Katherina Ushachov

2145 - Die Verfolgten


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      Er muss­te ver­schwin­den.

      Unauf­fäl­lig hol­te Avri­el sei­nen UniCom aus der Ho­sen­ta­sche und lins­te auf die Uhr. Sperr­stun­de. Ei­gent­lich durf­te er sich nicht mehr auf den Stra­ßen auf­hal­ten. Nor­ma­ler­wei­se wur­de das Ge­setz eher lax durch­ge­setzt, aber nicht heu­te.

      Ei­lig drück­te er sich an den We­gen ent­lang, im­mer im Schat­ten, und hoff­te, dass ihm kei­ne Pär­chen oder Spa­zier­gän­ger mit Hund be­geg­nen wür­den. Schnell fand er den klei­nen, et­was ver­wahr­los­ten Spring­brun­nen. An­geb­lich mo­der­ne Kunst, für Avri­el sah das Ding aus, als hät­te je­mand et­was Un­för­mi­ges ge­baut und dann mit Ab­sicht ver­ros­ten las­sen.

      Er lehn­te sein Rad da­ge­gen, schöpf­te Was­ser und wusch sich aus­gie­big Ge­sicht und Hän­de. So lan­ge, bis sei­ne Haut rot war und sein Ge­sicht spann­te. Er zog sich sein T-Shirt über den Kopf und wen­de­te es. Auf den ers­ten Blick war nicht zu er­ken­nen, dass er es ver­kehrt her­um trug, so­dass nie­mand se­hen wür­de, wie schmut­zig es war. Au­ßer­dem hat­te das Hemd, das er dar­über ge­tra­gen hat­te, so­wie­so das Meis­te ab­be­kom­men. Avri­el ließ es in einen Ab­fall­ei­mer fal­len und schob mit ei­nem Ast Müll dar­über.

      Das reich­te zwar ver­mut­lich nicht, um sei­ne Spur voll­kom­men zu ver­wi­schen, doch es war bes­ser als gar nichts. Wenn er nun durch den künst­li­chen Bach­lauf im Park wa­te­te und an­schlie­ßend in ei­nem wei­ten Bo­gen ins Wai­sen­haus zu­rück­kehr­te, konn­te er noch recht­zei­tig zum Abendes­sen da sein und so tun, als gin­ge ihn das Gan­ze nichts an.

      Konn­te er so kalt­blü­tig sein?

      Va­len­ti­ne war tot und er dach­te nur an sein ei­ge­nes Über­le­ben. Wie­so stell­te er sich nicht ein­fach? Wie­so woll­te er trotz al­lem noch wei­ter­le­ben?

      Er wuss­te es nicht.

      8. Riú Gordon – Washington D.C. – 07.07.2145

      Die Be­frie­di­gung dar­über, dass er Mr Green ein­schüch­tern konn­te, hielt nicht lan­ge an. Vor al­lem aber lös­te die­ses Te­le­fonat sein ei­gent­li­ches Pro­blem nicht. Es war ihm egal, wer die Si­cher­heits­gel­der ver­un­treut hat­te, er wuss­te nur, dass die­se Per­son blu­ten muss­te. Am bes­ten so­fort, qual­voll und wäh­rend er genüss­lich zu­sah.

      So­fern nichts an­de­res be­schä­digt war, wür­de es schon er­mit­tel­bar sein, wer das ge­we­sen war.

      Er rief er­neut Mor­man­nin an. »Die Au­ßen­ka­me­ras in Gor­don Ci­ty sind de­fekt. Und zwar je­de ein­zel­ne.«

      »Ich weiß. Wir kön­nen die Such­spin­nen nicht blind los­schi­cken, das kön­nen wir uns nicht leis­ten. Ich ha­be be­reits Droh­nen für Gor­don Ci­ty an­ge­for­dert, aber bis sie star­ten und beim Haus der Spring­fields sind …«

      »… ist der Mu­tant mög­li­cher­wei­se weit weg. Das weiß ich, Bart.«

      »Kann die Soft­wa­re ihn zu­ord­nen? An­hand der Vi­deo­auf­nah­men oder der DNA?«

      »Die Bots sind dran. Er hat­te die Haa­re vor dem Ge­sicht hän­gen und die Bil­der sind teil­wei­se ver­schwom­men.«

      Bart seufz­te am an­de­ren En­de Nord­ame­ri­kas.

      »Ihr wer­det ihn fin­den und tun, was not­wen­dig ist.«

      »Na­tür­lich.«

      Riú leg­te auf. Gleich wie gut sich die Tech­nik in den letz­ten Jah­ren wie­der ent­wi­ckelt hat­te, er woll­te sich das Gan­ze selbst an­se­hen. Noch ein­mal spiel­te er die Auf­nah­me ab, bis er ein Bild hat­te, auf dem der Mu­tant auf­recht stand. Riú drück­te den Mo­ment-Free­ze- und gleich­zei­tig den Aus­wer­tungs­but­ton, der das Bild zu­sätz­lich mit Schät­zun­gen zu Kör­per­grö­ße, Ge­wicht und Al­ter be­schrif­te­te.

