musste mit jemandem über die Sache reden. Brenda wäre vermutlich die falsche Ansprechpartnerin gewesen. Ihrer Reaktion neulich im Café wegen der Tischdeko nach zu urteilen, hielt sie das Geschehene noch immer in seinen Klauen.
Deshalb fuhr ich zur Videothek.
„Noah, wir müssen reden“ sagte ich und zog ihn zur Theke.
Dann versicherte ich mich, dass uns niemand zuhörte. Der Laden war leer, nur Jacob stand hinter der Theke. Mit einem Handzeichen wies Noah ihn an woanders hinzugehen, worauf er einige Meter entfernt DVD´s und Blu – Ray´s einsortierte.
„Worum geht’s?“ fragte mein Mann.
Ich zeigte ihm den Brief.
„Du willst dich nicht wirklich bei diesem Mann melden, oder?“
„Das habe ich bereits.“
„Du hast was?“ fragte Noah entsetzt. „Wir waren uns doch einig, die Sache hinter uns zu lassen. Wann ist der Termin?“
„Morgen.“
„Okay, ich komme mit.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das musst du nicht.“
„Mich geht die Sache auch etwas an, Jake.“ Er nahm meinen Kopf in seine Hände. „Du gehst da nicht alleine hin.“
Die folgende Nacht schlief ich unruhig. Die traumatischen Erlebnisse in Miss Kaminsky´s Haus verfolgten mich. Im Traum war ich wieder dort, in der 29. Straße.
Linda stand neben mir, ihr Genick war bereits gebrochen. Miss Kaminsky würgte den Hals meines Mannes. Dessen Gesicht lief blau an. Die Karten des Omega – Ordens flogen durch die Gegend. Brenda kam hereingestürzt, lief auf ihre Freundin zu und leckte ihr das Blut von ihrem verletzten Hals. Dann knackte etwas.
Ich sah zu Noah. Er lag tot auf dem Boden.
Miss Kaminsky kam mit den Worten „Jetzt bist du dran!“ auf mich zugerannt.
Dann stürmte John Jones herein. Mit einer magischen Geste zog die alte Frau ihm die Waffe aus der Hand, zielte auf den Detective und drückte ohne zu zögern fünf Mal ab. Dann spürte ich ihre kalten Hände um meinem Hals.
Ich schrie.
„Oh mein Gott, Jake. Was ist los?“ fragte Noah besorgt.
Er streichelte mir über die Stirn. „Du schwitzt total. Hast du Fieber?“
Schwer atmend versuchte ich mich zu beruhigen.
„Ich hatte einen Albtraum. Wir waren in dem Haus der Kaminsky. Sie hatte dich ermordet und wollte...“
Ein schwerer Kloß legte sich auf meine Stimme und ich begann zu weinen.
Noah umarmte mich fest.
Ich ließ den Tränen freien Lauf.
Sie war wieder da.
Die Angst vor dem Bösen.
Kapitel 5: Dr. Warner
Noah riet mir, als ich mich beruhigt hatte, Evelyn Warner anzurufen – meine ehemalige Therapeutin.
„Wann hast du diesen Termin?“ fragte sie mich am Telefon.
Während der Therapie hatte ich ihr das Du angeboten, sie bestand jedoch darauf, dass ich sie weiterhin siezen sollte, um die Professionalität zu wahren.
„Um vierzehn Uhr“ antwortete ich.
„Dann komme um zwölf zu mir, da habe ich Mittagspause, aber die muss heute ausfallen.“
Ich bedankte mich bei ihr für den neuerlichen Termin und legte auf.
„Soll ich mitkommen?“ fragte Noah.
Ich verneinte, versprach ihm aber, dass er mich um vierzehn Uhr zu dem Termin mit Dr. Snider begleiten durfte.
Die Praxis von Dr. Warner lag hinter dem Stadtbrunnen.
Die Sprechstundenhilfe Angie bat mich in das Behandlungszimmer. Es war lichtdurchflutet und sehr hell eingerichtet. Die weißen Vorhänge gingen bis zum hellen Parkettboden. Ich nahm auf einem der beiden mintfarbenen Kunstledersessel Platz.
