Liara Frye

Die Weltenwanderin


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wollten sich in ihre Brust bohren, Haare, nein, Fell bedeckte ihr Gesicht. Sie riss die Augen auf, erkannte die Mähne eines Löwen, der halb auf ihr lag, und nach einem weiteren Brüllen kamen seine Fangzähne näher, bald würde er ihr Genick durchbeißen …

      Doch plötzlich wurde der Druck weniger und Maya rang nach Atem. Das Tier hatte direkt auf ihren Lungen gelastet.

      »Was zum Licht machst du mit diesem armen Ding?« Maya blinzelte und atmete ein paar Mal tief durch, bevor sie es wagte, sich hinzusetzen. Doch wo sich der Löwe befunden hatte … war nun Ercan.

      »Was ich mache? Ich dachte, einer von der Regierung wäre hier, der Umhang hat darauf hingedeutet! Ich dachte, sie wollen dich verhaften!«

      »Mich verhaften?« Livian schüttelte den Kopf. »Und dann hättest du den vermeintlichen Gestaltwandler einfach umgebracht, der mit mir geredet hätte? Ich bin enttäuscht von dir!«

      Ercan riss entsetzt die Augen auf, er schien mit sich zu ringen. »Warum sagst du das vor ihr? Sie sollte doch nicht wissen, was wir sind!«

      »Tja, dank deinem Auftritt weiß sie das sowieso. Und nebenbei bemerkt wusste sie schon, was wir sind. Sie hat es mir gerade gesagt, als du auf sie draufspringen musstest!«

      Maya schwirrte der Kopf. Mittlerweile hatte sie sich erhoben, wenn sie sich auch mit der einen Hand den Bauch hielt und mit der anderen das Gewirr aus Haaren durchkämmte. Sie musste wie eine Irre aussehen.

      »Also«, meldete sie sich krächzend zu Wort, »eigentlich habe ich damit etwas Anderes gemeint.«

      Beide Männer fixierten sie. Jetzt, wo sie nebeneinanderstanden, fiel der Gegensatz zwischen ihnen noch mehr auf. Der eine hell, der andere dunkel, der eine kräftig, der andere zart.

      Aber in diesem Augenblick sahen die Beiden sie so zornig an, dass sie einmal schlucken musste, bevor sie fortfahren konnte. »Ich meinte … eigentlich eure … ähm … Beziehung. Es liegt doch auf der Hand, dass ihr beiden ein Pärchen seid. Dass du dich in einen Löwen verwandeln kannst … Nein, sowas habe ich nicht erwartet.«

      Und es stimmte. Schließlich war Livian mitten in der Nacht erschienen und wohnte offenbar auch hier. Sonst hätte er sie niemals rumgeführt und ihr von Ercan erzählt. Außerdem schienen ihr die zwei Männer so gegensätzlich zu sein, dass sie perfekt zusammenpassen würden. Hatten sie wirklich gedacht, Maya würde keine Vermutungen anstellen?

      Ercan und Livian sahen sich verblüfft an, aber der Zorn war offenbar noch nicht verraucht.

      »Ich weiß nicht, was euer Problem ist. Aber ich lasse euch jetzt allein, bevor mich nochmal jemand von euch zu Boden haut.«

      Sie machte auf dem Absatz kehrt, als Ercans eisige Stimme zu ihr hinüber wehte. »Es hatte einen Grund, dass Livian deine Gestalt verdeckt hat, Mädchen.«

      Abrupt blieb sie stehen, ehe sie ihre Hände zu Fäusten ballte. »Und zwar?«

      »Ganz einfach: es darf dich niemand sehen! Wir alle wissen in dieser Stadt voneinander, dich jedoch kennt keiner. Du würdest Aufsehen erregen. Und unsere Regierung wäre nicht so erfreut, wenn sie feststellen müsste, dass die Weltenwanderin hier herummarschiert.«

      »Ich dachte, du glaubst nicht daran, dass ich es bin?«

      »Es ist aber nicht ausgeschlossen.«

      Maya drehte sich langsam zu den beiden Männern um. »Ich dachte, diese Wanderin würde euch Frieden bringen, indem sie die Welten vor einer Kollision bewahrt?«

      Ercan nickte steif. »Das stimmt. Aber … es ist kompliziert. Manche von uns suchen nur nach einem Grund, um die Menschen auszulöschen. Wenn wir sie zuerst zerstören, wie können wir dann vernichtet werden? Und … es gibt noch jemanden, dem du nicht in die Hände fallen solltest.«

      Als Maya nichts sagte, meldete sich Livian mit seiner ruhigen Stimme zu Wort. »Egal, was du uns glaubst oder nicht, du bist bei uns im Moment sicherer als irgendwo anders.«

      »Nein, das glaube ich nicht.« Ihr wurde auf einmal kalt ums Herz. »Zuhause wäre ich am sichersten.«

      Da tauchten Bilder in ihrem Kopf auf. Bilder von ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder, wie sie gemeinsam am Esstisch saßen. Wie sie Leo durchkitzelte, weil er eine Wette verloren hatte. Sie dachte an die Leinwände, die sie noch mit Farbe beklecksen wollte. Und sie dachte an ihre Freunde in der Schule, die jetzt viel weiter weg waren als je zuvor.

