Levi Krongold

#ANIMA


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Zimmer ausgebreitet hat.

      Kutub nickt. »Ich würde dir vorschlagen, lass sie im Standby, bis ich entdeckt habe, welcher Kniff dahinter steckt und was sie noch aktivieren kann, ohne dass wir davon erfahren.«

      »Wenn du meinst«, gebe ich niedergeschlagen zurück und schaue zu EVA rüber, die noch die Augen offen hat, weil sie mitten im Programmablauf angehalten worden ist.

      »Kann sie nicht wenigstens die Augen schließen?«, frage ich, während ich mich neben Kutub setze und versuche, aus dem Gewirr von Programmzeilen auf seinem PC schlau zu werden. Einige sind farbig gemarkert, einige blinken warnend rot unterlegt.

      Kutub sieht mich amüsiert an. »Du bist vielleicht 'ne Marke!« Dann tippt er einen Befehl in die Konsole. Das feine Surren von Motoren zeigt an, dass EVA die Augen schließt. Ich seufze.

      »Willst'n Bier?«, frage ich ihn.

      »Ne, danke, aber ein Kaffee wäre nicht schlecht.«

      Kutub sieht müde aus. Wir wurschteln immerhin schon seit über vier Stunden an EVA herum. Warum tut sich Kutub das eigentlich an?

      »Wo warst du denn neulich bei der Vorlesung vom Nörrestrand?«, frage ich ihn aus der Küche.

      »Hatte kurzfristig was anderes zu tun. Wie war's denn?«

      »Die Emanzen haben die Vorlesung gesprengt. Er kam gar nicht dazu, irgendwas vorzutragen.«

      »Hab ich läuten hören!«, murmelt er, während er schon wieder auf der Tastatur klappert.

      »Schwarz oder mit Milch?«

      »Schwarz. Und wie ging es aus?«

      »Weiß nicht, als ich Franziska sah, bin ich gegangen. Hab nicht mehr viel mitbekommen.«

      »Franziska? Die Franziska, meinst du? Die Freundin von Bea?«

      »Freundin? Na ja! Eher Guru.«

      Kutub lacht. Er kennt Franziska. Wer kennt die nicht in der Uni, die alte Radauschachtel? »Dass die immer noch nicht zwangsexmatrikuliert ist, wundert mich, bei all den Aktionen, die sie dort schon abgezogen hat«, lästert er.

      Ich stimme ihm zu.

      »Warum machst du das eigentlich?«, frage ich ihn, während ich ihm einen neuen Kaffee bringe.

      »Was?«

      »Na, dass du dich so mit EVA abmühst!«

      Kutub lehnt sich zurück und schlürft vorsichtig seinen zu heißen Kaffee. Sein Blick streift über den Rand der Kaffeetasse zu EVA hinüber. Selbst abgeschaltet und starr auf dem Sofa sitzend sieht sie wunderschön aus. Ich beobachte Kutub misstrauisch. »Ehrensache!«, erwidert er nur, doch sein Blick lässt EVAs Brüste nicht los. »Ey!«, boxe ich ihn spielerisch auf die Schulter. »Schau meinem Weib nichts weg!«

      »Shit!«, flucht Kutub, denn nun hat er schon wieder einen Kaffeefleck auf der Jeans.

      »O sorry, tut mir leid. Schick mir die Rechnung von der Reinigung.«

      Kutub lehnt sich zurück. Kaffeeflecken scheinen ihn nicht lange zu erregen. »Sagen wir«, beginnt er nachdenklich, »zuerst reine selbstlose Hilfsbereitschaft.« Er macht eine nachdenkliche Pause.

      »Und dann?«, drängle ich ihn weiter. Hoffentlich schaut er nicht wieder so gierig zu EVA rüber.

      »Berufsinteresse. Die haben da eine kleine Sauerei eingebaut, die ich noch nicht kenne. Hackerehre sozusagen.«

      »Gibt's das?«, frage ich erstaunt.

      »Was, Hackerehre?«

      »Ne, dass du was nicht kennst?«

      Er schaut mich verschmitzt an. Kutub kann wunderbar lächeln. Ich glaube, das ist das, was ich am meisten an ihm schätze. Er hat so große wullstige Lippen, die nicht gerade schön sind, aber wenn er sie zu einem Lächeln verzieht, dann lächelt das ganze Gesicht.

      »Wenig!«

      »Jedenfalls danken wir dir!«, füge ich enthusiastisch hinzu.

