Kopfschüttelnd lief sie weiter zur Küche. Gut, er hatte gescherzt, doch es störte sie, von ihm wie ein Kind behandelt zu werden, während sie ... ja, was genau in ihm sah? Sie meinte immer noch die Hitze seines Körpers zu spüren, eine Empfindung, die ihr den Atem nahm und ihren Herzschlag beschleunigte.

      Sie holte tief Luft und murmelte: »Jetzt reiß’ dich zusammen. Du hast ihn lange nicht gesehen. Das wird es sein.« Dieser Gedanke und ein Berg schmutzigen Geschirrs, der ihrer in der Küche harrte, trugen dazu bei, Maksim aus ihrem Kopf zu verbannen.

      Kapitel 5

      Fast war es wie damals, bevor er gegangen war. Sie saßen vor dem Kaminfeuer, Rodica in einem Sessel zusammengerollt, Maksim vorgebeugt, die Ellenbogen auf den Oberschenkeln abgestützt.

      »Deswegen bin ich gegen die Sklaverei«, schloss er. In seinen Augen funkelte die Begeisterung für die Ideen, die er ihr in einem langen Monolog dargelegt hatte. »Egal, wie man es betrachtet, beide, Vampire und Menschen, verlieren dabei.«

      »Ich kann mir nicht vorstellen, frei zu sein«, sagte sie ehrlich. »Der Gedanke macht mir Angst.«

      »Weil du es nicht anders kennst.« Maksim sah sie verwundert an. »Möchtest du nicht in der Lage sein, einfach gehen zu können, wohin du willst? Leben, wo und wie du möchtest?«

      »Ja, schon.« Nachdenklich wickelte sie eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger. »Aber es bedeutet Unsicherheit und Gefahr. Meine Eltern waren frei und sie sind ermordet worden. Ich bin Sklavin, aber ich werde beschützt, von den Kriegern und von den Mauern der Festung.«

      »Du kannst auch in der Sklaverei ermordet werden. Bei uns werden Sklaven gut behandelt. Bei anderen Stämmen sieht das anders aus.«

      »Delia nannte Namen von Fürsten, die ihre Sklaven schlecht behandeln. Raiden Tyr und Aibek.«

      »Das stimmt, Raiden Tyr ist grausam, nicht nur Sklaven gegenüber. Und Aibek ist hinterhältig. Sie hat dir gesagt, du sollst dich von ihnen fernhalten?«

      »Nein, aber ich soll ihr sagen, wenn sich jemand mir gegenüber nicht richtig verhält.«

      »Ich werde die Augen ebenfalls aufhalten. Sage mir bitte auch Bescheid, wenn etwas ist. In Ordnung?« Als sie nickte, fuhr Maksim sich mit den Händen über das Gesicht. »Ich war erst euphorisch, als Vater zum Herrscher über die Stämme gemacht wurde. Wenn ich ihn von meinen Ideen überzeugen kann, dachte ich, dann können wir die notwendigen Änderungen schnell einführen. Aber im Rat werden wahrscheinlich viele Fürsten sitzen, die gegen Veränderung sind. Das wird es schwierig machen.«

      »Wird der Herr deinen Vorschlägen gegenüber offen sein?«

      »Ich weiß es nicht. Er verabscheut Gewalt und Grausamkeit, aber er pocht auf die Einhaltung der Stammesgesetze, die die Sklaverei erlauben. Ich habe keine Ahnung, ob er willens ist, diese Gesetze zu ändern.«

      »Was passiert, wenn ihr die Sklaverei abschafft?«, fragte sie nachdenklich. »Meinst du, die Sklaven auf D’Aryun würden bleiben?«

      Maksim lachte. »Sag du es mir. Würdest du bleiben?«

      »Ja«, sagte sie sofort. »Ich habe keinen Grund zu gehen. Ich denke, Emese und Vazha ebenfalls nicht.«

      »Und das ist es, was ich hoffe! Ihr wäret dann Diener, Blutdiener, und würdet für eure Dienste bezahlt werden. So war es einmal vor langer Zeit und das ist es, was ich wieder erreichen möchte.«

      »Hm.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wie viel willst du denn zahlen? Was machst du, wenn ein anderer Vampir mehr für unsere Dienste bietet?«

      »Soweit sind wir noch nicht.« Maksim grinste. »Vielleicht überschütten wir euch ja mit Gold, wer weiß?«

      Jetzt musste Rodica lachen. »Nun, dann weiß ich, was ich mit meiner Freiheit machen werde: In die blaue Stadt gehen und mit dem Gold als reiche Dame leben, ohne jemals wieder arbeiten zu müssen.«

      Die blaue Stadt war eine Stadt der Menschen, die im Westen, jenseits der Grasländer, am Meer lag. Man hatte sie angeblich nach der Farbe des Gesteins, aus dem sie erbaut war, benannt. Im Gebirge wusste man zwar nicht viel über die blaue Stadt, aber alle waren sich einig, dass die Menschen dort reich waren und glücklich lebten.

      »Das ist also der Dank für alles, was ich für dich getan habe!« Maksim hob theatralisch die Arme und seufzte. »Du willst mich in den Bergen zurücklassen.«

      Sie kicherte und stand auf. »Du willst doch, dass ich frei bin. Ich muss jetzt zu Emese und ihr mit dem Morgenmahl helfen.«

      Maksim erhob sich ebenfalls. »Und jetzt ist auch noch das Morgenmahl wichtiger als ich. Ich habe verstanden.«

      Ohne darüber nachzudenken,