Rainer Zak

Der lange und der kurze Weg


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Film bin und verbreche ist zu 50% Maske plus Kostüm, zu den anderen 50 % ist es die Performance und zu 0% bin ich es selbst.“

      Für einen Moment vergaß Ilona ihren Auftrag, denn sie spürte, dass er sich ihr gegenüber nicht verstellte. Er suchte nicht nach wohlformulierten und druckreifen Plattitüden, um diese irgendeiner Interviewerin in das Notebook zu diktieren. Alles, was er wollte, war, sich von dem Druck der klischeehaften Rolle zu befreien, sich einer Frau gegenüber unmissverständlich aber aufrichtig zu offenbaren.

      Ilonas unterkühlte Selbstsicherheit begann zu flattern und die Alarmglocken klangen nur noch wie aus weiter Ferne.

      „Pass auf, Ilona, das ist genau die Masche wie in seinen Filmen! Und wenn er in dir sein nächstes Opfer sucht?“

      Sie riss sich zusammen.

      „Aber es heißt doch, zu der wirklich brillanten Darstellung eines Schauspielers gehört, dass er die Rolle lebt.“

      Obwohl sie sich selbst eine große Portion Misstrauen und Angriffsfreude schuldig war, erschreckte sie sogleich über ihre eigenen Worte und bereute sie sofort. Denn er zeigte sich sichtlich getroffen, zog sich augenblicklich und deutlich spürbar zurück.

      „Wo haben Sie denn diesen Quatsch aufgeschnappt? Vielleicht gibt’s mal den einen oder anderen Kollegen, bei dem mir dieser Gedanke auch nicht fremd ist.

      Für mich kann ich nur sagen: ich liebe die Frauen, aber ich benutze sie nicht.“

      „Aber warum stellen Sie sich dann für die Rollen solcher Frauenvernichter zur Verfügung?“

      „Nennen Sie es Karrieregeilheit oder Existenzangst. Sie haben mit Ihren Bedenken schon recht; diese Rollen waren zuletzt für mich unerträglich; ich bereue sie sehr. Auch wenn ich wenigstens inzwischen meine horrenden Schulden aus früheren Jahren dadurch abtragen konnte.“

      Ilona hakte sofort erleichtert ein.

      „Dann hätte Ihnen ja wohl auch das Geld zum Frauenködern gefehlt!“

      Da erst merkte sie, dass sie die Rolle der alles verstehenden Anwältin bei ihm eingenommen hatte; die zweifelnde Journalistin war anscheinend irgendwann in den letzten Minuten in der Versenkung verschwunden.

      „Hoffentlich hat er es nicht bemerkt!“ ging es ihr durch den Kopf.

      „Langer Rede, kurzer Sinn“, schloss er ab, „unter das Ganze mache ich in zwei Monaten einen Schlussstrich und wechsele zum Theater, zur klassischen Bühne. Das tut einfach gut und ich kann dann zum Beispiel im echten Leben einfach mal eine aufregende Frau fragen: Haben Sie nach dem Interview Zeit für mich?“

      Ilona blickte von ihrem Notebook auf, überlegte kurz und sah ihn erstaunt an.

      „Ach“, warf sie ein, Sie haben heute noch ein weiteres Interview?“

      Sie hatte den Sinn seines letzten Satzes nicht verstanden; vor allem hatte sie nicht verstanden, dass seine Frage ihr selbst galt.

      Er klopfte auf ihr Notebook, zog ihre Hand von der Tastatur weg zu sich hin und wurde deutlicher.

      „Wenn Ihr Notebook Pause macht, möchte ich Sie zu einem Besuch im Filmstudio einladen, am liebsten noch heute. Eine der letzten Chancen, mich als den Bösewicht der Frauenwelt zu erleben.“

      Noch unentschlossen hielt sie sich mit der rechten Hand am Notebook fest, während er ihre andere Hand immer noch nicht losgelassen hatte.

      „Ich glaube“, -sie kam aus dem Staunen über sich selbst nicht heraus-, „ich glaube, die Pause hat schon begonnen.“ Dann klappte sie das Notebook zu.

      III.

      Julius hatte dafür gesorgt, dass die Präzision ihrer Wahrnehmung heute schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Davon zeugte nicht nur, dass seine Einladung erst im zweiten Anlauf zu ihr durchgedrungen war.

      Der gemeinsame Rückweg zu ihrem City-Flitzer wurde eine kleine Odyssee zwischen Suchspiel und Schnitzeljagd; Ilona hatte im Gewirr der Altstadtgassen die Orientierung verloren.