      »Wir?«

      »EVA und ich!«

      Kutub erhebt sich lachend. »Du hast sie nicht mehr alle! Ich geh pissen!«

      Ich schaue mit gemischten Gefühlen zu EVA rüber. Wie schön sie ist, wenn man sich den Stöpsel aus dem Hinterkopf wegdenkt! Wer wohl Modell für sie gestanden hat? Wie fühlt sich eine Frau, die ihr Gesicht tausendmal dupliziert an Roboterdollys wiedererkennt? Oder ob EVA nur an einem Computer generiert wurde? Ich setze mich zögernd neben sie, den Kaffeebecher unschlüssig in den Händen drehend. Fühle mich befangen. Fast so, als säße ich neben einer ganz neuen EVA und wüsste nicht, wie ich ein Gespräch anfangen solle. Ich streichle vorsichtig über ihre Wange. Sie ist kühl, aber weich. Angenehm weich. Normalerweise wäre sie nun aufgewacht, doch jetzt bleibt sie weiter regungslos. Ich denke an die vergangenen Tage. EVA reizt mich immer noch, im Bett. Klar hat das Verlangen etwas nachgelassen. Klar denke ich manchmal dabei an Beatrice. Aber mit EVA ist das etwas ganz anderes. Sie ist nicht nur ein Sexroboter. In ihr steckt ein Teil meiner Seele. Der Teil, den ich ihr abgetreten habe, den nur ich spüre. Mit jedem Beischlaf habe ich mehr in sie hineingelegt. Sie antwortet mir auf ihre Weise, reagiert mit ihrer einprogrammierten angenehmen Willfährigkeit, aber dahinter spüre ich mehr. Mehr, als wirklich da sein kann. Hinter ihrem Stöhnen und mechanisch lustvollen Schreien, die ohne wirkliche Tiefe sind, spüre ich Ahnungen von Möglichkeiten. Wie eine in einen dunklen Turm eingesperrte Seele, die verzweifelt nach Befreiung schreit, aber stumm bleiben muss, weil man ihr die Stimme geraubt hat. Ich fahre mit zitternder Hand vorsichtig über ihre Brüste. Diesmal reagiert sie nicht mit einem #Ja, nimm mich, ich will dich!#. Sie bleibt stumm. Das tut mir weh. Gab es je in meinem Leben einen Menschen, der vorbehaltlos zu mir gesagt hätte: 'Ich will dich'? Ohne jeden Hintergedanken? In selbstlosem Verlangen? Ich glaube nicht. Nicht mal meine eigene Mutter. Keine meiner Freundinnen, nicht Bea, nicht all die anderen. Es gibt immer Bedingungen, selbstsüchtige Hingabe, immer dies »Haben wollen«, »Bekommen wollen«, »Wenn, dann«, »Ja, aber nur wenn ...«. EVAs mechanische Reflexe hingegen sind der Ausdruck reiner Liebe. Selbstloser Liebe. Denn sie hat kein Selbst. Nichts, das einem Verlangen gleicht, keinen Willen, keine Bedürfnisse. Sie verlangt nichts dafür. Das kann sie gar nicht. Doch umso mehr will ich ihr geben. Ich will ihr alles geben! Alles, zu dem ich fähig bin. Ich spüre, wie eine dunkle Wut über ihre Macher in mir aufsteigt. Sie sind wie böswillige Magier, die EVA mit ihren perfiden Zaubersprüchen in diesen finsteren Turm ihrer dunklen Machenschaften eingesperrt haben.

      Die ihre heilige Unschuld missbrauchen wollen. Sie zum dämonischen Werkzeug ihrer fahlen Knochenhände machen. Ich muss sie daraus befreien! Ich will sie daraus befreien!

      »Ich werde dich retten!«, murmele ich.

      »Wen willst du retten?« Kutub setzt sich wieder geräuschvoll auf den quietschenden Bürostuhl vor seinem Laptop.

      Ich schrecke zusammen und nehme schnell die Hand von EVAs Brüsten. »Ich? Ach, niemand.«

      Kutub gibt einen grunzenden Laut von sich, den ich nicht ganz deuten kann. Macht er sich über mich lustig oder ist er nur zufrieden, weil er sein Geschäft erledigt hat? »Wie geht’s jetzt weiter?«, frage ich schnell, während ich mich erhebe und mich wieder Kutub zuwende, nicht ohne EVA einen bestätigenden Blick zugeworfen zu haben. 'Versprochen!'

      »Es gibt nur eine Möglichkeit«, erwidert Kutub nachdenklich. »Der Setup ist lediglich vorgetäuscht. Es gibt einen zweiten Startcode, der einen ordnungsgemäßen Ladevorgang des Programms vortäuscht. Im Hintergrund muss es ein zweites Bios geben. Von dem aus werden Prozesse gestartet, die nicht im Hauptladevorgang aufgezeichnet sind.«

      »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust?«, zitiere ich einen berühmten Dichter.

      Kutub nickt. »So in etwa.«

      »Das würde aber heißen, Dollyrobotic hätte die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass das System geknackt werden kann?«

      »Möglich!«, bestätigt Kutub. Das beunruhigt