Levi Krongold

#ANIMA


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die Nase. »Die Amis!«

      »Keine Titten!«, lächelte Luise, während sie sich über den Tisch beugte und ihr Ausschnitt im Shirt tief blicken ließ.

      Ich mag Luise, stellte er fest, nachdem er einen kurzen Blick riskiert hatte. Aber wer mochte sie nicht? Zuerst hatten alle Bedenken, eine Frau könnte sich unangenehm berührt fühlen, beim Anblick dutzender entblößter Frauenkörper aus Spezialgummi. Doch Luise nahm es locker und unverkrampft und hatte hier und da sogar einige ganz gute Verbesserungsvorschläge. So zum Beispiel zur Beschaffenheit der Haut. Diese wurde vorher mit dem Korpus aus einem Stück gegossen. Doch wo man die Dollys auch anpackte, man hatte stets das Gefühl, in Wackelpudding zu greifen. Das mochte an den Brüsten noch angehen, aber an Armen und Beinen, bei denen man eine gewisse Festigkeit erwartete, machte das ein ungutes Gefühl. Folge: Man trennte sich vom amerikanischen Startup und benötigte noch mehr Geld vom Sponsor, um eine ganz neue Dolly zu fertigen. Die hatte nun ein Skelett aus Hartplastik, war innen mehr oder weniger hohl, konnte ihre Gelenke auch nicht mehr wie eine Qualle ihre Tentakeln in alle unmöglichen Richtungen verdrehen, sondern nur soweit es die Gelenke natürlicherweise zuließen. Sie war leichter als ihre Vorgängerinnen, hatte Raum für Innenleben, eine Heizung unter der Haut und leider ein Patent, das zu fünfzig Prozent auf den Sponsor lief. Damit waren die weiteren Verbesserungen noch nicht eingerechnet, die in den nächsten zwei Jahren hinzukamen, doch der Streit darüber, wem die Rechte daran zustanden, bekam inzwischen monströse juristische Formen. Kein Wunder, dass Willem nervös war.

      »Die spinnen, die Amis! Keine Eier!«, grinste Frederic.

      »Na ja, ein bisschen haben sie wohl recht«, erwiderte Luise stirnrunzelnd. »So richtig doll geht es mit den Umsätzen ja wirklich nicht ab. Ich hab mit Luuk von der Buchhaltung gesprochen, der das derzeitige Konzept für einen absoluten Fehlschlag hält.«

      Frederic fuhr auf. Das Thema wurde von den Mitarbeitern der Firma immer wieder kontrovers diskutiert. Wozu sollte man in eine Sexpuppe mehr computerisierten Grips einbauen, als zur unmittelbaren Befriedigung niederer Bedürfnisse notwendig war? »Ach ne, nicht schon wieder! Luuk hat null Fantasie.«

      »Aber die Umsatzzahlen vor Augen!«, erwiderte Luise belustigt, denn sie wusste, wie vehement Frederic das derzeitige Konzept verteidigte, da es wohl überwiegend auf seine Anregungen zurückging. »Die Puppen werden einfach zu teuer für das untere Marktsegment. Wer kann sich schon einen Roboter für 50 000 Euro leisten?«

      Frederic stieß schnaubend die Luft aus der Nase. »Die können sich Aufblasbares kaufen!«, fauchte er abfällig. »Wir brauchen eine andere Klientel, und die erreichen wir auch und …«, fuhr er schulmeisterlich fort, »die haben wir schon.«

      »Woher weißt du das?«, fragte Luise verwundert.

      Frederic biss sich auf die Lippen. Vorsicht Minenfeld! Niemand durfte wissen, dass er die Kundennamen heimlich abzapfte und für eigene Zwecke speicherte, obwohl sie hochgradig verschlüsselt wurden. Nicht einmal Willem wusste davon. Da waren Namen gespeichert, die höchst interessante Perspektiven eröffneten. Die würde er nutzen wollen, wenn seine Zeit gekommen war. Er winkte ab. »Denk ich mal«, antwortete er ausweichend und blickte verlegen zur Seite. So sah er nicht das Aufblitzen von Interesse in Luises Augen, das sie jedoch schnell verbarg, als sich ihre Blicke wieder trafen. Sie wusste, dass die Planungen viel zukunftsorientierter waren, als es wirtschaftlich gesund sein konnte. Niemand von der Geschäftsleitung ließ sich da so richtig in die Karten schauen, denn jede neue Idee konnte Milliarden wert sein. Nicht nur Luise wunderte sich, weshalb in die Puppen Hardware verbaut war, die für den unmittelbaren Zweck der Lustbefriedigung des Käufers eigentlich nicht benötigt wurde. Selbst eine abgehobene Zukunftsvision, wie sie möglicherweise hinter den Dollys wirkte, musste finanziell geerdet werden. Kleine Schritte anstatt großer Sprünge. Doch man plante bereits eine Marsbesiedlung, bevor der Transport dorthin technisch möglich wäre. Andererseits ging die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz mit riesigen Schritten voran. Es war geradezu, als sei eine Lawine ins Rollen gekommen, die die Dynamik des Geschehens wie ein Tsunami vorantrieb. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar erschien, nahm bereits punktuell Gestalt an. Klar, dass man sich da anstrengen musste, die Nase vorn zu behalten. Aber eine kleine Firma wie Dollyrobotic, was konnte die da schon ausrichten?