      Zu­min­dest konn­te er so die Su­che nach dem Mu­tan­ten ein­schrän­ken las­sen, selbst wenn kei­ne ge­naue­re Ana­ly­se der Da­ten mög­lich sein soll­te.

      Er schick­te die Da­tei an Bart Mor­man­nin.

      Par­al­lel da­zu drück­te er auf einen But­ton, der ihn di­rekt mit dem Bü­ro sei­ner Se­kre­tä­rin ver­band. »Gla­fi­ra, Vor­la­ge M17. Du be­kommst gleich die Pa­ra­me­ter rein, ich will die Mel­dung se­hen und selbst ab­schi­cken.«

      Noch ehe die jun­ge Frau ant­wor­ten konn­te, be­en­de­te er die Ver­bin­dung und schob die aus­ge­wer­te­te Da­tei in ih­ren Cloud­ord­ner.

      We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter hat­te er den fer­ti­gen Text vor sich auf dem Touch­ta­ble: An al­le An­woh­ner Gor­don Ci­tys und des um­ge­ben­den Be­zir­kes! Ein ge­fähr­li­cher Mu­tant be­droht die öf­fent­li­che Si­cher­heit. Es han­delt sich um einen jun­gen Mann im Al­ter von un­ge­fähr 17 Jah­ren. Er hat schul­ter­lan­ge, blon­de Haa­re und trägt ein hell­blau­es Hemd mit T-Shirt dar­un­ter. Sei­ne Au­gen sind grün, an­sons­ten ist er schmal ge­baut und schät­zungs­wei­se 1,70 m groß. Hin­wei­se wer­den er­be­ten. Bit­te wen­den Sie sich da­für an die ört­li­chen Po­li­zei­dienst­stel­len.

       All­ge­mein wird zum ei­ge­nen Schut­ze emp­foh­len, kei­ne Frem­den nach Son­nen­un­ter­gang ins Haus zu las­sen und kei­ne Ob­dach­lo­sen vor der Haus­tür auf­zu­neh­men und in das ei­ge­ne Heim zu brin­gen.

       Riú Raoul­son Gor­don, Pre­si­dent of the Uni­ted World.

      Die­se Nach­richt sand­te er di­rekt an den Lei­ter der Be­hör­de für Pro­pa­gan­da, Gio­se­phe Lob­bes. Des­sen Auf­ga­be war es, die Nach­richt ab­zu­seg­nen – oder mit zu­sätz­li­chen wirk­sa­men Flos­keln aus­zu­stat­ten – und dann an die Po­li­zei wei­ter­zu­lei­ten.

      »Nun ent­wischst du mir nicht mehr, klei­ner Mu­tant.« Er grins­te zu­frie­den. Zum ers­ten Mal an die­sem Abend hat­te er das Ge­fühl, et­was Nütz­li­ches ge­tan zu ha­ben.

      9. Avriel Adamski – Gordon City – 07.07.2145

      End­lich er­reich­te Avri­el das Wai­sen­haus. Flüch­tig sah er sich um. Nach rechts, links, hin­ten, oben.

      Nichts.

      Jetzt muss­te er nur noch un­ge­se­hen hin­ein.

      Has­tig zog er sei­nen UniCom aus der Ho­sen­ta­sche und schau­te auf die Uhr­zeit. Das Abendes­sen hat­te er je­den­falls schon ver­passt, das ver­hieß nichts Gu­tes.

      Das Gerät vi­brier­te in sei­nen Hän­den und er rief die Nach­richt ab.

      »An al­le re­gis­trier­ten Nut­zer.«

      Er las wei­ter.

      Schei­ße. Das war sein Fahn­dungs­auf­ruf.

      Sein Hemd. Sein T-Shirt. Sei­ne Haa­re. Zum Glück hat­te er das Hemd be­reits ent­sorgt und sei­ne Haa­re hin­gen so weit in sein Ge­sicht, dass man es kaum er­ken­nen konn­te. Aber was, wenn das nicht reich­te? Wie vie­le Jungs in sei­nem Al­ter tru­gen lan­ge Haa­re? Und wie vie­le von de­nen kann­ten Va­len­ti­ne?

      Übel­keit stieg in ihm auf, traf auf einen schmerz­haf­ten Kloß in sei­nem Hals. Er lehn­te sich an den Baum vor dem Wai­sen­haus und übergab sich so lan­ge, bis er nur noch Ma­gen­saft spuck­te.

      Er ver­lor wert­vol­le Zeit.

      Schnell