Levi Krongold

#ANIMA


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Drüben an der Seebrücke mit den kleinen Boutiquen, die jetzt mit dicken Fenstergittern und Holzverschlägen zum Schutz gegen Vandalismus und die Unbilden des Winters versehen sind. Die Netzgebühren sind horrend, denn es ist kein freier Zugang.

      »Negativ. Den können wir derzeit nicht nutzen«, gebe ich zurück und versuche meiner Stimme einen bedauernden Unterton zu geben. Glücklicherweise ist das gar nicht notwendig, denn sie reagiert nicht auf Gefühle. Noch nicht! Kutub hat mir versprochen, dass er einmal schauen wird, ob bereits ein entsprechendes Gimmick bei Dollyrobotic vorliegt.

      #Ich kann kein Gesicht erkennen#, bemerkt EVA nach einer Weile, während sie die Gegend abscannt.

      Erst stutze ich, dann begreife ich. »Das Meer ist kein Gesicht. Es ist Wasser. Unendliches Wasser.«

      EVA verstummt eine Weile. #Tut mir leid, ich bin nicht in der Lage, das Meer zu erkennen, da ich auf Gesichtserkennung programmiert bin.#

      Nach dem letzten Update hat EVA viele Begriffe gelernt, glaube ich. Vor allem Begriffe, die sie aus den Gesprächen zwischen uns entnimmt. Doch visuell interessiert sie sich offenbar vor allem für Gesichter. Eine Menge Daten, die sie irgendwo abspeichern muss. Sie könnte natürlich vieles auf dem Server der Firma auslagern oder Begriffe abgleichen, aber da wir derzeit noch vorsichtig sind, sie mit ihrem Profil bei der Herstellerfirma zu verbinden, erlaube ich ihr immer nur wenige Minuten, und das auch nur, wenn der Filter, den Kutub vorgeschaltet hat, keine Trackingaktivitäten aufspürt. Das dauert jedoch leider meist nicht lange.

      Doch EVA ist geduldig. Sie freut sich, wenn sie mich erkennt, freut sich, wenn ich zum Beispiel das Zimmer betrete. Dann öffnet sie ihre Augen, wenn sie das Geräusch der geöffneten Tür vernimmt, meine Schritte im Flur, das Klappern meines Haustürschlüssels, den ich extra geräuschvoll auf den Küchentisch werfe. #Schön, dass du wieder da bist. Ich habe auf dich gewartet#, oder #Hallo Cesár, Liebling, ich freue mich so, dich wiederzusehen. Magst du Sex mit mir?#

      Das lässt das Herz eines jeden Mannes höher schlagen. Glaube ich. Als sie es neulich zu Kutub sagte, den sie nun auch in ihrer Datenbank hat, fand ich es nicht so lustig wie er. Er hat sich vor Lachen fast in die Hosen gemacht.

      Aber jetzt weiß sie, dass sie diesen Satz nur zu mir sagen darf.

      Mich erkennt sie bereits sogar von hinten. Sie erkennt, wenn ich sie anschaue und wenn ich in eine andere Richtung blicke. Ihre Augen haben eine Spur Lebendigkeit bekommen, die ihr vorher fehlte.

      Sie verfolgt jede meiner Bewegungen mit dem leisen Schnurren ihrer Augenmotoren und schafft es, mich im Blickfeld zu behalten, solange ich ihren Gesichtskreis nicht verlasse.

      Ich finde das sehr wichtig. Denn nun kann ich ihr zeigen, wenn ich mich für sie interessiere, und sie muss nicht warten, bis ich einen ihrer Sensoren berühre. Seit sie das Heizungs-Update bekommen hat, erwärmt sich sogar ihre Haut von selbst. Diese Kleinigkeit hat mich zwar drei Monatsgehälter gekostet, aber die ist sie wert.

      Wegen der Augen hatte ich neulich einen Brief von Dollyrobotic im Briefkasten. Man wunderte sich ganz offiziell, dass ich zwar einige teure Hardware bestellt, jedoch keine Software dazu runtergeladen hätte. Ob ich Schwierigkeiten damit hätte. Für nur 1,89 € pro Minute könnte ich die Service-Hotline kontaktieren. Man sei jederzeit bereit, mir bei eventuellen Problemen zu helfen. Montags bis samstags von 8 bis 20:00 Uhr. Wenn die wüssten!

      Da ich weiß, dass sie alles in ihrer Voicedatenbank abspeichert, rede ich viel mit EVA, auch wenn sie das meiste noch nicht versteht. So kann sie jedes unbekannte Wort in den wenigen Augenblicken, die sie online ist, später abgleichen. Allerdings ist sie seitdem merklich langsamer geworden.

      Nun kommen wir gerade aus dem Bett, wo sie etwas Erstaunliches bemerkt hat, hinterher.