Nach fünf Minuten kam Evelyn Warner herein. Eine große, schlanke Frau mit blonden Locken. Sie hatte ebenfalls wie ich grüne Augen. Sie trug meistens ein cremefarbenes Oberteil und einen beigefarbenen Rock. So auch an diesem Termin.
„Jake, lange nichts mehr von dir gehört. Als unsere Therapie vor drei Monaten endete, dachte ich eigentlich, du hättest das Trauma überwunden. Aber anscheinend ist dem nicht so. Du hast am Telefon von einem Traum erzählt und von dem Anwalt, zu welchem du gleich hingehen möchtest,
Dr. Snider, nicht wahr? Aber der Reihe nach.
Erzähle mir bitte von Anfang an, was genau geschehen ist.“
Ich berichtete ihr von dem Brief des Erbverwalters und meinem Traum in der darauffolgenden Nacht. Dr. Warner blätterte kurz in ihren Notizen.
„Damals hattest du mir erzählt, dass Miss Kaminsky euch umbringen wollte. Du hattest die Beschreibung unnatürliche Kraft benutzt, mit der sie euch attackierte. Nun hast du in dem Traum eine Variante erlebt, die hätte ebenfalls eintreffen können.“
„Aber das liegt über zwei Jahre zurück“ wandte ich ein.
„Dein Unterbewusstsein vergisst nie, Jake.“
Ich seufzte.
„Der Brief von Dr. Snider hat irgendetwas in dir ausgelöst – eine panische Angst, dass sich alles wiederholen könnte. Aber du weißt, dass dies nicht der Fall sein wird, oder?“
Ich nickte.
„Was wäre das schlimmste, was dir bei dem Termin geschehen könnte? Was wäre dein worst case?“
Nach kurzer Überlegung sagte ich: „Das der Anwalt mir verkündet, dass Omega zurückgekehrt ist.“
Evelyn Warner notierte sich etwas.
„Richtig. Doch die Anführerin des Ordens ist tot. Bereits seit über zwei Jahren, wie du sagtest. Also ist eine Rückkehr des Ordens so gut wie ausgeschlossen. Und warum sollte ein Anwalt sich um solche Belange kümmern?“
„Ich habe mir noch mal den Brief von Leander durchgelesen. Dort stand, Noah und ich hätten die weiße Magie unserer Eltern geerbt.“
Die Therapeutin rückte sich eine Strähne zurecht. „Das wusste er oder vermutet er das nur?“
„Ich weiß es nicht, aus dem Brief geht das nicht hervor.“
„Nun gehen wir mal in eine andere Richtung. Was bewegt der Tod von Mr. Carl in dir?“
„Nichts, glaube ich jedenfalls. Er ist mitschuldig an dem Tod unserer Eltern. Ich empfinde keine Trauer oder so.“
„Gut. Erzähle mir von deinem aktuellen Beziehungsstand.“
Ich berichtete ihr von den Problemen mit Jacob. Geduldig hörte sie mir zu.
„Das wirft deinen Traum in ein anderes Licht. Du hattest geträumt, Noah würde ermordet werden, also, dass er aus deinem Leben verschwindet. Deine Eifersucht auf die Aushilfe – Jacob – hat diesen Traum vermutlich ausgelöst und nicht der Brief des Anwaltes.“
„Also denken Sie nicht, dass es wieder von vorne los geht?“
„Nein, Jake. Du hast einfach Angst davor, deinen Mann zu verlieren. Ich habe ja Noah während deiner Therapie kennengelernt. Meiner Einschätzung nach ist er nicht der Typ der fremdgeht.“
Das beruhigte mich etwas, schließlich sah eine Therapeutin das Wesen hinter einer Person.
Nach einigen beruhigenden Atemübungen verabschiedete ich mich bei ihr. Ich fühlte mich nun stark genug für den Termin mit Dr. Snider.
Noah