Liara Frye

Die Weltenwanderin


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oder aufwachen, dafür sorge ich! Außer, ich packe die Spinnen aus dem Keller, die brauchen mal ein bisschen Gesellschaft ...«

      Als sie Alexis' Gesicht sah, prustete sie los. »Du müsstest dich mal sehen! Keine Sorge, ich lasse sie schon da, wo sie sind.«

      Auch Alexis musste schmunzeln, obwohl sie es nicht annähernd so lustig fand wie April, die immer noch laut lachte. Sie hatte eine Heidenangst vor Spinnen, seitdem ihr Vater es für eine gute Idee gehalten hatte, seinem Kind die Angst zu nehmen, indem er ihr eine Vogelspinne die Hand gesetzt hatte, die daraufhin in ihren Ärmel gekrabbelt war. Nie wieder!, hatte sie sich damals geschworen! Aber als sie näher darüber nachdachte … war das nie passiert. Sie hatte nie eine Vogelspinne mit ihren eigenen Augen gesehen. Sie hatte noch nie bei April übernachtet. Und wo ihr Vater war, das wusste sie auch nicht. Was war nur mit ihr geschehen?

      *

      Der lange Pferdeschwanz wippte von links nach rechts und wieder zurück, immer wieder, während Alexis die Straßen entlang schlenderte. Sie konnte das vertraute Ziehen an ihrem Hinterkopf spüren.

      Sie war auf dem Weg zu April und hatte sich geschworen, nicht mehr weiter darüber nachzudenken, was sie wusste oder was sie nicht wusste. Was sie nicht wusste, war im Moment nämlich um einiges mehr, als sie es für möglich gehalten hätte.

      Die laue Brise strich ihr über das Gesicht und verursachte ein leichtes Gefühl der Schläfrigkeit. Auf dem Rücken konnte Alexis ihren robusten Rucksack spüren, der mit den Schulsachen für morgen gepackt war, sodass sie gleich morgen früh mit April zur Schule gehen konnte, ohne noch einmal nach Hause gehen zu müssen. Sie hoffte inständig, dass ihre Freundin recht hatte und sie bei ihr besser schlafen würde.

      Das Gesicht der komischen Hexe mit den gelben Augen hatte sie noch gut in Erinnerung, aber immerhin verblasste allmählich Milans Gesicht in ihren Gedanken. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht, ob sie jemals verliebt gewesen war. Und sie wusste, dass sie sicher nicht in Milan verliebt war, obwohl sie oft gehört hatte, dass, wenn man oft an jemanden denkt, man automatisch große Gefühle für denjenigen entwickelt. Alexis hielt das für Unsinn und überhaupt zog sie sich gerne vor Leuten zurück, die sie nicht kannte.

      Sie fragte sich, ob die zwei Schüler, die verschwunden waren, genauso gewesen waren. Bestimmt hatten sie Leute, die sich um sie sorgten. Freunde, Familie. Vielleicht besaßen sie auch Haustiere, die jeden Abend auf sie warteten, und das vergeblich. Mit diesen Gedanken stieg Alexis die Stufen aus Stein empor und klingelte an dem Schild, auf dem in geschnörkelter Schreibschrift der Name Scott prangte.

      April hatte ihr schon erzählt, dass manche Briefe nicht angekommen waren und dass das bestimmt an der unordentlichen Schrift ihrer Mutter lag. Susan, die Chaotin, wie ihre Tochter sie oft nannte.

      Bereits in dem Moment, da sie den Gong im Flur des Hauses widerhallen hörte, erklang ein Bellen, das innerhalb von zwei Sekunden immens laut wurde. Als sich die Tür öffnete, stürmte der Hund sofort auf Alexis zu.

      »Billy, zurück! Billy! Tut mir leid, Lexi ...«

      Der Hund hatte sie bereits umrundet, war an ihr hochgesprungen und hatte ihre Hand abgeschleckt, die sie belustigt zurückzog.

      »Ja, mein Guter, ich liebe dich ja auch«, sagte Alexis an den Hund gewandt, streichelte ihn kurz und blickte dann auf. »Kein Problem, Susan. Wo ist April?«

      »Bin schon da!«, hörte sie eine Stimme rufen und dann schob sich April vorbei an ihrer Mutter, um Alexis eine kräftige Umarmung zu verpassen. Die mit Haarspray gestylten Haare trafen auf ihre Wange und kitzelten sie leicht.

