Erich Hübener

Die Beichte eines Kindermädchens


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es wird sicher etwas dauern, bis die hier sind.“

      Sie bogen am Forsthaus links ab und erreichten nach etwa 3oo Metern den Platz unterhalb der Teufelskanzel. Auf der Feuerstelle lag bäuchlings ein lebloser Frauenkörper. Das lange blonde Haar auf ihrem Rücken sah aus wie ein goldener Wasserfall. Walter schauderte. Er hatte in seiner Dienstzeit schlimmere Bilder an Tatorten gesehen. Es sah fast friedlich aus, aber es hatte etwas Diabolisches. Es erinnerte an Hexenverbrennungen aus dem Mittelalter. Aber doch nicht heute und hier. Er ging in einem großen Bogen um den Fundort herum, um keine Spuren zu verwischen. Dabei fiel ihm eine Platzwunde am Kopf der Toten auf.

      „Kann sie hier herunter gestürzt sein?“, fragte Walter und zeigte mit der Hand nach oben zur Teufelskanzel.

      „Ja, das kann durchaus sein“, antwortete Schuster, „dabei könnte sie sich auch die Kopfverletzung zugezogen haben.“

      „Oder jemand hat sie umgebracht und sie dann hierher gelegt, damit man genau das denken soll“, entgegnete Walter.

      „Kennen Sie die Tote eigentlich?“

      „Natürlich, die kennt hier im Ort jeder. Das ist Olga. Sie ist, oder besser gesagt, sie war das Kindermädchen bei Fischers, der Spedition im Industriegebiet.“

      „Warum brauchten die ein Kindermädchen?“

      „Na, wegen Saskia und Max, den zwei kleinen Kindern. Elvira, ich meine Frau Fischer, arbeitet nämlich in der Firma mit. Sie erledigt im Büro den ganzen Schreibkram. Und da ist es ihr irgendwann einfach zu viel geworden mit Haus und Büro und zwei Kindern. Und leisten können sie es sich ja. Der Betrieb läuft gut, fahren viel ins Ausland, sogar bis nach Russland.“

      „Wie lange war Olga denn schon bei Fischers?“

      „Schon ein paar Jahre.“

      Langsam kroch die kühle Herbstluft die Hosenbeine hinauf. „Ich war gestern schon einmal hier. Allerdings da oben“, sagte Walter und zeigte zur Teufelskanzel hinauf. Schuster reagierte gar nicht. Er blickte wie versteinert auf die Tote. Endlich kam die Spurensicherung. Es waren drei Männer in weißer Schutzkleidung mit allerlei Koffern und Gerätschaften. Sie nickten nur zum Gruß und machten sich an die Arbeit.

      „Sie haben hier nichts angefasst?“, fragte der Chef der Truppe.

      „Natürlich nicht“, sagten beide fast gleichzeitig.

      „Und Sie sind da auch noch nicht bis zur Feuerstelle hinaufgestiegen?“

      „Nein“, sagte Walter, fast schon ein bisschen beleidigt, „ ich bin lediglich einmal im großen Bogen drum herumgegangen.“

      Sie waren ein eingespieltes Team. Jeder wusste, was er zu machen hatte. Einer stellte mehrere kleine Tafeln mit deutlich sichtbaren Zahlen auf und fotografierte alles. Ein anderer hob am Boden Stöckchen und Steine auf und verstaute sie in beschrifteten Plastiktüten. Der Dritte suchte den Boden und den Weg nach Fußspuren ab. Walter war der Anblick so vertraut wie Essen und Schlafen. Kollege Schuster sah dem Treiben aufmerksam zu.

      Dann kam der Pathologe, oder besser gesagt die Pathologin, eine etwa 60 Jahre alte, große und schlanke Frau. Sie stellte ihren Koffer ab und zog als erstes die obligatorischen Einweghandschuhe an. Sie grüßte Schuster mit einem Nicken und blickte dann zu Walter hinüber. „Ist schon okay“, sagte Schuster, ihrer Frage zuvorkommend, "das ist Hauptkommissar Walter a.D. Er ist zufällig gerade hier in Harmonie und ich habe ihn gebeten, mich ein bisschen zu unterstützen. Ist es Ihnen recht?“

      Sie antwortete nicht. Sie wandte nur ihren Blick von Walter ab und suchte den Chef der Spusi.

      „Kann ich?“, rief sie, als sie ihn erblickte.

