Mittzwanzigers auftauchte.
»Mr President, Sir. Ein Vorfall in Gordon City erfordert Ihre persönliche Aufmerksamkeit, wir vermuten einen Mutan…«
Riú ließ den jungen Mann gar nicht erst ausreden – Adrenalin strömte durch seine Adern und hastig wischte er den Videoanruf vom Bildschirm. Na endlich, wurde auch Zeit! Er schlug mit der Faust auf den Tisch, ehe er so schnell aufsprang, dass sein Bürostuhl krachend zu Boden fiel. Riú achtete nicht darauf und eilte in die kleine Kommandozentrale im Nebenraum.
Es gab nur drei Dinge, die alle Kameras in jedem Raum der Welt aktivierten: Einbrecher, ungewöhnlich viele Leute in einem Raum oder jemand hatte auf den Ambulanzknopf gedrückt. Und sein Assistent hatte bereits das Zauberwort gesagt.
Mutanten.
Als er in der Kommandozentrale eintraf, lief die Übertragung der Überwachungskameras bereits auf der Smartwall.
»Gut, dass Sie da sind.« Der junge Assistent sprang von seinem Platz und bot ihm seinen Stuhl an. »Die automatischen Luftanalysen haben im Zimmer des Mädchens die typische Hormonzusammensetzung eines Mutantenangriffs festgestellt, und schauen Sie …«
Der Stream einer der Kameras war mit einem roten Kreuz markiert, von diesem Raum aus hatte also jemand eine Ambulanz gerufen.
Riú tippte das Symbol an und erhielt die Positionsauswertung – Gordon City, das Haus der Familie Springfield, dort das Zimmer der Tochter des Hauses, Valentine. Er drückte auf einen anderen Knopf, der es ihm ermöglichte, drei zusätzliche Überwachungskameras zu aktivieren und ihre Aufnahmen parallel nebeneinander anzeigen zu lassen.
Alle vier Kameras zeigten ihm einen jungen Mann mit langen blonden, blutverschmierten Haaren. Er stand vor der Leiche der Tochter des Hauses und hatte den Finger auf dem Knopf.
Riú griff zum UniCom und wählte eine nur ihm bekannte Nummer. »Mormannin, eine Mutanten-Razzia nach Gordon City, President Street 11, das Haus der Springfields.«
Genießerisch lehnte er sich zurück, um das Schauspiel zu beobachten und spürte, wie sich ein Lächeln in sein Gesicht stahl. Das waren die Momente, für die Riú lebte.
Bart Mormannin hatte seine Leute überall. Die Mutantenjagd musste lustig werden. Vielleicht sollte er sich Popcorn bringen lassen?
4. Avriel Adamski – Gordon City – 07.07.2145
Blitzschnell zog der ganze Tag an ihm vorüber, während er wie in Zeitlupe seinen Finger vom Knopf löste.
»Still, willst du erschossen werden?« Das hatte Valentine gesagt, und nun war sie tot und er ein Mörder, ein Gejagter. Was sollte er nur tun?
Eines wusste Avriel: Er wollte leben, doch wenn man ihn hier erwischen würde, sähe es düster für ihn aus. Er wollte wegrennen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht und er starrte geistesabwesend auf das Blut an seinen Händen. Wie in Trance nahm er ein Papiertaschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich damit, so gut es ging, das Blut aus dem Gesicht und von den Händen.
Das war ein Albtraum, oder? Das geschah nicht wirklich. Nicht mit ihm. Er war Pazifist, das widersprach allem, was er je gedacht hatte, das …
Der Klang ferner Sirenen riss ihn aus seinen Gedanken.
Hastig schaute er sich um, drückte dem leblosen Mädchen einen Kuss auf das Haar, öffnete das Fenster, kletterte auf das Fensterbrett und visierte bereits den Baum an, als er einen großen Wagen erblickte.
Der Wagen kam vor Valentines Haus zu stehen und seine Scheinwerfer tauchten die Umgebung in grelles Licht. Drei Ärzte stürmten aus dem Wagen.
Avriel drückte sich in den Schatten und machte sich so klein wie möglich. Wenn das Scheinwerferlicht ihn träfe, müssten sie ihn entdecken.
Ein Arzt zückte ein Plastikkärtchen und schritt genauso mühelos durch die Eingangstür wie zuvor Avriel.
Er spürte, wie sein Verstand erneut gegenüber seinen Instinkten kläglich versagte, wie Adrenalin seine Augen unwahrscheinlich scharf machte … Er sah jeden einzelnen Ast, jedes Blatt, jede Blattader … und sprang.
Der Ast federte unter ihm und er hielt sich krampfhaft fest. Was, wenn die Ärzte ihn bemerkten und ihm nachsahen?
Dumpf hörte er das Stampfen ihrer Schritte.
An den Ast der alten Eiche geklammert, fühlte er sich auf bekanntem Terrain – schließlich waren Valentine und er als Kinder oft genug auf diesem Baum herumgeklettert, wenn sie in ihrem Baumhaus gespielt hatten. Ungefähr auf der Höhe ihres Zimmerfensters spaltete sich der Baum in zwei Stämme auf, zwischen denen sich das kleine Holzhäuschen perfekt einfügte.
Vorsichtig robbte er so lautlos wie möglich über den dicken Ast, zog sich langsam an der Holzwand des Häuschens hoch und überblickte seine Möglichkeiten: im Schatten des Baumhauses entlang und dann weiter zur Hecke des Nachbarn, der am Grundstücksrand eine junge Balsamtanne mit dichten Ästen gepflanzt hatte. Eine andere Wahl blieb Avriel nicht. Er packte einen Ast über seinem Kopf und hangelte sich, so schnell er konnte, ans andere Ende des Baumhauses. Flüchtig sah er sich um. Von seinem Standort aus konnte er Valentines Fenster nicht mehr erkennen und hoffte, dass auch er somit für die Ärzte im Haus nicht zu sehen war.
Aber wie lange würden sie noch dort beschäftigt sein?
Avriel tastete sich an den Ästen entlang nach unten und streckte sich, bis er festen Boden spüren konnte. Langsam und vorsichtig löste er seinen Griff und sprang ins Gras.
Er hielt sich nah am Boden und kroch zur Hecke.
Wenn die Springfields kein Loch in ihrem Bewuchs hatten, würde sein Plan nicht funktionieren – und dann?
Eilig fuhr er mit den Händen durch die Zweige, suchte nach einer Lücke, die groß genug für ihn war.
Dabei stöberte er irgendwelche Tiere auf, die raschelnd davonstoben. Hoffentlich hatten die Nachbarn der Springfields keinen Hund …
Endlich fand er eine Lücke, die breit genug war, um seinen Kopf hindurchzustecken. Er legte sich flach auf den Bauch und verbreiterte sie so gut es ging mit den Händen.
Trotzdem zerkratzten ihm die Zweige beim Durchschlüpfen auf das Nachbargrundstück Gesicht und Arme, rissen ihm Löcher in die Kleidung und hätten ihn beinahe seinen linken Schuh gekostet.
Mühsam zwang sich Avriel, aufzustehen und drückte sich eng an