Andreas Nass

Krisheena - Tor zum Abyss


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hatte die Ohren gespitzt als lauschte er auf eine Stimme, die von weiter Ferne zu ihm sprach.

      »Was ist, was hast du?«, fragte ich.

      »Dieser Ort wurde entweiht«, betonte er, »wir müssen hineingehen!«

      Er wusste sicherlich mehr, als seine knappen Worte preisgaben, aber ich war neugierig genug, es herauszufinden.

      Sehr vorsichtig traten wir durch den Bogen. Zunächst nahm ich die Umrisse der Wände mit meiner Dunkelsicht wahr, in helle und dunkle Schattierungen gehüllt. Dann spürte ich genauso wie die anderen eine Präsenz und vernahm ein für mich unverständliches Stimmenwirrwarr. Es klang nach Beschwörungsformeln, alt und lange vergessen, selbst für meine Fähigkeit, intuitiv andere Sprachen zu verstehen und auch sprechen zu können.

      Wir mussten nicht weit gehen, bis sich aus dem Felsen die Reste eines Ganges schälten, der in weit besserem Zustand war, als der Torbogen in der Schlucht. Ganz schwaches, rötliches Glimmen veränderte die Sichtbedingungen. Nun waren deutlich verblichene Verzierungen an den Wänden und auf dem Boden zu erkennen. Ich befand mich inmitten der Gruppe, Wogar trieb sie voran und sah wohl als erster die zwei in Flammen gehüllten Gestalten, die um ein Becken mit Feuer wanderten und einer uns unbekannten Gottheit huldigten. Sie befanden sich in einem weitläufigen Raum, von dem weitere Gänge abgingen und der von einer schwarzen Sonne auf dem Boden dominiert wurde.

      Die Krieger stürzten sich auf die vermeintlichen Priester, die schnell bezwungen wurden.

      Unser Weg führte weiter und endete vor einer Schlucht, einem Riss im Boden, der weiter in die Tiefe führte, als unsere Sicht reichte. Ein Raum wurde so getrennt. Etwa dreißig Schritte entfernt befand sich ein Podest mit leuchtendem Kristall, in dessen Innerem ein Schwert schwebte. Wogars Augen leuchteten bei dem Anblick. Ich sah auch die beiden Steinfiguren mit ihren teuflischen Fratzen neben dem Podest. Golemwächter. Bewegungslos starrten sie aus steinernen Augen in unsere Richtung. Aber das würde sich bestimmt schnell ändern.

      Während die anderen über aneinander geknüpfte Seile spekulierten, sah ich Wogar ernst an.

      »Ist es das Schwert dort, was du willst? Ist es das?«

      »Ja!« Seine Antwort kam voller Inbrunst, aber er schien mich nur von Ferne zu hören. Jemand sprach mit ihm, nur er konnte es hören. Sein Blick war ganz auf das Schwert gerichtet, so kam ich zu dem Schluss, dass der Krieger gerufen wurde.

      »Ich werde dir das Schwert herbeiholen, Wogar. Aber dafür bist du mir etwas schuldig, hast du mich gehört?«

      Mit verklärtem Blick sah er nun zu mir. »Hol es, wenn du es kannst!«

      Lächelnd löste ich die Bänder meiner Lederrüstung, zog sie aus und gab sie Wogar.

      »Halt das«, erklärte ich ihm und machte dann fortscheuchende Bewegungen mit meinen Händen.

      »Macht mir ein wenig Platz!«

      Dann sah ich wieder zu Wogar, konzentrierte mich auf meine natürliche Gestalt, gab meinem Willen Kraft und meinem Körper Form. Zunächst kippte ich den Kopf zur Seite. Die Muskelstränge am Hals traten hervor. Mein Oberkiefer zog den Kopf nach hinten, weitete meinen Mund und mit einem Fauchen schoben sich meine Fangzähne hervor. Ich spürte das Brennen in meinen Augen, wie die violette Iris in Feuer entflammte, dem Feuer des Abyss. Krampfartig zogen sich meine Finger zusammen, wuchsen meine Fingernägel zu Klauen, lang, geschmeidig, tödlich. Aus meinem Steiß schoss der lange Dämonenschwanz mit seiner gezackten Spitze hervor. Dann breitete ich die Arme aus, beugte mich vor und musste einen keuchenden Laut von mir geben, während sich aus meinem Rücken die ledrigen Flügel schoben, knackend Knochen eine neue Form annahmen und mir so die Fähigkeit verliehen, zu fliegen.

      Ich spannte meine fledermausartigen Schwingen zur vollen Größe aus, drehte mich zum Orkkrieger und nahm sein Kinn in die Hand. Seine Augen waren staunend weit geöffnet.

      »Zeit für Überraschungen. Ich freue mich schon auf unsere gemeinsame Nacht!«, triumphierte ich und küsste ihn.