      Julius aber nahm dies nicht zum Anlass, sich darüber lustig zu machen, sondern spendete ihr Trost mit seinen Worten und seinen Händen, bis sie überraschend über den gelben Flitzer stolperten.

      Aber als sich beide in den Kleinwagen gezwängt hatten, machte sich der Wagenschlüssel selbstständig und verschwand im Pedalraum. Bevor sie Julius daran hindern konnte, hatte er sich über sie gebeugt und angelte mit einer Hand nach dem Schlüsselbund.

      Jedoch sein erster Fund zwischen Gashebel und Bremse war ganz anderer Art.

      Sie spürte seine Hand, die sich vom Knöchel her hinaufschob und unter ihrem Rock den Weg bis weit über das Knie fand, wo sie zum Halt kam. Sein Griff war sanft und besitzergreifend zugleich.

      „Haben Sie gefunden, was Sie suchen?“ fragte sie lächelnd.

      „Aber ja“, antwortete er, „Suchen ist eine meiner großen Leidenschaften. Es fällt mir häufig schwer, so ganz einfach damit aufzuhören.“

      „Die Schlüssel!“ murmelte Ilona.

      Er verstand dieses Signal; die Suche hatte ein Ende gefunden!

      Auf dem Weg ins Studio versuchte Julius anscheinend, diese kleine Zurückweisung zu verarbeiten. Er hielt ihr einen Vortrag über den Kleinwagen als dem größten Feind der Erotik.

      „Zu nichts taugt er, wenn es darum geht, die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau enger zu gestalten! Von Anfang bis Ende: es taucht ein Hindernis nach dem anderen auf!

      Eine erste spontane Begegnung des Paares scheitert daran, dass Frauen sich in solchen Kisten nicht trauen Männer als Anhalter mitzunehmen.

      Wenn man sich dann aber schon näher gekommen ist, möchte man keine Gelegenheit zum Knutschen auslassen.

      In diesen Sardinenbüchsen aber verlässt einem dazu das Verlangen, wenn im entscheidenden Moment der Zärtlichkeit der Ellbogen mit dem Lenkrad kollidiert.

      Über die ausbleibende Lust beim herbeigesehnten Schenkelverschränkungsspaß brauch ich ja wohl kaum viele Worte verlieren.“

      IV.

      Im Filmstudio schleuste er sie problemlos in seine Garderobe ein.

      „Sie wollen’s doch so authentisch wie möglich?“ suchte er bei ihr die Absolution für diese Zumutung, die er ihr damit bot. Denn das Chaos, welches sie durchschritt und in dem sie auf einem blanken Hocker Platz nahm, hatte Charme, aber wohl nur für ihn. Es schien so, als gestalte er auf diese Weise eine ganz besondere Art von Ordnung, denn mit nur einem Griff fand er jeweils die Utensilien, welche er genau in diesem Augenblick brauchte.

      Ilonas Faszination wuchs in dem Maße, wie seine unprätentiöse Art des Umgangs mit den Dingen für sie Gestalt annahm.

      Sie dachte zurück an seinen witzigen Verriss der Kleinwagen-Erotik. Mittlerweile konnte sie nicht mehr glauben, dass er damit wirklich seine eigene Auffassung wiedergegeben hatte. Solch ein Auto ermöglichte nämlich in Wirklichkeit ein großes Maß an Intimität, war ein Ort der Nähe und der Vertrautheit.

      Für sie beide wäre ihr Mini sicher das wunderbarste Liebesnest geworden, wenn sie ihn einfach aufgefordert hätte, den Weg seiner Hand ungehindert fortzusetzen und weit über ihr Knie hinaus sein zärtliches Spiel voranzutreiben.

      Das Licht in der Garderobe war grell und lästig.

      Julius hatte damit begonnen sich in den älteren Herrn zu verwandeln, der in seiner Rolle gnadenlos Schrecken bei Frauen verbreitete. Zuvor aber entledigte er sich seiner privaten Attribute, und ohne dass Ilona davon überrascht war, gehörte dazu auch seine gesamte private Kleidung.

      Unbefangen wand er sich ihr zu und ebenso unbefangen betrachtete sie ihn, lächelnd und mit Wohlgefallen. Seine Schultern, seine mäßig behaarte Brust, schließlich seine Hüften mit seiner schwach pendelnden Rute im Zentrum.

      Sie verzichtete darauf, ihm zu sagen, wie sehr er ihr gefiel. Denn sein Blick