      Alexis schielte vorbei zu Susan. Sie hatte ihre Freundin einmal gefragt, warum sie ihre Haare nicht so schön lang werden ließ wie ihre Mutter. Diese hatte geantwortet, dass sie es genau aus einem Grund nicht tat: Sie würde haargenau so aussehen wie sie. Tatsächlich ähnelten die beiden sich sehr stark, sie hatten eine schmale Statur, feuerrotes Haar, trugen gerne enganliegende Sachen und hatten einen Hang zum Chaos, oder wie April sagte, zur künstlerisch ungeordneten Kreativität. Der einzige weitere Unterschied bestand darin, dass April viel kleiner war als ihre Mutter. Ob sie mit ihren 15 Jahren noch wachsen würde? Vielleicht, vielleicht nicht.

      »Und jetzt muss ich entscheiden, welche Begrüßung mir besser gefallen hat? April, dein Hund macht dir Konkurrenz«, meinte Alexis lachend, während sie die Wohnung betrat.

      Der Hund quetschte sich an ihr vorbei und sprintete nach vorne, aber Susan und April kamen ihr gemächlich hinterher.

      »Untersteh dich! Meine Begrüßung war um Längen besser! Weißt du auch warum? Weil ich es war, die dich begrüßt hat!«

      Alexis grinste nur als Antwort und trat in Aprils buntes Zimmer, das, wie es sich vermuten ließ, in vollkommener Unordnung war.

      »Ich habe für dich aufgeräumt!«, verkündete April lachend und ironisch, als sie Alexis' Blick sah.

      »Mhm, Mann, bin ich froh drum. Der Boden ist so frei und schau, wo man sich überall hinsetzen kann! Auf deinem Schrank ist glaube ich noch Platz.« Mit diesen Worten schaufelte sie ein paar Anziehsachen beiseite, ehe sie sich auf das Bett setzte und den Rucksack auf den Boden gleiten ließ.

      »Ich weiß doch, dass du das hier vermisst hast.«

      Nachdenklich nickte Alexis. »Das habe ich wirklich.«

      April hatte sich inzwischen neben sie gesetzt. Ihre Haut schimmerte kontrastreich in einem gesunden Braun, während Alexis' Haut immer kränklich blass wirkte.

      »Und, was machen wir heute?« Alexis warf April einen fragenden Blick zu.

      Das helle Licht der Zimmerlampen ließ Aprils Stacheln aufblitzen. Tatsächlich war es bereits später Abend.

      »Wir gucken etwas, Watson. Auf, rein mit dem Film!«

      »War das eine Anspielung darauf, dass du mal wieder auf den Detektivfilm aus bist, Holmes?«

      »In der Tat, nun warten Sie nicht länger!«

      Schmunzelnd nahm sie die DVD, die April wohl am häufigsten geschaut hatte, und schob sie in den Rekorder. »Ich wünschte, Sherlock wäre jetzt wirklich hier und könnte mir sagen, was in meinem Leben vorgeht. Milan zum Beispiel«, sagte sie, während sie April einen Blick zuwarf, »wo steckt er, nachdem er mich neugierig gemacht hat? Das ist nicht fair. Manchmal habe ich das Gefühl, dass andere mehr über mich wissen als ich selbst. Und das ist ein komisches Gefühl.«

      »Ach, denk nicht weiter über den Idioten nach. Wenn er aufkreuzt, wird er von uns mit Fragen bombardiert, da sollte er sich lieber Zeit lassen mit dem Zurückkommen.«

      Alexis nickte. Sie wusste, dass für April nichts Faules an der Sache war und sie ihn mit einer Grippe im Bett vermutete, aber Alexis wusste, dass dies nicht stimmte. Es konnte einfach nicht stimmen. Trotzdem hielt April zu ihr und das berührte Alexis‘ Herz. Und nachdem ihre Freundin noch einmal hinausgerannt war (sie hatte die Chips vergessen) und sich anschließend neben Alexis hatte plumpsen lassen, drückte sie auf Play. Später würde es eine Nacht sein, in der Alexis zwar nicht lang, aber wirklich gut schlafen konnte.

      *

      »April?«, fragte Alexis schläfrig, während sie ihre Augen rieb. Das Laken war leer und von ihrem Bett gefallen war April auch nicht.

      Alexis war gerade von der Toilette gekommen und hatte das Licht angemacht, doch der Rotschopf war nicht in dem Zimmer. Die Bettdecke war zur Seite geschoben worden, als ob sie bereits aufgestanden war.

      Alexis kniff einmal fest die Augen zusammen und schaute dann noch einmal durch das Zimmer. »April?«

      Mit torkelnden Schritten lief sie durch die Wohnung, als erstes in die Küche, falls sie sich bereits ein Frühstück gönnte. Doch dort war niemand … Da hörte sie plötzlich Schritte.

      »April, da bist du -« Doch mitten im Satz hielt sie inne und starrte Susan Scott an, die sich schick gemacht hatte und mit einem Aktenkoffer vor ihr stehen geblieben war.

      »Weißt du zufällig, wo April ist? Sie ist doch nicht etwa