      Als könnte es etwas bewirken, legte sie die Arme um sich. Doch dies war eine andere Kälte. Sie kam von innen.

      Ercan wollte etwas erwidern, doch Livian hielt ihn zurück. »Ich glaube nicht, dass du einfach so wieder zurückkannst. Deine Fähigkeiten sind noch nicht ausgereift.«

      »Und ich bezweifle, dass du überhaupt weißt, wie du hierhergekommen bist«, fügte Ercan hinzu, worauf Livian ihm einen Stoß mit dem Ellbogen verpasste.

      »Ist doch wahr, schau sie dir an! Sie weiß gar nichts über uns! Schön, sie hat gemerkt, dass wir zusammen sind – ich möchte dir auch raten, das für dich zu behalten, Mädchen! Aber sie weiß rein gar nichts über unsere Rasse, über die Gefahren hier … Sie weiß noch nicht mal, ob und welche Fähigkeiten sie hat.«

      Wie durch einen Schleier nahm sie die Umgebung um sich herum wahr. »Ich dachte, ich weiß, wer ich bin«, sagte sie mit brüchiger Stimme und verstummte dann. Sie wollte nicht schwach wirken. Nicht vor Leuten, die sie kaum kannte.

      Sie räusperte sich. »Wenn mich hier noch einmal irgendwer Mädchen oder Kleines nennt, setzt es was. Ihr könnt mir alles zeigen, was ich wissen muss. Und wenn ich hier nicht hergehöre, wovon ich überzeugt bin, werde ich schon bald verschwunden sein.« Das hoffe ich jedenfalls.

      »Komm, Maya.« Livian streckte eine Hand nach ihr aus und Maya machte einen Schritt und ergriff sie. »Du hast bestimmt Hunger. Es war ganz schön viel auf einmal für diesen Morgen.« Widerwillig ließ sie sich wieder hineinführen.

      Kapitel 4

       Alexis

      Wenn man etwas anstarrt, dann meist aus Bewunderung oder Staunen. Manchmal ist es auch aus Verliebtheit oder Nachdenklichkeit.

      Aber bei Alexis war es mehr als Nachdenklichkeit, und die Decke war auch nicht sonderlich bewundernswert. Seit Stunden lag sie wach in ihrem Bett und konnte nicht schlafen. Schließlich hatte sie das Licht angemacht und die weiße Zimmerdecke angestarrt, die immer noch genauso aussah wie vor drei Stunden. Auf die Decke jedoch kam es nicht an, vielmehr darauf, dass sie einfach keine Lösung finden konnte.

      Es waren Milans Worte, die ihr durch den Kopf gingen. Wieder und wieder. Und obwohl es so unlogisch klang, waren es wahre Worte. Wie konnte es sein, dass sie urplötzlich in eine neue Klasse ging, obwohl sie sich an die vergangene Zeit erinnerte? Warum sah sie plötzlich wieder und warum wusste Milan mehr als sie, die ja wohl eher betroffen war als er?

      Es ergab alles keinen Sinn und sie musste sich eingestehen, dass sie Milan treffen und mit ihm reden musste. Nach dem Kinobesuch war er so schnell weg gewesen, dabei schien er doch Antworten zu haben … Die Veränderungen machten Alexis Angst. Sie vertraute nun viel öfter auf ihre Sehkraft als auf ihren sechsten Sinn. Aber wenn es stimmte, dass Milan mehr über sie wusste, dann würde sie morgen alles erfahren … Alles …

      *

      »Das kann ja wohl nicht wahr sein! Ich fasse es nicht!« Alexis rieb sich die brennenden Augen.

      »Hey, was hast du? Schon die ganzen Englischstunden warst du so aufgedreht und neben der Spur. Normalerweise liebst du das Fach doch?« Ihre Freundin klang mehr als besorgt.

      Aber Alexis schüttelte den Kopf. »Milan ist nicht da.«

      »Ja, und? Stehst du auf einmal auf diesen Idioten, oder was ist los?«

      »Nein, ich … kann es schlecht erklären. Ich brauche Antworten von ihm. Das lässt mich die ganze Zeit nicht los,