      „Ja“, rief er zurück, „wir sind hier soweit fertig.“

      Frau Doktor ging mit ihrem Koffer zu der Toten und betrachtete sie einen Moment von allen Seiten. Dann sagte sie zu Schuster: „Kommen Sie, Schuster, helfen Sie mir sie umzudrehen.“

      Als die Tote auf dem Rücken lag, sah Walter erst, wie hübsch sie war, selbst jetzt noch. Sie trug ein enganliegendes weißes T-Shirt, keinen BH, wie er eindeutig erkennen konnte, einen roten Minirock, der etwas nach oben gerutscht war, sodass man den weißen Slip sehen konnte. Schuhe trug sie keine, Strümpfe auch nicht. Ihre Augen waren geschlossen. Sie lag da, als ob sie schlafen würde. Niemand sagte etwas. Nach einer Weile fing Frau Doktor von sich aus an zu reden und sagte zu Schuster, ohne Walter auch nur eines Blickes zu würdigen: „Sie können davon ausgehen, dass der Fundort nicht der Tatort ist. Die Platzwunde am Kopf kann sie sich durchaus hier an einem der Steine zugezogen haben, allerdings erst post mortem – also, als sie schon tot war, denn die Wunde hätte sonst mehr geblutet. Die Frau ist erdrosselt worden, vielleicht mit einem Seil oder einem Gürtel. Sehen Sie hier“, sagte sie und zeigte auf die Streifen am Hals der Toten. „Und sie hat leichte Fesselmale an Hand- und Fußgelenken. Alles weitere nach der Obduktion.“

      Wie oft hatte Walter diesen Satz schon in ähnlichen Situationen gehört. Schuster fragte: „Wie lange ist sie denn schon tot?“

      „Nach Ausbildung der Leichenflecke und der Leichenstarre etwa vier bis fünf Stunden, aber, wie gesagt …“ Schuster nickte bestätigend und Walter schloss sich ihm an. Der Leichenwagen kam und transportierte die Tote ab.

      „Zu mir in die Rechtsmedizin“, sagte die Pathologin.

      „Ist doch klar, Frau Doktor“, bestätigte der Fahrer die Anweisung.

      Irgendwann standen nur noch Walter und Schuster am Fundort. Alles sah wieder vollkommen friedlich aus. So, als ob nichts geschehen wäre. Als Walter mit dem neuen Kollegen im Dienstwagen auf dem Heimweg war, fragte er: „Wer hat die Tote eigentlich gefunden?“

      „Ein Tourist, ein Gast vom Metzger Thomsen. Der hat da hinten eine alte Scheune ausgebaut und vermietet jetzt die Räume an Feriengäste. Der Mann wollte Pilze sammeln. Da hat er sie gesehen. Aber er hatte sein Handy nicht dabei. Deshalb ist er erst zu sich nach Hause gefahren und hat mich von dort aus angerufen. Er wollte unter keinen Umständen noch mal da hin. Ich glaube, der stand richtig unter Schock, so fertig war der. Ist ja auch kein Wunder, will Pilze sammeln und findet eine Leiche. So etwas kann einen schon mitnehmen, oder?“

      Walter nickte, dann fragte er: „Wie sind Sie eigentlich auf mich gekommen?“

      „Ja, das ist eine längere Geschichte. Also, als Sie in der Traube abgestiegen sind hat der Wirt mich angerufen und gefragt, was das für ein Kennzeichen an Ihrem Auto ist. Da hab‘ ich ihn gefragt, wie Sie denn heißen. Und er hat gesagt, seine Frau hätte die Art und Weise, wie Sie sich vorgestellt haben, ganz witzig gefunden, `Walter, so wie der Fritz, der alte Fußballnationaltrainer´. Das kam mir irgendwie bekannt vor. Deshalb hab‘ ich einen Kollegen angerufen und der hat mir erzählt, wer Sie sind, weil er Sie von einer Fortbildung kannte. Er hat noch gesagt, dass Sie den Spitznamen „Puzzler“ haben. Warum eigentlich?“

      „Kommt Zeit, kommt Rat“, sagte Walter sibyllinisch.

      Schuster fuhr fort „Als dann die Meldung von der Leiche im Steinbruch bei mir ankam, hab ich gleich an Sie gedacht. Ich meinte, dass so ein alter Hase, Verzeihung, dass ein Mann mit so reicher kriminalistischer Erfahrung wie Sie für mich in dieser Situation hilfreich sein könnte.“

      Walter dachte nach. Einerseits hatte er sich geschworen, nie wieder zu ermitteln, andererseits brauchte der junge Kollege offensichtlich Hilfe. Und wenn er sich nun schon mal an ihn gewandt hatte, dann müsste er ihm eigentlich auch helfen. Er steckte ja schon mittendrin in den Ermittlungen. Außerdem interessierte ihn der Fall jetzt auch.

      „Also gut, wenn Sie es wollen, dann werde ich Ihnen ein bisschen unter die Arme greifen. Aber was ist mit der Pathologin? Die mag mich anscheinend nicht. Hat sie was gegen Männer?“

      „Nein, im Prinzip nicht. Eher was gegen Polizisten.“

      „Warum?“

      „Sie war mal mit einem verheiratet. Und sie gibt sich immer etwas misstrauisch gegenüber Fremden. Aber fachlich ist sie sehr kompetent.“

      „Das