Liara Frye

Die Weltenwanderin


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weiter.«

      In diesem Moment kamen ihr Aprils stachelartige Haare wie Dolche vor, die nur darauf warteten, ihren wunden Punkt zu treffen. »Ehm … Ach, ist nicht so wichtig, er hat nur … vergessen, mir was zu sagen.«

      Aprils gerunzelte Stirn sagte alles: Sie glaubte ihr nicht.

      »Okay. Ich glaube, es stimmt etwas nicht mit mir. Ich kann wieder sehen, toll, aber dafür verliere ich meine … Intuition.« Ein besseres Wort wollte ihr in diesem Moment einfach nicht einfallen. »Weißt du, ich glaube, etwas stimmt mit meinem Kopf nicht. Aber das geht bestimmt vorbei«, murmelte sie und klang dabei weniger überzeugend als erhofft.

      April musste sich etwas auf die Zehenspitzen stellen, um an Alexis' Haare zu kommen, damit sie sie liebevoll verwuscheln konnte. »Kleine Identitätskrise, hm? Dann hoffe ich mal, dass der Idiot bald aufkreuzt und dir nicht noch mehr schlaflose Nächte bereitet. Und dass da oben nicht alles bei dir stimmt, wusste ich ja schon vorher.«

      Aprils freches Grinsen erwiderte Alexis mit einem dankbaren Lächeln, ehe sie versuchte, sich auf die nächsten Unterrichtsstunden einzustellen. Andere Gedanken würden ihr guttun.

      *

      Tatsächlich fiel sie recht geschafft in ihr Bett. Sie hörte noch die gedämpften Stimmen ihrer Mutter Angelika und einem Mann. Wieder ein Neuer, dachte sie sich noch und schlief binnen Sekunden ein.

      Sie spürte, wie sie sanft durch eine Wand glitt und fand sich in einer großen, weißen Halle wieder. Noch nie hatte sie so ein sauberes Zimmer gesehen: Wirklich kein einziger Fleck schien an den Wänden zu lauern. Und noch etwas war eigenartig: Es existierten weder Türen noch Fenster, weder Pflanzen noch Schränke, weder Betten noch Stühle … Der Raum schien leer und war es zugleich überhaupt nicht. Er schimmerte wie der Mondschein und doch strahlte er wie die Sonne. Obgleich sich keine Gegenstände in ihm befanden, schien Magie in ihm zu wirken.

      Sobald sie den Raum betrat, fühlte sie sich gut. Es war ihr so wohlig warm, alles war so rein und vertraut. Sie hätte sich keinen Ort vorstellen mögen, an dem sie jetzt lieber gewesen wäre. Sie war zufrieden mit Allem: Zufrieden mit sich, mit den Menschen und mit der Welt, und hätte sie jemanden getroffen, sie hätte ihm eine Umarmung geschenkt und ihm keinen Wunsch abgeschlagen. Es war, als existierte ein Feuer in ihr, das beständig war und so viel Wärme und Liebe mit sich brachte, dass es für ganze Galaxien reichen würde. Es war also verständlich, dass sie dieses Feuer einfangen wollte. Vielleicht hätte sie das nicht tun sollen, vielleicht wäre es dann anders gekommen … Aber in dem Augenblick, in dem sie es versuchte, entwich es aus ihren Fingern. Als hätte jemand einen Eimer schwarzer Farbe genommen und ihn über ihr ausgekippt, färbte sich der Raum plötzlich dunkel. Das Feuer erlosch, der Friede mit ihm und weg war die Ruhe, die sich doch so angenehm angefühlt hatte …

      Jetzt fror Alexis, sie zitterte am ganzen Körper und verspürte eine solche Angst … Eine Angst vor der Dunkelheit, wie nur Kinder sie haben. Der Raum musste sich verformt haben, denn ein gutes Stück entfernt konnte sie ein kleines Licht ausmachen. Als sie bibbernd nähertrat, wurde ihr klar, dass der Raum zu einem Tunnel geworden war.

      Unsicher hielt sie sich an seinen Rändern fest, um hindurch zu gelangen. Sie steuerte das Licht an, das ihr hoffentlich das schöne Gefühl zurückbringen würde … Mit ihren schweißnassen Händen fuhr sie den Stoff hinunter, der ihren Körper umhüllte. Sie spürte eine Lähmung, es war, als komme sie nicht voran …

      Irgendwann war sie so weit gekommen, dass sie Genaueres sehen konnte. Sie erkannte eine vage Gestalt vor dem Licht, breit gebaut und mit starkem Buckel. Ihr Haar glänzte, jedoch nicht vor Schönheit, sondern weil es fettig war. Fettig und hässlich, und trotzdem so lang, dass es ihr den ganzen Rücken hinunterreichte und beinahe mit dem dunklen Umhang verschmolz.