      Dann machte ich einen Satz, fühlte den Wind über meine Haut streifen und sich unter den Schwingen sammeln. Muskeln zogen sich zusammen, stemmten sich gegen die Kraft der Luft, hoben mich an und gaben mir Auftrieb.

      Nach wenigen Flügelschlägen war ich der gegenüber liegenden Raumseite sehr nahe und sah, was ich schon erwartet hatte: die steinernen Golemwächter erwachten zum Leben und erhoben sich dank ihrer Flügel in die Luft. Sie näherten sich mir, woraufhin ich umdrehte und zurück zu meiner Gruppe flog.

      »Es ist nicht so einfach, wie ich mir das gedacht habe«, sagte ich an alle gewandt, »habt ihr vielleicht etwas dabei, was wir gegen die Viecher zum Einsatz bringen können?«

      »Hm, mal sehen«, grummelte Torvac und alle kramten in ihrer Ausrüstung. Nachdem sich schon einige Gegenstände um uns verteilten, hörte ich Wogar überrascht grunzen.

      »Hier, Crish«, sagte der Halbork und hielt mir mehrere Gefäße entgegen, »das ist Alchimistenfeuer. Ich wusste gar nicht, dass ich die noch in meinem Rucksack hatte.«

      »Ohne Zündstoff nutzen sie uns nichts, aber mir kommt da gerade eine Idee. Wer von euch kann gut werfen? Moi’ra, du bist doch sehr geschickt. Meinst du, du triffst die Wesen von hier aus? Es reicht, wenn sich der Inhalt über sie verteilt.«

      Sie überlegte kurz und nickte zustimmend. »Keine Sorge, aber was nutzt es, wenn die Flüssigkeit an ihrer Haut klebt? Wir haben keine Fackeln dabei.«

      »Das lass mal meine Sorge sein«, zwinkerte ich verschwörerisch und brachte mich in Startposition.

      Ich flog wieder auf die andere Seite und scheuchte dadurch die Wächter auf. Moi’ra holte aus und warf die Flakons mit dem Alchimistenfeuer auf die Wesen. Die klebrige Flüssigkeit verteilte sich wie geplant auf der steingrauen Haut. Im Gleitflug sammelte ich meine geistige Energie, schnippte mit den Fingern und löste so mehrmals hintereinander kleine Flammen von meiner Klaue in Richtung der Wesen. Sie trafen und entzündeten so deren Leiber. Auch wenn wir sie nicht verbrennen konnten, so wurden sie durch die Hitze geschwächt. Mit der Kraft meines Geistes schärfte ich meine eigenen Klauen für kurze Zeit. Diese reichte, um wie eine Furie über die zwei Wächter herzufallen und sie zu vernichten. Ihre gemarterten Körper stürzten in die Dunkelheit.

      Weil das Schwert eine so starke Anziehung auf Wogar ausübte, hatte ich Bedenken, die Waffe mit meinen Händen zu berühren. Während meiner Ausbildung hatte ich von Waffen gehört, die nur einem bestimmten Krieger dienten und allen anderen, die sie ergriffen, große Schmerzen zufügten oder sogar töteten. Daher befestigte ich vorsichtig ein Seil am Schwertknauf und zog es aus der leuchtenden Säule. Behutsam flog ich zurück und überreichte dem Halbork mein Geschenk. Ehrfürchtig nahm er die Klinge entgegen und hatte nur noch Augen für sie. Derweil sah ich mich auf der anderen Seite der Schlucht um.

      Zu beiden Seiten der gegenüberliegenden Plattform ging jeweils ein weiterer Raum ab. Dort fanden sich interessante Gegenstände, vermutlich Beutestücke gescheiterter Abenteurer, die wir untereinander aufteilten. Ich behielt einen reichlich verzierten Krummsäbel, der mir sehr gefiel. Er lag leicht und elegant in meiner Hand. Von nun an nutzte ich ihn als meine Lieblingswaffe. Wie sich bald herausstellte, trug er eine Kampfverzauberung, was zudem die Klinge vor Witterungseinflüssen schützte, und hatte die Fähigkeit, eine magische oder klerikale Zauberwirkung aufzunehmen, die ich auf meinen geistigen Befehl hin auslösen konnte.

      Ein rostfarbener Beutel wanderte ebenfalls in meinen Besitz. Im Volksmund wurde er Trickbeutel genannt. Aus ihm konnte ein kleines Wesen gezaubert werden, indem man eine kleine, haarige Kugel hinausnahm und sie zu Boden warf. Begeistert erprobte ich den Gegenstand und quietschte vergnügt, als sich das lebendig gewordene Fellknäuel über den Boden bewegte. Moi’ra schüttelte in Anbetracht meines kindischen Verhaltens nur abschätzig den Kopf.

      Wir verließen den Tempel und wanderten durch die Dämmerung, bis wir bei Einbruch der Nacht die Schlucht hinter uns lassen konnten. Dort schlugen wir das Lager auf und Torvac musste diese Nacht auf mich verzichten – Wogar leistete seine Bezahlung, bis er sich nicht mehr rühren konnte.