Liara Frye

Die Weltenwanderin


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      »Du bist aber spät dran«, erkannte Maya Ercans Stimme wieder, dann kam eine zweite, tiefere dazu, die sanfter und leiser klang.

      »Entschuldige. Es wird immer riskanter, hierher zu kommen ...«

      Maya hörte, wie nun auch Ercan seine Stimme senkte. »Nebenan ist ein Mädchen, das plötzlich in dieser Welt aufgetaucht ist … Ian hält sie für die Weltenwanderin.«

      Eine kurze Stille trat ein. Dann ein dumpfer Aufschlag. Jemand musste etwas abgestellt haben.

      »Erzähl mir im Wohnzimmer mehr davon. Weiß sie, was wir sind?«

      Seine Stimme klang besorgt und sie musste sich anstrengen, um sie überhaupt noch hören zu können.

      »Nein … Und besser, sie erfährt es nicht.«

      Die Schritte entfernten sich, eine Tür schlug zu und Maya war wacher denn je.

      *

      Es war ihr irgendwann gelungen, wieder einzuschlafen, allerdings hatte es einige Zeit gedauert. Viel geruht hatte sie also nicht.

      Das Licht traf ihre Augen völlig unvorbereitet, sodass sie sich reflexartig eine Hand vor die Stirn hielt. Die Sonne schien hell durch ein riesiges, blitzsauberes Fenster. Als sie sich umdrehte, nahm sie das riesige blaue Himmelbett wahr, auf dem sie geschlafen hatte. Was für ein Gästezimmer! Tatsächlich war alles sehr schön eingerichtet. Gelbe und rote Blumen, deren Namen Maya nicht kannte, standen in allen Ecken des Zimmers. Der dunkelbraune Boden glänzte und die silberne Lampe, die einem kleinen Kronleuchter glich, ließ zarte Farbenspiele auf Boden und Wänden entstehen. Doch außer diesen Dingen war nichts in dem Raum, nur das Bett nahm einen großen Teil der freien Fläche ein.

      Maya wollte gerade näher an das Fenster herantreten, eine Hand auf den Mund gelegt, um ein Gähnen zu unterdrücken, als es sachte an der Tür klopfte. Schnell setzte sie sich auf die äußerste Kante des Bettes, in der Erwartung, den grimmigen Ercan wieder zu sehen.

      »Herein«, sagte Maya und ihre Stimme klang viel zu hoch in ihren Ohren.

      Daraufhin öffnete sich langsam die Tür. Der Anblick überraschte sie. Ein Mann von dunkler Hautfarbe streckte sein schmales Gesicht durch den Spalt. Seine dunklen Augen schimmerten neugierig. »Entschuldige die Störung.«

      Da, sie kannte die Stimme … Die Stimme von gestern Abend? Das musste Ercans Mitbewohner sein. Maya erwiderte nichts und der Mann wartete unschlüssig, bis er zu ihr hinein huschte. Er sah so anders aus als Ercan. Seine schokoladenbraune Haut hatte etwas Warmes an sich, das gut zu seinen ebenso braunen Augen passte. Die Haare jedoch waren blond gefärbt und hingen in Rastazöpfen seinen Rücken herunter. Und während Ercan mit seiner stämmigen Figur mächtig Eindruck machte, verlieh die schmale Gestalt dieses Mannes ihm etwas Erhabenes, tatsächlich wirkte er auch einen halben Kopf größer als Ercan.

      Doch Maya versuchte, sich von diesem eindrucksvollen Anblick nicht irritieren zu lassen. Sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Nur weil er sympathisch schien, hieß das nicht, dass sie ihm sofort vertraute. »Wer bist du? Und wo ist Ercan?«

      »Ich heiße Livian. Und Ercan ist auf der Arbeit. Ich könnte dich herumführen, wenn du magst ...« Seine Stimme wurde leiser, als er sah, wie Maya zurückzuckte.

      »Warum bist du auf einmal so ängstlich? Ercan hat mir erzählt, dass du auf ihn ganz anders gewirkt hast. Eher … entschlossen.«

      Maya war sich fast sicher, dass er ein anderes Wort im Sinn gehabt hatte, aber seine Worte führten zum gewünschten Effekt. Sie gab ihre verteidigende Haltung auf und stand langsam auf. »Es ist noch alles sehr neu für mich«, erklärte Maya. Und du verunsicherst mich, wollte sie noch hinzufügen, ließ es aber. Er schien so anders zu sein als Ercan und Ian, die ihr eher feindselig gegenübergestanden hatten. Was wollte Livian erreichen?

      Sie seufzte leise und deutete auf die Tür. »Gut, ein Rundgang wäre nett. Und ein paar Auskünfte vielleicht?«

      Livian zwinkerte ihr zu, bevor seine schmale Hand die Tür aufschob.