      Alexis vermutete, dass die Gestalt sie nicht wahrnehmen konnte, ansonsten hätte sie sich schon längst umgedreht. Aber sie blieb still und kam näher, während sie erkannte, was die Gestalt verdeckte.

      Da war kein eigentliches Licht. Es war eine Person, von der das Licht ausging. Sie lag, ähnlich einer Leiche, auf einem schmalen Bett, während das Licht sie umhüllte, oder viel mehr aus ihr heraussickerte.

      Vorsichtig trat Alexis an der buckeligen Frau vorbei zum Fußende des Bettes. Sie betrachtete das weiße Tuch, das auf der lichtbenetzten Person ausgebreitet worden war, als wäre ihre Seele bereits im Jenseits.

      Alexis musterte die schmale, an den Hüften leicht gerundete Statur, die schlanken Finger, die langen schwarzen Haare … Immer heftiger schlug ihr Herz. Wo war denn auf einmal die Luft hin? Warum konnte sie nicht mehr normal atmen? Alexis starrte auf das bleiche Gesicht, die dichten Wimpern und geschlossenen Lider … und hätte am liebsten laut aufgeschrien. Sie hielt sich zurück und presste eine Hand auf den Mund, so geschockt war sie.

      Vor ihr lag … sie selbst. Niemand anders. Sah sie hier ihren eigenen Tod? Sie merkte erst, dass sie zurückgewichen war, als ihr die Entfernung zu der buckeligen Gestalt auffiel. Alexis konnte nicht fassen, dass ihr Körper neben einer schwarzen Hexe lag, während sie selbst kaum mehr als ein Zuschauer war. Das Gesicht der düsteren Gestalt drehte sich in jenem Moment zu ihr, als wollte sie ihr beweisen, dass sie die wache Alexis sehr wohl bemerkt hatte. Gelbe Schlitzaugen ließen ihr einen Schauer über den Rücken laufen.

      Die Frau in dem schwarzen Umhang fing an zu murmeln … Alexis versuchte zu entschlüsseln, was sie sagte, obwohl sie es am liebsten nicht wissen wollte.

      »Bald ...«, sprach die hexenartige Gestalt, »bald bist du mein … Bald wirst du nicht mehr geschützt sein!«

      Als stellten sich tausend Nadeln auf, waren auf einmal Alexis' Arme mit einer Gänsehaut übersät.

      Es waren die gelben Augen und das höhnische Grinsen, das sie als letztes sah, bevor sie aufwachte.

      *

      »Du siehst irgendwie so gar nicht gut aus.«

      Alexis warf ihrer besten Freundin einen vielsagenden Blick zu. »Vielen Dank.« Etwas zu laut stellte sie ihren Kaffeebecher ab, bevor sie den Kopf auf den Tisch aufschlagen ließ.

      »Willst du nicht doch etwas von mir mitessen?« Besorgnis lag in Aprils Stimme.

      Das hatte ihr jetzt noch gefehlt. »Nein, wirklich. Ich … danke, ich weiß, dass du es lieb meinst.«

      Als sie den Kopf hob, musterte ihre beste Freundin sie von Kopf bis Fuß. An ihrem Hals blieb sie mit ihrem Blick ein wenig länger hängen, wo sich, wie Alexis heute früh festgestellt hatte, rote Flecken gebildet hatten.

      April biss sich auf die Lippe, sichtlich beunruhigt. »Hast du schon wieder nicht schlafen können?«

      Es dauerte einen Moment, bis die Worte zu Alexis durchdrangen. Fahrig strich sie durch die dichten Haarsträhnen hindurch. »Hm? Ehm, nein. Diesmal habe ich einfach schlecht geträumt und konnte nicht wieder einschlafen.« Oder wollte es nicht.

      »Weißt du, es könnte helfen, wenn du eine Nacht bei mir übernachtest. Das haben wir doch schon ewig nicht gemacht! Und oft spiegeln Träume unsere Ängste wider, oder das, was uns beschäftigt.«

      Zwar hörte sich Aprils Vorschlag nicht schlecht an, aber ihr letzter Satz war genau das, was Alexis nicht hören wollte. Trotzdem ließ sie sie einfach weiterreden.

      »Wovon genau hast du denn geträumt?«

      »Ich … war an einem schrecklichen Ort, zumindest kam er mir so vor … Und dann habe ich meine Leiche gesehen und eine komische Hexe, die vor diesem toten Ich gebeugt stand und geredet hat … Irgendwas von wegen, dass ich bald ihr gehören werde oder so ...«

      »Die eigene Leiche zu sehen ist natürlich gruselig«, erwiderte April nachdenklich und fasste sich an ihren blauen Ohrring, »aber so schlimm klingt es nun auch nicht.«

      Alexis nickte langsam. »Ja, wenn man es so sagt … Aber ich hatte so eine Angst, April. Es war mehr das Gefühl, das mich nicht mehr schlafen ließ. Es war so … real, ich kann es kaum beschreiben.«

      April strich sachte über Alexis´