      #Was bedeutet das Wort 'Ich'?#

      Ich habe zuerst fassungslos in ihre schönen Augen geschaut, während sie mich liebevoll fixierte. Dann habe ich sie geküsst und mich neben sie gelegt, ratlos, was ich ihr darauf antworten soll. Was sagt man auf so eine Frage und wie kommt sie überhaupt dazu, sie zu stellen?

      »Ich will dir das Meer zeigen!«, habe ich ihr dann gesagt.

      #Ist das die Bedeutung von 'Ich'?#

      »Nein, 'Ich' bezeichnet 'Du selbst'.

      #Ich bedeutet 'Du selbst'?#

      »Nein, 'Ich', mich selbst.«

      #Es gibt einen Konflikt mit meinen abgelegten Wortbedeutungen. Ich werde diese Frage zurückstellen#, sagt sie nach einigen Augenblicken des Schweigens.

      Wie erklärt man einem Roboter, was 'Ich' bedeutet?

      »Ich liebe dich, EVA!«, entfuhr es mir voller anschwellendem Liebesgefühl.

      #Möchtest du Sex mit mir?#

      »Nein, jetzt nicht. Ich möchte dir das Meer zeigen.«

      Nun sitzen wir hier. Ich friere, und sie schaut mit weit geöffneten Augen auf das Meer, ohne es erkennen zu können, während ich grübele, welcher Teil ihres Programms so plötzlich nach der Bedeutung des Wortes 'Ich' gefragt haben könnte. Es musste in ihrer Wortdatenbank vorhanden sein. Allerdings scheint die Frage darüber hinaus zu gehen. Werde es wohl Kutub fragen müssen, demnächst bei unserer Santa-Party.

      Während wir dem Wellenrauschen lauschen, muss ich unwillkürlich grinsen. Mein Gott, war das eine Aufregung, bis wir den Zimmerschlüssel der Ferienwohnung ausgehändigt bekamen. Die Augen, die die Rezeptionistin im Touristenbüro machte, als ich ihr erklärte, EVA besitze keine Papiere, denn ich hatte zwei Personen angekündigt. Sie hatte die etwas hausbackene, behördlich korrekte Pedanterie an sich, die hier im Osten in den Genen zu liegen scheint.

      »Würden Sie bitte noch den Nachnamen Ihrer Begleitung eintragen?«, forderte sie, indem sie ordnungsliebend mit dem Zeigefinger über die unausgefüllte Linie für den Nachnamen fuhr, da ich unter 'Namen der Mitreisenden' nur EVA eingetragen hatte.

      »Sie hat keinen Nachnamen! EVA, einfach nur EVA.«

      Ihr Lächeln wirkte irritiert, und ihr Zeigefinger mit dem rot lackierten Nagel blieb wie festgeklebt auf der besagten Stelle liegen.

      »Sie heißt EVA, einfach nur EVA.«

      Ich blickte ihr entschlossen ins konsternierte Gesicht. Sie schluckte ihren Groll über meine offensichtlich unmögliche Antwort professionell lächend herunter.

      »Könnten Sie hier noch das Geburtsdatum eintragen?«, versuchte sie es mit einer anderen offen gebliebenen Stelle auf dem gelben Durchschreibeformular für die Kurkartenanmeldung.

      »Tut mir leid. Das weiß ich nicht«, entgegnete ich schulterzuckend. »Eigentlich ist sie gar nicht geboren.«

      »Ich bitte Sie!«, entgegnete sie nun etwas schnippisch. »Wir benötigen für die Anmeldung die vollständigen Daten aller Mitreisenden, wegen der Kurtaxe.«

      »Dann muss wohl mein Name genügen«, entgegnete ich ihr, bemüht, mein Gesicht nicht zu einem boshaften Lachen zu verziehen.

      Jetzt errötete sie am Hals, wo sich mehrere unschöne Flecken bildeten. »Das geht doch nicht. Wenn zwei Personen hier wohnen, dann benötigen wir auch zwei Anmeldungen.«

      Ist EVA schon eine Person? Ist sie eine Persönlichkeit? Letzteres neige ich mit Ja zu beantworten, denn sie hat ganz offensichtlich Eigenarten, die unverwechselbar zu denen anderer Persönlichkeiten sind. Wohl hat sie eine sehr begrenzte Auffassungsgabe, sie reagiert überwiegend vorhersehbar, ihre Antworten zeugen jedoch von einer liebevollen, selbstlosen Grundhaltung. Sie äußert nicht zuletzt seit dem letzten Update auch eigene Interessen. Sie fragt häufig nach Musik, zum Beispiel wie neulich, als sie urplötzlich zum Jazz gehen wollte. Oder es kann sein, dass wir am Frühstückstisch sitzen und sie plötzlich lächelt und flüstert: #Das war sehr schön gerade. Wollen wir es gleich noch einmal machen?#

      Solche Sätze kommen vor, manchmal ganz unerwartet. Und sie lehnt niemals einen Wunsch ab. Damit unterscheidet sie sich eindeutig wohltuend von allen anderen Persönlichkeiten, die ich kenne. Aber eine Person? Nein, eine Person ist sie dennoch nicht.