      Zuerst wollte er ihr das Äußere des Hauses zeigen. Es sei wichtig für das Verständnis, wie sie lebten. Dort, wo kein Sonnenlicht war, kam ihr alles sehr kühl vor. Schließlich gingen sie hinaus und Maya fand sich in einer Art … Burghof wider. Vor ihr stand ein steinalter Brunnen, der von Efeu überwuchert wurde und vermutlich gar nicht mehr zu verwenden war. Stirnrunzelnd schaute sie hoch. Wie nobel und modern doch alles gewirkt hatte und nun, da sie draußen war, war alles wie im Mittelalter? Maya schmunzelte. Das hatte etwas.

      »Warte.« Livian hielt sie sanft am Ärmel fest, als sie sich aus dem Hof hinausbewegen wollte, um die Burg von vorne zu sehen. »Warte bitte kurz hier.«

      Als er sich umdrehte, bemerkte sie, dass sein langer Zopf nur von einem dünnen Band gehalten wurde, und fragte sich, wie lang es wohl halten würde.

      Livian schien ihr sympathisch, trotzdem wäre das jetzt ihre Gelegenheit, sich auf eigene Faust loszumachen. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie auf keinen Fall in einem Traum gefangen sein konnte. Das hier war wirklich. Echt. Träume konnten nicht so lange dauern. Sie hatte hier bereits zu viel Zeit verbracht.

      Während die Wahrheit zu ihr durchdrang, lehnte sie sich an den defekten Brunnen. Die Sonnenstrahlen küssten sachte ihre Haut, als wollten sie sie beruhigen. Tatsächlich hätte es ein schöner Tag sein können, aber in ihr begann es zu toben. Ein Wirbel aus Emotionen, die ihr zuschrien, wegzulaufen, nach Hause zu kommen. Verzweiflung nagte an ihr. Es kostete sie all ihre Kraft, sich von ihr nicht auffressen zu lassen. Sie musste einige Male tief durchatmen. Das hier mochte real sein, aber das bedeutete nicht, dass sie für immer hier festsaß. Niemand durfte erfahren, wie schwach sie war, also baute sie erneut eine Mauer um sich herum.

      Livian kehrte zurück. Er trug etwas Schwarzes auf seinen Händen.

      »Was ist das?«, fragte Maya und betete, dass man ihr die Panik nicht ansah, die in ihr herrschte.

      Doch Livian antwortete nicht, stattdessen breitete er das große Stück Stoff aus und legte es ihr über die Schultern. »Schieb die Kapuze nach oben, Chérie. Dann wird dich niemand erkennen.«

      Maya tat wie geheißen und zum ersten Mal an diesem Tag schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Einen kleinen Moment lang vergaß sie ihre Angst. »Damit sehe ich ja aus wie ein Dementor.«

      Livian runzelte die Stirn. »Bitte, was?«

      Aber Maya schüttelte nur den Kopf. »Eine Figur in einem Buch … Ist nicht weiter wichtig.«

      Sie gingen auf die Brücke, von wo aus Maya die Burg bewundern konnte. Tatsächlich erinnerten die Zinnen an Hexenhüte, der Stein jedoch war schmutzig und abgenutzt. Nun war es Livian, der ein Seufzen hören ließ.

      »Ercan bemängelt immer meinen Hang zur Unordnung. Er meint, ich sollte mal alles putzen, aber darauf habe ich wirklich keine Lust. Und so sieht alles viel echter aus, nicht wahr? Wie früher. Dafür hält Ercan drinnen alles blitzblank, was mich, offen gestanden, manchmal fast wahnsinnig macht …«

      Sie wischte nachdenklich ihre schweißnassen Hände an ihrer Jeans ab. »Ich habe euch gestern Nacht reden gehört«, sagte sie vorsichtig. »Ihr wollt nicht, dass ich erfahre, was ihr seid.«

      Es war eine Feststellung, keine Frage und Maya spürte, wie Livian sich anspannte, wohl ohne es zu merken, denn er fragte höflich: »Ach wirklich?«

      »Ja«, erwiderte Maya selbstsicher. »Aber ich muss euch enttäuschen, ich habe es schon von Anfang an vermutet. Aber keine Sorge, euer Geheimnis ist bei mir sicher.« Sie lächelte Livian aufmunternd zu, denn seine Miene schien so besorgt.

      Mit einem Mal fiel seine Anspannung ab. »Das ist ja wunderbar! Keine Geheimnisse mehr, einverstanden, kleines Mädchen. So clever von dir ...«

      Doch seine Lobrede wurde unterbrochen von einem lauten Gebrüll, das von dem dichten Gestein widerhallte, als hätte die Burg selbst gebrüllt. Da Maya aufgrund der Kapuze nichts im Augenwinkel wahrnehmen konnte, wollte sie sich gerade zur Seite drehen, um herauszufinden,