      »Und sonst?«, wechselte Luise unvermittelt das Thema und blitzte ihn charmant an. Frederic machte das Chamäleon und färbte sich rot. Im Umgang mit richtigen Frauen fühlte er sich unbeholfen, linkisch. Luise lachte hell auf. »Du bist so süß, wenn du verlegen wirst.«

      »Muss los!«, beeilte sich Frederic wegzukommen.

      »Na denn!«, schmollte Luise, musste sich aber eingestehen, dass sie Frederic gern ein wenig neckte.

      Der hatte es gar nicht so eilig, wie er vorgab. Im Gegenteil. Eigentlich hatte er gar keine Lust, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Was ihn umtrieb, war nicht das erfolgreiche Eindringen eines Hackers ins System, sondern dass seine kleinen Extratouren entdeckt werden könnten. Er würde vorsichtig sein müssen, wenn er die Spur des Eindringlings verfolgte, um die richtigen und unverdächtigen Informationen weiterzugeben. Es reichte bereits die eine Panne, die durch die Schlamperei in der Versandabteilung passiert war. Ein Kunde hatte mit einer Bestellung seiner privaten Doll versehentlich einen Torso aus der Entwicklungsabteilung erhalten, anstatt einen üblichen aus dem Lager. Einen Torso, bestückt mit einem Kopf, der zwar einsatzbereit war, jedoch eine erweiterte Speicherkapazität, eine neue Hardware und viel Upgrades für spätere Entwicklungslinien enthielt. Sozusagen eine Luxuslimousine im Kleid eines Kleinwagens.

      Willem hatte getobt als das Fehlen des Spezialkopfes bemerkt wurde. Doch welcher Kunde hatte ihn bekommen?

      So hofften alle inständig, die Doll möge nun irgendwo in einem Wohnzimmer in Deutschland einen Dornröschenschlaf halten.

      Und noch mehr hoffte Frederic, niemand möge die Entwicklungssoftware bemerken, die eigentlich beim Einbau des endgültigen Betriebssystems hätte ausgetauscht werden müssen. Er hatte sie unter einer »Tarndecke« versteckt, so dass sie im Hintergrund weiterlief und sowohl Daten absaugte als auch eine Kontrolle über die Prozesse behielt. Dadurch war er in der Lage, jeden Byte, den eine Doll erzeugte, abzuzapfen. Er war der Big Brother, der alles kontrollieren konnte, wenn er auch warten musste, bis die Doll online ging. Er bemerkte, wie eine irritierende Erregung von ihm Besitz ergriff, wie immer, wenn er innerlich unter Stress geriet.

      Einer plötzlichen Eingebung folgend machte er kehrt und lenkte seine Schritte in Richtung Lager im Erdgeschoss der Firma. Es hatte ein Sicherheitsschloss am Eingang mit Geheimcode, den nur wenige Befugte kannten. Hier waren die Neuentwicklungen von Dollyrobotic eingelagert. Top Secret! Frederic war einer der wenigen, die Zugang hatten. Er tippte den Code in die Tastatur des Türschlosses. Ein kurzes Brummen folgte und die Tür sprang auf. Drinnen empfing ihn die trockene klimatisierte Kühle von zwölf Grad. Er unterdrückte ein Frösteln, suchte den Lichtschalter und stellte die Klimaanlage ab. Dann sah er sich um. Der Raum war voller nackter Frauen. Sie hingen eingehüllt in durchsichtige Plastiksäcke an den Nackenhaken einer Transportschiene. Die neuesten Modelle. Leblos wie Leichen, doch eine so schön und sexy wie die andere.

      Einige waren bereits in Transportsäcke mit Adresszetteln versehen verpackt, andere in grünlich schimmernde Schutzfolien, die mit Reißverschluss versehen waren. An der Wand reihten sich Frauenköpfe, wie vom Henker feinsäuberlich abgetrennt. Glatzköpfig starrten sie mit toten Augen in den Raum. Daneben ein Regal mit Perücken aller Haarfarben, langem und kurzem Haar, sogar Punkfrisuren gab es. Aus einem Container ragten Arme ohne Hände heraus, und Beinstümpfe ohne Füße. Hände und Füße wiederum waren in Boxen geordnet, nach Farbe und Größe sortiert. Daneben Finger- und Zehennägel aller Variationen. Jeder Kunde konnte sich seine persönliche Doll wie in einem Baukasten zusammenstellen. Sogar Kinderdolls, die jedoch mit einem roten X gekennzeichnet waren, da es sie offiziell gar nicht geben durfte.

      Über den Köpfen Gesichtsmasken, Augenpaare in Plastikfolien verschweißt, mit und ohne Motor.

      Frederic griff nach der Fernbedienung. Er wusste, was er suchte. Er tippte die Lagernummer ein, die Transportschiene an der Decke setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, der die aufgehängten Körper hin und her baumeln ließ. Hellhaarige, dunkelblonde, füllige, schlanke, kindliche